Sonntag, 21. Januar 2024 – Levit, Teil 2 und Demo

F. und ich saßen am Sonntag morgen um 11 schon wieder im Prinzregententheater, das wir doch erst vor guten zwölf Stunden nach einem Abend mit Igor Levit verlassen hatten. Und auch der Künstler auf der Bühne war derselbe, aber dieses Mal hatte er Verstärkung in Form von Markus Becker mitgebracht. Die beiden Herren nahmen an den zwei Flügeln Platz und erfreuten mich mit den Haydn-Variationen B-Dur op. 56b für zwei Klaviere von Brahms, der Sonate D-Dur KV 448 für zwei Klaviere von Mozart und der Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart für zwei Klaviere op. 132 von Max Reger. Im Programm stand noch ein Beethoven, aber der fiel aus, was mir gar nicht unrecht war. Denn gestern wollte ich nicht nur zu Igor, sondern direkt danach um 14 Uhr zur Demo für Demokratie am Siegestor. (Mir fällt ernsthaft erst jetzt beim Tippen der gleiche Wortanfang auf.)

Ich hatte die halbe Nacht mit Nachdenken über die richtige Kleiderwahl zugebracht, denn ich ging davon aus, dass die Zeit nicht reichen würde, nach dem Konzert nochmal nach Hause zu fahren, um mich demogerecht umzuziehen. Daher stand ich schon in dunklen Jeans, den gefütterten Stadionschuhen und einem Longsleeve unter immerhin einem halbwegs konzertfeinen Blüschen rum, als ich merkte, dass mir das total gegen den Strich ging, so aufzulaufen. Ich hatte vor zwei Jahren begonnen, meine Garderobe etwas aufzuhübschen mit Dingen, in denen ich mich bei eleganteren Anlässen nicht mehr underdressed fühlte, und genau so wollte ich auch aus dem Haus und in einen Konzertsaal gehen. In dem ich vermutlich eh irre geschwitzt hätte mit den Thermotights unter der Jeans.

Also zog ich mich wieder um und verließ das Haus in schwarzem, langen Oberteil (immerhin ein dickeres Top darunter), den nicht allzu dicken Konzerthosen, festen, aber ungefütterten Schuhen und dem schicken Mantel in Teal, dazu auch gnadenlos das kleine Handtäschchen und nicht die praktische Schultertasche, fest entschlossen, dann eben so für Demokratie, Menschenrechte und ein freundliches Miteinander zu demonstrieren. Dann bleibe ich halt nur so lange, bis ich friere, dachte ich.

Im Konzert konnte ich mich dann entspannen und verwundert über den Mozart freuen. Dort schlich sich die Demo nämlich wieder in meinen Kopf. Ich bin bekannterweise nicht die größte Mozart-Freundin, aber der zweite Satz erwischte mich total und ich dachte, wie kann eine Spezies, die so etwas Wundervolles hervorbringt, auch viel zu viele Idioten und Spinnerinnen in ihrer Mitte haben. Hmpf. Das war aber nur ein kurzer Gedanke, dann konnte ich mich wieder auf die Musik konzentrieren und das auch viel besser als am Samstagabend. Wenn ich Ihnen noch den letzten Teil von Reger ans Ohr legen dürfte?

Wie erwähnt, der Beethoven fehlte, das Konzert war schon um 13 Uhr vorbei, woraufhin ich umplante und doch noch nach Hause fuhr bzw. mich fahren ließ, die U4 vom Prinzregentenplatz über Odeonsplatz bis zum Hauptbahnhof, dann in die U2. In der Station Odeonsplatz, wo ich auf dem Rückweg aussteigen wollte, war um kurz nach eins noch nicht viel Demopublikum unterwegs, und ich hatte schon Angst, dass doch lieber alle beim Schweinebraten sitzen anstatt auf die Straße zu gehen.

Zuhause entledigte ich mich des feinen Zwirns und zog Jeans, Longsleeve, Shirt, die gefütterten Schuhe und den Alltagsmantel an, keine Thermotights, es war prima Demowetter, knapp über Null, Sonne, das ging schon. Wieder zurück in die U2, die deutlich voller war als noch vor 15 Minuten, als ich ihr entstiegen war, und spätestens beim Umstieg am Hauptbahnhof war mir klar, dass sich doch ein paar mehr Menschen auf den Weg gemacht hatten. In die U4 kam ich nur mit Schieben und Quetschen rein, das kenne ich von den Bahnfahrten nach Fußballspielen, da steht man dann auch sehr, sehr, sehr eng, aber das muss anscheinend so. Apropos Fußballspiel: Gestern fand auch noch ein Heimspiel des FC Bayern statt, dessen Arena man genau mit der U-Bahn erreicht, die auch über Odeonsplatz, Universität (die Station, die am nächsten zum Siegestor liegt) und Münchner Freiheit fährt. Daher mischten sich auf dem Bahnsteig und in der Bahn Demoplakate mit roten Schals, aber alle waren freundlich und gut gelaunt.

Die Rolltreppen am Odeonsplatz nach oben waren dann eine einzige Menschenmasse, kein Vergleich zum Anblick vor einer knappen Stunde. Man spazierte auch, an der Oberfläche angekommen, direkt in die Menschentrauben rein, die sich vom einen Ende der Ludwigstraße zu ihrem anderen aufmachen wollten, nämlich dem Siegestor. Die Lautsprecher standen bis zum Odeonsplatz, so bekam ich alle Reden in guter Tonqualität mit, jedenfalls meistens, denn irgendwann hatte ich beim Gehen eine Gruppe jüngerer Menschen neben mir, die ein bisschen Stromgitarrenmusike aus dem mitgebrachten Bluetooth-Dingsi liefen ließen. Aber noch war die Masse luftig genug, um von dieser Gruppe wegzugehen.

Unterwegs sah ich aber nicht nur junge Menschen, sondern, was mich sehr freute und mich alte Pesssimistin auch etwas überraschte, viele Menschen, die auch neben uns bei Levit hätten sitzen können, das klassische Bildungsbürgertum, jetzt statt im Anzug mit der Allwetterjacke.

Eine Rede erwischte mich dann sehr auf dem richtigen Fuß und sorgte dafür, dass ich danach in keine Sprechchöre einstimmen wollte, auch nicht die, in denen wir alle die AfD hassen. Was ich tue, ich verachte den Haufen so sehr, aber ich wollte nicht brüllen. Auf der Bühne am Siegestor, in deren Nähe ich nicht mal ansatzweise kam, waren Verwandte der Jugendlichen, die 2016 im Olympia-Einkaufszentrum erschossen wurden. Ich zitiere die SZ, die die Rednerinnen zitiert:

„Wozu rechtsextreme Gesinnung führen kann, zeigt der Anschlag am Olympia-Einkaufszentrum im Juli 2016. Angehörige der neun Ermordeten kommen auf die Bühne. “Der Anschlag am OEZ war kein Amoklauf”, sagt Sibel Leyla, Mutter von Can. Er war “rechter Terror. Ich werde das so lange wiederholen, bis es in das kollektive Gedächtnis dieser Stadt übergegangen ist.” Zehntausende danken mit lautem Applaus. Yasemin Kılıç, Mutter von Selçuk, erinnert daran, dass der Rechtsterrorist AfD-Anhänger gewesen sei. Gisela Kollmann, Oma von Guiliano, sagt, dass Angehörige im Konzentrationslager vergast, Nachbarskinder 1980 beim Oktoberfestanschlag getötet wurden. “Ich werde so lange für Erinnerung, Gerechtigkeit und Aufklärung kämpfen, wie es mir gesundheitlich möglich ist.”“

Je näher ich dem Siegestor kam – ich war mindestens noch 500 Meter weg –, desto enger wurde es. Und ich merkte, dass ich mich nicht mehr wohlfühlte, auch weil mir die Ausweichmöglichkeiten fehlten. Ich schaffte es, mich bis zur Kreuzung Theresienstraße vorzuwühlen, alle machten brav Platz, als ich meinte, ich würde mich nicht wohlfühlen, danke! und konnte so irgendwann nach einer knappen Stunde vor Ort nach links abbiegen. Ich wäre auch in Konzertklamotten vermutlich nicht ins Frieren gekommen, so voll war es inzwischen. Auch aus der Seitenstraße stömten die Menschen noch auf die Ludwigstraße, aber es lichtete sich dankenswerterweise schon bei der nächsten Querstraße, der Amalienstraße, wo auch wenige Polizei stand und absperrte bzw. durchwinkte. Die Demo musste kurz danach wegen viel zu vieler Menschen abgebrochen worden, das bekam ich aber erst zuhause mit, als ich schon wieder auf dem Sofa saß und auf Masto las, wo noch überall Leute in Deutschland unterwegs gewesen waren. Hier in München sollen es zwischen 100.000 (Polizeiangaben) und 250.000 (Veranstalter*innen) gewesen sein. Auf einem Video, das gestern durch mein Insta ging, sah man Menschen vom Odeonsplatz bis zur Münchner Freiheit stehen. Laut Google Maps sind das gute zweieinhalb Kilometer.

Mir hat es sehr gut getan zu sehen, dass es so viele, viele Menschen gibt, denen unsere Demokratie und die allgemeinen Menschenrechte anscheinend ebenfalls ein Anliegen sind. Dass es die Correctiv-Recherche gebraucht hat, um vielen klarzumachen, dass die AfD ein Fascholaden ist, verwundert mich etwas, aber besser spät als nie. Auch die vielen Demos im Osten machen mir Hoffnung, dass sich auch die Wahlergebnisse nicht ganz so brutal entwickeln wie es die Demoskopinnen dräuend voraussagen. Wobei ich hiermit keinesfalls auf Ostdeutschland rumhacken will, gerade in Bayern wählen die Leute in Massen ja auch gerne seltsame Leute und Parteien.

Mir hat es auch gut getan, mich nicht mehr so alleine zu fühlen. Im Vorfeld hatte ich überlegt, ob ich echt auf eine Demo muss, damit meine antifaschistische Haltung deutlich wird, ich meine, ich blöke das hier ja seit Jahren ins Netz. Aber das mache ich halt alleine vor dem Rechner. Daher wollte ich vor Ort sein, präsent sein, Gesicht zeigen, mitgezählt werden. Ich hoffe ernsthaft, dass diese Massen an Menschen vielleicht einigen Unentschlossenen doch noch den entscheidenden Ruck geben, nicht die Blauen zu wählen. Gerade die AfD behauptet ja gerne, für die schweigende Mehrheit zu sprechen. Das letzte Wochenende sollte diesem Märchen ein Ende bereitet haben. Sie sprechen nicht für die Mehrheit. Und diese schweigt anscheinend nicht länger.