Dienstag, 6. Februar 2024 – Hach und Herrgottnochmal
ZI-Tag. Ich beteiligte mich brav an der hauseigenen Umfrage zur Bibliothek, bescheinigte, dass ich alles supi fände und konnte mich gerade noch zusammenreißen, im letzten Kommentarfeld („Möchten Sie uns noch etwas mitteilen?“) eine Replik zu formulieren, in der die Worte „geistige Gesundheit“, „lebensverändernd“ und „Bällebad“ vorkamen.
Außerdem fand ich in einem Buch über das Haus der (Deutschen) Kunst noch eine kleine, für mich neue Information, die mich sehr beglückte, vor allem weil ich dachte, mir kann keiner mehr was über dieses Haus erzählen. Dann fiel mir aber ein, dass ich bisher meist bei der hauseigenen Chronologie so Anfang Mai 1945 aufgehört hatte zu lesen. Jetzt interessiert mich aber gerade die Zeit bis 1960 und da ist noch genug Neues für mich auszubuddeln. Im Bällebad, dem schönen.
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Wo wir gerade bei Kunst sind: Vom Insta-Account des Lenbachhauses erfuhr ich von einer Pressemitteilung, die vorgestern online ging. Es geht um dieses Werk von August Macke, dessen Titel in der Ausstellung zum Blauen Reiter so geschrieben wird: „Reitende I******* beim Zelt“.
Auszug aus der Pressemitteilung:
„In einigen Medien wurde die Behauptung aufgestellt, das wissenschaftliche Team des Lenbachhauses habe den Bildtitel eines Gemäldes von August Macke “zensiert”.
Dieser Behauptung möchten wir hiermit widersprechen.
Als öffentliches Museum sind wir verpflichtet, den Blauen Reiter und sein Werk im historischen Kontext kritisch zu reflektieren. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte und der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts erfordert eine Beschäftigung mit historischen Quellen, deren Äußerungen in Sprache und Bild mitunter herabwürdigende oder sogar rassistische Elemente enthalten können.
Daher gilt es einerseits, die Quellen ungeschönt und kritisch darzustellen, und anderseits, ein möglichst respektvolles Miteinander in unserer Gegenwart sicherzustellen. Diese Abwägung treffen wir täglich und für jeden Einzelfall aufs Neue. Dies gebietet uns die Verantwortung einer der reflektierten Geschichtswissenschaft verpflichteten Institution, die in ihrer Arbeit dem internationalen wissenschaftlichen Standard folgt.
Selbstverständlich verändern wir in keiner Weise die historischen Quellen, die uns überantwortet wurden. Für das in Rede stehende Gemälde ist kein Titel von August Macke überliefert; der seit langem verwendete Titel stammt von Bernhard Köhler, Mentor und Sammler August Mackes. Er besaß das Werk einst und vermerkte den Titel auf der Rückseite der Leinwand.“
Ich hatte nicht mal mitbekommen, dass „einige Medien“ sich über ein Schild aufregen, das seit Mitte 2021 so am Werk zu sehen ist. Also googelte ich brav und fand: Es waren der Focus, die Bild und die Junge Freiheit. Eigentlich könnte man das ganze damit schon zu den Akten legen, weil who the fuck cares, aber natürlich ist es richtig, mal kurz die Einstellung des Hauses darzulegen, damit sich alle (Nervensägen) wieder beruhigen. Vor allem alle, die anscheinend den Rest des Schilds am Werk in der Ausstellung nicht gelesen habe, denn dort steht schon in Kurzfassung das, was da oben erwähnt wird. Herrgottnochmal.
Ich habe mir den Focus-Artikel angeschaut, auf die anderen Websites klicke ich aus Gründen der geistigen Hygiene nicht, und dort kommt ein wackerer Kämpfer der CSU zu Wort:
„CSU/Freie Wähler-Fraktionschef Manuel Pretzl fordert, dass man den historischen Titel wieder auf die Infotafel schreibt. „Jeder soll reden, wie er möchte. Ich bin aber dagegen, historische Werke dem jeweiligen Zeitgeist anzupassen. In das Werk eines bedeutenden Künstlers einzugreifen, der sich nicht mehr wehren kann, grenzt an Zensur“, so Pretzl.“
Okay, Hase: Zensur – it doesn’t mean what you think it means. Zensur wäre, wenn das Haus das Bild im Depot vergammeln ließe, es niemand zu Gesicht bekäme oder wir nicht darüber reden, schreiben oder bloggen geschweige denn den Titel des Werks anrühren dürften. Außerdem: Wenn du Historisches nicht anrühren möchtest, weil die Erschaffenden sich nicht mehr wehren können, müsste man auch die Alte Pinakothek rückbauen zum Ruinenhaufen von 1944, denn da wurde auch total eigenmächtig nicht mehr haargenau so wie bei Leo von Klenze wiederaufgebaut, sondern zeitgemäß geändert. Wenn wir schon bei dämlichen Argumenten sind.
Jeder*m, der*die sich mit Kunst und Werktiteln befasst, ist bei der wissenschaftlichen Arbeit schon aufgefallen, dass diese sich gerne ändern. Ja, auch wegen des jeweiligen Zeitgeistes, wer hätte es gedacht, den gibt es nämlich nicht erst seit vorgestern. Namen ändern sich, Schreibweisen, Ortsbezeichnungen (deutsche Ostgebiete) oder auch gerne mal der komplette Titel. Während meiner Diss hat mich das besonders genervt, als ich versucht habe, die Titel aus Protzens Werkverzeichnis in den Ausstellungskatalogen oder Presseberichten der Zeit wiederzufinden. Gerade die Presse neigte – zumindest in den 30er Jahren der Münchner Zeitungen – gerne dazu, Titel zu ändern in Beschreibungen, die ihnen gerade besser gefielen. Auch die Künstler*innen selbst ändern gerne Titel, warum auch nicht. Auch hier wieder die 30er Jahre: Da kam gerne mal zum Wort „Landschaft“ das Adjektiv „deutsch“ dazu, was nach 1945 wieder verschwand wie von Zauberhand. Mein liebstes Beispiel, wieder von Protzen: Im Werkverzeichnis heißt ein Gemälde „Tölz“, im Ausstellungskatalog „SS-Junkerschule Tölz“.
Kunst ist in seiner Funktion als gesellschaftspolitischer Akteur ebenso Zeitströmungen unterworfen wie alles andere. Dinge ändern sich und das ist okay so. Wenn du unbedingt rassistische Stereotype verwenden willst, dann darfst du das sogar, daran hindert dich niemand, wir haben nämlich keine Zensur. Und wenn du nochmal in die Pressemitteilung schauen willst: Es ist nicht mal ein Titel vom Künstler überliefert. Theoretisch könnten wir das Ding auch einfach „Bild“ nennen und es wäre okay. Könntest du dich jetzt bitte wieder mit wichtigen Dingen beschäftigen? Zum Beispiel, dass in München circa 150.000 Menschen auf die Straße gegangen sind, um auch gegen Rassismus aufzustehen? Ja? Danke.
(Again: Herrgottnochmal.)