“Larmoyantes Gejammer”

Der Tagesspiegel rezensiert gleich drei Bücher auf einmal: die „Beinahe-Autobiografien“ von Robbie Williams, Paul McCartney und Lemmy: Was mir der Ruhm zu leiden gab.

So werden Pop-Heroen zu Protagonisten einer neurotischen Selbstzerreißung – und keiner waidet dies so genüsslich aus wie Williams. Dass er sich seine Karriere, von der er schon als Kind überzeugt war, wie einen Promi-Rausch vorstellte, hat er in I Will Talk, Hollywood Will Listen besungen. „I wouldn’t be so alone/If they knew my name in every home“, fantasierte er und glaubte, dass Schauspielstars wie Kevin Spacey bei ihm anrufen würden („aber ich bin zu beschäftigt“). Das ist ein Traum-Comic, die Karikatur dessen, was Williams wenig später tatsächlich erlebt, als er sich deprimiert in sein abgeschiedenes Privatreich zurückzieht, weil er zu niemandem Vertrauen fasst. Ist der Popsong womöglich kein geeignetes Medium, um die Ernüchterung auszudrücken, die einsetzt, wenn man all diese wunderbaren Leute plötzlich kennen gelernt hat? Williams hat es in Monsoon versucht. Das Ergebnis: „Oh Lord, I feel nothing/ I know much smarter men / never got this far.“ Larmoyantes Gejammer.

Es ist also nicht verwunderlich, dass Popstars als die Meister der Drei-Minuten-Emotion irgendwann das Bedürfnis nach der großen Erzählung verspüren. Auch Ex-Beatle Paul McCartney holt mit Now & then nach, was er bislang nicht für nötig gehalten hat: eine autobiografische Séance (Rockbuch Verlag). Nicht, dass es dieser – beschämend blassen – Selbsthuldigung bedurft hätte. Ist doch kaum ein Mysterium so erschöpfend durchleuchtet worden wie das der Lennon/McCartney-Ehe.

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Zum Meister der Legendenbildung aber avanciert bei dieser jüngsten Bio-Pop-Welle ein zahnloser Trunkenbold. Lemmy alias Ian Fraser Kilmister, wie Robbie Williams im mittelenglischen Stoke-on-Trent geboren, und zwar bereits 1945: „mit schönem goldenen Haar, das mir zur Freude meiner schrulligen Mutter, ausfiel“, wie er nun in seiner Autobiografie White Line Fever erzählt (IP Verlag Jeske/Mader). „Meine früheste Erinnerung ist, dass ich geschrien habe – aus welchem Grund, weiß ich nicht. Vermutlich ein Wutanfall. Oder ich habe schon mal geprobt.“