Dienstag, 19. März 2024 – Fanny und Felix
Gestern lud das Jewish Chamber Orchestra in das Jüdische Gemeindezentrum am Jakobsplatz ein, es gab Musik von Fanny Hensel, ihrem Bruder Felix Mendelssohn und Gustav Mahler. Als Gast war die Sopranistin Chen Reiss zu hören, auch bei Mahlers 4. Sinfonie, worauf ich gar nicht vorbereitet war.
Das Konzert begann mit einer kurzen Ansprache von Charlotte Knobloch. Wenn die ausfahrbaren Poller am Jakobsplatz, auf dem auch die neue Synagoge steht, oder der Metalldetektor am Eingang noch nicht genug Hinweis darauf gaben, wo wir uns befanden, dann spätestens die üblichen Leibwächter mit dem Knopf im Ohr. Und am Ende des Abends die gepanzerten Limousinen, die vorfuhren.
Laut F., der das Orchester schon mal im NS-Doku gesehen hatte, beginnen viele Aufführungen des JCOM mit einer kleinen Einführung von Daniel Grossmann, dem Gründer und Dirigenten. Das Ensemble hat sich auf jüdische Komponist*innen (eat this, Söder) spezialisiert, und Grossmann hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem Publikum immer noch etwas zu diesem Thema mitzugeben. So erfuhr ich gestern, dass sowohl Fanny als auch Felix bereits als Kinder christlich getauft wurden, was den Hass der Nazis auf speziell Mendelssohn noch absurder macht. Aber ich will gar nicht mit den Absurditäten des NS-Staats anfangen, das ist ein Hass ohne Boden. Mahler hat sich als Erwachsener taufen lassen, kurz bevor er sich in Wien als Musikdirektor bewarb, wenn ich mich richtig erinnere, also eine Karriere, die Juden trotz der Emanzipation im 19. Jahrhundert noch nicht offenstand. Laut Hoffmann gibt es keine Belege dafür, dass Mahler je Weihnachten gefeiert oder überhaupt in einem christlichen Gottesdienst gewesen ist. Wieder was gelernt. Aber jetzt zur Musik.
Es ging los mit vier Liedern von Hensel, von denen ich Die frühen Gräber op. 9, Nr. 4 am schönsten fand, hier mit dem JCOM in Bukarest. Aber generell war das für mich alles schön; ein Kammerorchester schmeißt logischerweise nicht die akustische Breitseite, die ich aus der Isarphilharmonie gewohnt bin, ist aber auch deutlich dichter als ein Wohnzimmerkonzert. Das war gestern genau das richtige – und dazu die wunderschöne lyrische Stimme von Reiss, die mir vorher leider nicht bekannt war. Das änderte sich gestern so sehr, dass ich in der Pause gleich mal eine CD erstand, auf der unter anderem das gestrige Abendprogramm komplett drauf ist. Die CD läuft gerade, während ich tippe und ich freue mich erneut. (Ist auch auf Spotify.)
Ebenfalls vor der Pause gab es noch Infelice! von Mendelssohn, was mich ebenfalls überraschend gut abholen konnte. Eigentlich ist Romantik nicht so meins, erst recht nicht auf Italienisch, aber gestern passte einfach alles. Ich behaupte, es lag hauptsächlich an Reiss.
Nach der Pause kam dann die Mahler-Sinfonie, und da musste ich doch zugeben, dass ich gerne 80 Musiker*innen auf der Bühne gehabt hätte. Dem Percussionisten dabei zuzusehen, wie er die Becken nur ganz sanft aneinanderschlug, damit uns nicht allen das Trommelfell platzt, war doch ein bisschen schade. Also für den Percussionisten, nicht für unser Trommelfell. Aber gerade Mahler fährt ja gerne alles auf, was das klassische Instrumentarium so zu bieten hat, und das war gestern dann ungewohnt zurückhaltend. Tat aber trotzdem gut. Nur doof, dass man nach einem so schönen Abend von den oben erwähnten gepanzerten Fahrzeugen und den blöden Pollern wieder in die Realität geholt wird.
An der Synagoge brennen Kerzen und es lagen ein paar Blumen am Eingang, wenn ich richtig gesehen habe.