Tagebuch Dienstag, 1. August 2023 – Kurt Katch

Schreibtischtag.

Wenn ihr einen Stadtbibliotheksausweis habt, könnte ihr bei Filmfriend umsonst gucken. Zum Beispiel „Ex Libris“, einen Film über die NY Public Library, den ich sehr mochte.

Via @wortfeld. Ich wollte sofort mitschauen, als mir auffiel, dass ich erstmal meinen Ausweis verlängern muss. Ähem.

Narzissmus und Selbstzerstörung – die zwei Seiten von Populismus, Radikalisierung, Trumpismus und Fakenews

Dieser Satz aus dem leider noch aktuellen Artikel von 2017 macht mir erneut Angst: „Wir haben als Demokratie keine Antwort auf Wähler, denen die Fakten egal sind.“

Via die Autorin @meta_blum.

Durch das sehr empfehlenswerte Buch „Mitspieler der ‚Volksgemeinschaft.‘ Der FC Bayern und der Nationalsozialismus“ habe ich den Schauspieler Kurt Katch kennengelernt. Er war Mitte der 1920er Jahre in München und berichtete in seinen Memoiren über die Betriebsmannschaft der Münchner Kammerspiele, von der ich noch nie gehört hatte. Wie von so vielen Details der Stadtgeschichte in diesem Buch.

Ich zitiere:

„Etliche jüdische Sportbegeisterte trieben Breitensport beim FC Bayern, etwa in einer Betriebsmannschaft. Eine solche unterhielten auch Unternehmen, die später von den Nationalsozialisten als jüdische Geschäfte bedrängt und beraubt wurden, so die Kaufhäuser Uhlfelder oder Hermann Tietz, dessen Mannschaft dem Verein auch über die ersten Schritte der „Arisierung“ hinaus angehörte. Die schillerndste dieser Betriebsmannschaften war die der Kammerspiele – auch wenn sich ähnliche Teams bei anderen Vereinen fanden, etwas die Staatstheater-Elf des TSV 1860 oder die Mannschaft des Württembergischen Landestheaters beim VfB Stuttgart. Die Kammerspiele, die in dieser Form seit 1912 in Schwabing bestanden und 1926 in die Maximilianstraße umzogen, genossen einen „beinahe legendären Ruf, der weit über die Grenzen Münchens hinausreichte“ und bewahrten trotz Konzessionen an den Publikumsgeschmack ihre „literarisch und schauspielerisch progressive Linie“. Sie gerieten daher schon während der Republik ins Visier rechter Agitation und mussten Aufführungsverbote hinnehmen. An den Kammerspielen wirkten unter anderem die Juden Julius Gellner, Josef Glücksmann und Kurt Horwitz – alles auch Mitglieder der Betriebsmannschaft. Am 8. März 1933 griff der „Völkische Beobachter“ Regisseur Gellner wegen seines „programmäßig betriebenen Kulturbolschewismus“ an. Gellner floh noch im selben Monat – nachdem man ihn während eines Fußballspiels vor der drohenden Verhaftung gewarnt hatte.

Das wohl eindrücklichste Zeugnis der Kammerspiele-Kicker verdanken wird den Memoiren des Schauspielers Kurt Katch, der Mitte der 1920er Jahre in München tätig war. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen im russischen Grodno auf. Zwar war seine Mutter eine fromme Frau, doch waren es Pogrome, die ihn lehrten, „was es heisst, ein Jude zu sein“. Noch als Kind zog er mit der Familie ins habsburgische Lemberg. Dort fand Katch als Gymnasiast zum Fußball und war an der Gründung eines dezidiert jüdischen Klubs namens Hasmonäa beteiligt. Er war ein begabter Schüler, dessen Interesse sich aber vor allem auf den Fußball richtete. Zunächst verdingte er sich als Profispieler in Czernowitz und Budapest, dann als Weinhändler. Sein abenteuerlicher Weg führte ihn nach dem Ersten Weltkrieg zu Max Reinhardt nach Berlin, wo er seine Schauspielausbildung genoss. Katch wurde ein geachteter Schauspieler und blieb ein leidenschaftlicher Fußballer.

Gerade deshalb begeisterten ihn die Kammerspiele: „Eine Brutanstalt für originelle Begabungen, mochten es Schauspieler oder Dichter sein. Zudem ein ästhetischer Debattier- und Fußballklub. Eine phantastische Angelegenheit.“ Den FC Bayern als Träger der Betriebsmannschaft erwähnte Katch nicht, wohl aber schilderte er deren Fußballbegeisterung:

„Nach den Proben zogen die männlichen Mitglieder des Ensembles zusammen mit Mitgliedern des technischen Personals […] auf den Fußballplatz. […] Kurz vor der Première von ‚Troilus und Cressida‘ kam es zu einem besonders heftigen Fußball-Turnier. […] Zur Prèmiere erschienen die trojanischen Helden, als kämen sie in der Tat gerade aus dem männermordenden Kampfe um Ilion. Troilus-Donath hatte eine Verletzung am rechten Schienbein. […] Ich hatte mir bei der Torwacht den kleinen Finger gebrochen und trug den Arm in der Binde.“

Einer unglücklichen Liebesbeziehung wegen verließ Katch die Kammerspiele und nahm ein Engagement in Zürich an; 1926 verzeichnete ihn der FC Bayern als „ins Ausland abgemeldet“. Die Machtübernahme erlebte der mittlerweile populäre Schauspieler in Frankfurt, wo er gerne das Stadion besuchte. Katch war ein säkulärer Jude, „ich liebte Deutschland […], in dem ich den Schmutz und das Elend meiner Kindertage von mir abgewaschen habe“. Umso einschneidender empfand er den Moment, in dem er im Rundfunk vom Aprilboykott erfuhr:

„In diesem Augenblick kam mein Judentum, das mir schon fast in Vergessenheit geraten war, mit tausendfältiger Kraft erneut zum Durchbruch. […] Vor meinen Augen tauchte es wieder auf, das Haus in Grodno, mit den Juden in Kaftan und Peies. […] Ich sah die geschlagenen Juden nach den Tagen der russischen Revolution.“

Gregor Hofmann: „Mitspieler der ‚Volksgemeinschaft.‘ Der FC Bayern und der Nationalsozialismus“, Göttingen 2022, S. 191/192.