Mittwoch, 30. November 2022 – Rauskrabbeln

Ich saß immer noch im unerwartet aufgetretenen Traurigkeitsloch vom Dienstag. Um mich etwas produktiver zu fühlen, holte ich die seit Monaten ungenutzte Nähmaschine aus dem Regal und begann, ein altes Shirt umzuarbeiten. Das stammt noch aus der Zeit, in der ich der Meinung war, ich sähe schlanker aus, wenn ich in zeltartigen Gewändern umherwandelte. Das Shirt war quasi ein Probeshirt, um überhaupt zu verstehen, wie man Dinge enger und kürzer macht. Ich ließ mich von diesem Video leiten; das Kürzen und das Verengen der Seitennähte klappte auch gut, aber beim Ärmel konnte das Video dann nicht wirklich helfen. Denn die Ärmelnähte saßen mir auf der Mitte der Oberarme und ich wusste nicht, wie ich sie auf Schulterhöhe bekommen sollte.

Außerdem zickte mittendrin mein Maschinchen und ich weiß auch heute nicht warum. Der Unterfaden kam plötzlich nur noch als Knäuel nach oben. Alles Anschauen von Videos, Neueinsetzen der Spule, Neueinfädeln des Oberfadens und schließlich das Auseinanderbauen des Ganzen und Säubern half nichts. Als ich schließlich eine andere Spule mit einem nicht-passenden Farbton einsetzte, nur um zu gucken, ob die wenigstens funktioniert, lief alles wieder. Ich habe jetzt ein größtenteils gut passendes, neues, altes, schwarzes Schlafshirt, das an den falsch sitzenden Ärmeln weiße Nähte hat. Falls jemand Tipps für die Neugestaltung von Ärmeln hat, freue ich mich über Hinweise.

Danach ging es mir halbwegs besser und ich wagte mich an das erste Rezept aus dem Kochbuch von Tohru Nakamura. Ich kochte Dashi und bereite Chawanmushi mit Schnittlauch, gerösteten Haselnüssen und Saiblingskavier zu, der in Sojasauce und Mirin marinieren durfte. Das Dashi war gut, das Dämpfen ging prima, aber der Supermarktkaviar war dann doch äußerst meh. Da bin ich inzwischen (leider?) anderes gewohnt. Ich freute mich trotzdem über ein im Prinzip gelungenes Rezept.

Den Rest des Tages vebrachte ich damit, den „Wal“ zuende zu lesen und empfehle ihn in Prinzip weiter. Es ist ein wilder Ritt durch mehrere Generationen von koreanischen Menschen, es gibt Geister von Elefanten, fürchterliche Flüche, wundersame Erlebnisse und spontane Geschlechterwechsel. Mir hat es überraschend gut gefallen, es las sich sehr zügig durch, aber die vielen Gewaltdarstellungen gegen Frauen gingen mir, gerade zum Schluss hin, als man wusste, man liegt auf der Zielgeraden, doch sehr auf den Zeiger. Es wurde selten bis in den letzten Blutstropfen ausbuchstabiert, aber mir reichen inzwischen schon Andeutungen. Ich will derartiges nicht mehr lesen oder in Filmen und Serien anschauen müssen. Die Realität ist schon bitter und böse genug.

Hier wird das Ganze als „feministisches Märchen“ gelesen, was mich etwas ratlos zurücklässt. Auch weil der Autor die Tochter im Sinne des Romans als „monströs“ bezeichnet, wo sie einfach nur sehr schwer und sehr breitschultrig ist. Ich weiß, dass man die teilweise klischee-artigen Beschreibungen von hübschen, zarten und tradiert weiblichen Charakteren auch gerade als Anklage gegen diese Erzähl- und Denkweisen lesen kann, aber dafür waren sie mir nicht deutlich genug von genau diesen blöden Klischees abgesetzt.