Montag, 5. Februar 2024 – Hin und her
Im Hausflur hing der übliche Aushang zum jährlichen Rückschnitt des Blauregens, der im Hof nicht nur eine Pergola überdacht, wo die Leute ohne Balkon im Sommer schön schattig sitzen können, sondern der auch an den Balkonen der einen Hausseite inzwischen bis in den fünften Stock gewachsen ist. Im Sommer klettert er gerne in den Vorraum zum Fahrstuhl, weil dann die Fenster immer gekippt sind, wo ihn der Hausmeister persönlich beschneidet; ich freue mich immer über das Extragrün, so lange es da ist. Außerdem sehe ich die riesige Pflanze nicht nur vom Schreibtisch aus, sondern auch aus dem Küchenfenster, wo sie zusätzlich ein bisschen Sichtschutz zum Nachbarbalkon bietet.
Daher machte ich mir keinen Kopf, als gestern zwei Menschlein in einem Krankörbchen vor eben diesem Küchenfenster auftauchten, während ich gerade den morgendlichen Espresso zubereitete. Ich erschrak aber schnell: Die schnitten nicht zurück, die schnitten ab! Alles! Ich wimmerte ein bisschen vor mich hin, überzeugte mich dann aber selbst, dass das vermutlich nicht so super für den Außenfahrstuhl ist, wenn er irgendwann zuwuchert. Oder sowas in der Richtung, ich hab doch keine Ahnung.
Aber dann sah ich ein Stündchen später von der Schreibtischarbeit auf und erblickte die fleißigen Schnitter nun an der anderen Balkonseite, dort wo ich – ernsthaft! – gerade morgens noch ein Eichhörnchen vom vierten in den dritten Stock hatte klettern sehen, wo es kurz die Balkonkästen besuchte und dann wieder zur Erde huschte. Das Eichhörnchen hat damit dem riesigen Blauregen einen Abschiedsbesuch gemacht, denn auch diese Seite des Balkonsbewuchses wurde nicht zurückgeschnitten, sondern komplett entfernt.
Das erschütterte mich mehr als ich dachte; ich war innerlich ja nur auf den gewohnten Beschnitt vorbereitet, sah aber nun einen Berg an Ästen und Zweigen im Hof liegen, wusste, dass kein Fitzelchen Grün mehr auf der Hausseite zu sehen sein wurde und war darüber wirklich sehr traurig.
Ich musste vor die Tür, um ein Päckchen Lieblingsmüsli aus der Packstation zu holen und schaute nochmal auf den Aushang: Ja, da stand „Entfernung“ und nicht „Beschnitt“, ich hatte nicht gut genug gelesen. Fuck!
Als ich nach Hause kam, hörte ich schon die Kettensäge, die ich den ganzen Nachmittag über hören sollte, denn auch die überwachsene Pergola ist nun nackt und bloß. Die komplette Pflanze ist weg und wurde zu Kleinholz verarbeitet. Ich kann nur hoffen, dass sie nicht mehr gesund war oder es verdammt gute Gründe für die Entfernung gab – wovon ich ausgehe, ich halte große Stücke auf die Hausverwaltung und die Vermieter hier. Aber es sieht nun doch etwas grauer aus als vorher. Ich bin weiterhin traurig. Und googele nach Dingen wie Buchsbäumchen für den Balkon oder irgendwas anderes Immergrünes.
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Der Tag war aber nicht komplett doof, denn ich schaffte am Schreibtisch schön was weg. Und ich konnte mal wieder einer wildfremden Frau ein Kompliment machen, was ich gerne tue, denn das macht die Welt besser. Die Dame kam mir auf dem Rückweg von der Packstation entgegen, sie trug einen orangefarbenen Blazer zu einer violetten Handtasche sowie einen grüngelben Schal zur bunten Hose. Das sah so klasse, fröhlich und zugleich stilvoll aus, dass ich ihr das sagte: „Tolle Farbkombination!“ „Oh, danke, freut mich, dass es Ihnen gefällt. Ich dachte, es ist ja fast Frühling.“ „Ja, das macht total gute Laune.“ „Danke! Schönen Tag noch!“
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F., den ich natürlich den ganzen Tag über mit entsetzten DMs zum Pflanzenstand belästigte, schickte mir abends kommentarlos dieses Bild. Ich fühle mich verstanden.