Dienstag, 27. Februar 2024 – FAZ und BZ
Ich folge auf Instagram dem Kunsthaus Ketterer in München. Dort wurde vor einigen Tagen ein Artikel aus der FAZ verlinkt, in dem eine der Provenienzforscherinnen des Hauses über ihre Arbeit spricht (Archive-Link ohne Paywall). Für mich interessant, weil der Handel ganz eventuell andere Interessen hat als die Wissenschaft.
„Solche Einigungen entsprechen den Washingtoner Prinzipien von 1998, die fordern, dass Verfolgten der NS-Diktatur entzogene Kulturgüter identifiziert und einstige Eigentümer oder deren Erben ausfindig gemacht und mit den heutigen Besitzern zusammengebracht werden, um gerechte und faire Lösungen zu finden. Hierzulande müssen sich öffentliche Einrichtungen daran halten, private Sammler nicht. Wie hat sich der Umgang des Kunsthandels mit potentieller NS-Raubkunst in der Zeit, die Sie überblicken, entwickelt?
Ich befasse mich seit 2007 frei, seit 2014 in Festanstellung bei Ketterer Kunst mit Provenienzforschung. Einen starken Anschub für Recherchen zur NS-Zeit gab es 2012 durch den Fall Gurlitt, weil es um privaten Kunstbesitz ging: ein riesiges Gemäldekonvolut, zu dem auch Raubkunst gehörte. Ein weiterer Schlüsselmoment war 2016 die Verabschiedung des Kulturgutgesetzes, das den Kunsthandel verpflichtet, jedes Werk, das vor 1945 entstanden ist, auf dessen Provenienz zu untersuchen.
Weshalb tauchen so viele Raubkunstfälle im Handel auf?
Grundsätzlich haben wir, anders als Museen, einen hohen Durchlauf an Objekten. Die meisten NS-verfolgungsbedingt entzogenen Werke sind nicht museal, sondern Kunst für das eigene Heim, die über den Handel vertrieben wurden und wieder in ihn zurückfließen. Entsprechend moderat sind in der Regel die Summen, um die es geht, meist Schätzpreise zwischen 30.000 und 50.000 Euro. Durch die Digitalisierung werden außerdem mehr Quellen für Recherchen frei zugänglich gemacht. […]
Rechtlich sind die heutigen Besitzer meist auf der sicheren Seite, weil Rückgabefristen verstrichen sind oder etwas in gutem Glauben erworben und danach, wie es im Jargon heißt, ersessen wurde. Was ist die stärkste Triebfeder für die Klärung der NS-Vergangenheit?
Viele Einlieferer sehen ihre gesellschaftliche Verantwortung – wie auch wir als Auktionshaus. Aber natürlich kommt hinzu: Erst durch eine gerechte und faire Lösung wird ein belastetes Kunstwerk, das nach den Buchstaben des Gesetzes zwar verkäuflich wäre, faktisch aber nicht mehr handelbar ist, wieder frei für den Markt. Es kann ausgeführt werden, etwa in die USA, oder auf internationalen Ausstellungen gezeigt. Es kommen auch Sammler zu uns, die um Klärung bitten, weil sie nicht möchten, dass ihre Nachkommen später Probleme mit einem Kunstwerk bekommen.
Im anglo-amerikanischen Rechtskreis wird der Erwerb in gutem Glauben nicht akzeptiert wie bei uns. Treibt das die hiesige Provenienzforschung an?
Es spielt eine Rolle, wie insgesamt die Globalisierung. Internationale Bieter wollen sichergehen, dass sie mit einem Werk frei umgehen können.“
In der Berliner Zeitung stand bereits im Januar ein Interview mit der Dame (Archive):
„Frau Thum, der Kunsthandel hat den Ruf, verschwiegen zu sein. Ketterer Kunst hat jetzt ein Buch über seine Provenienzforschungen herausgebracht. Warum?
Es war uns wichtig, im Jubiläumsjahr der Washingtoner Prinzipien eine Innenansicht zu gewähren. Denn der Kunsthandel hat den Ruf, keine Informationen herauszugeben und nicht transparent zu arbeiten. Ich habe auch im Austausch mit Kollegen manchmal das Gefühl, dass sie nicht wissen, wie sorgfältig und wissenschaftlich wir arbeiten. Zur wissenschaftlichen Arbeit gehört auch, dass man sie publiziert. Das tun wir mit dem Buch. Außerdem wollen wir auf das ungelöste Problem hinweisen, das in Deutschland noch immer nicht rechtlich geklärt ist: Wie sollen wir mit NS-Raubkunst in privatem Eigentum heute umgehen?
Es gebe Vorbehalte von Museen oder Forschungseinrichtungen gegenüber dem Kunsthandel, liest man im Buch. Ist der Kunsthandel nicht Teil der Kunstwelt? Wie würden Sie das Verhältnis beschreiben?
Früher gab es durchaus Vorbehalte gegenüber dem Kunsthandel. Ich habe schon mal von öffentlichen Einrichtungen die Antwort bekommen, dass sie dem Kunsthandel keine Auskünfte geben möchten. In den letzten Jahren ist das nicht mehr der Fall. Es hat eine starke Annäherung stattgefunden. Ich arbeite mit den Kolleginnen und Kollegen aus den Museen und Forschungseinrichtungen gut zusammen. Ich kann die Vorbehalte teilweise aber auch verstehen.
Nämlich?
Die Forschungen im Kunsthandel werden nicht veröffentlicht, es gibt nicht die Möglichkeit, sie ausführlich in Katalogen zu präsentieren, wie die Kollegen aus den Museen das können. Mittlerweile ist die Provenienzforschung im Kunsthandel aber als gleichwertige Forschung anerkannt.“
In beiden Artikeln wurde auf die Publikation des Hauses hingewiesen, die netterweise auf der Seite des Verlags als Open Access zum freien Download zur Verfügung steht: Peter Wehrle (Hrsg.): Provenienzforschung und Kunsthandel, Karlsruhe 2023.