Samstag, 13. April 2024 – Beethoven und Schostakowitsch

Wir waren mal wieder in der Isarphilharmonie. Immer wenn ich mit den richtig guten Klamotten unterwegs bin, werde ich bei Kindern nervös (hat das Mädchen hinter mir auf der Rolltreppe etwa ein Eis in der Hand?) und bei betrunkenen Herren (deutlich öfter in der Öffentlichkeit anzutreffen als betrunkene Damen. Ausnahme: Oktifest). Gestern stand im Bus zur Philharmonie ein angeheiterter Herr mit offener Bierdose neben mir, die ich argwöhnisch beobachtete. Er schaute sich im Bus um, sah reihenweise rausgeputztes Volk, das auch neben dem im Schritttempo vorankommenden Bus von der U-Bahn-Haltestelle zum Konzerthaus wandelte.

„Heute ist Konzert, wa?“
Ich wartete, ob sich jemand anders rührte, tat aber niemand, also antwortete ich freundlich mit Ja.
„Was gibt’s denn?“
„Unter anderem Beethoven.“
Pause.

„Meine Freunde sagen ja immer, [Name vergessen], du musst da mal hin, das musst du dir anschauen. Lohnt sich das?“

Und ehe ich antworten konnte, grätschte die ältere Dame von hinten rein: „Ja, auf jeden Fall! Das ist ein toller Saal! Machen Sie das mal!“

Wir plauderten mit dem Mann noch über Kartenpreise und ob man sich die im Internet kaufen könne … „da kann ich dann einfach so mit dem Handy …?“ „Ja, genau“ … dann war der Bus da. Der Herr wünschte uns allen viel Spaß, wir ihm einen schönen Abend, und ich kam ohne Flecken an meinem Sitzplatz an.

Der Herr Buchbinder spielte mit dem Philharmonic Orchestra aus London Beethovens Konzert für Klavier und Orchester Nr. 5, Es-Dur, op. 73. Falls Sie sehr entspannt in den Sonntag kommen möchten, hören Sie doch mal in den zweiten Satz rein. Im verlinkten Konzert dirigierte Buchbinder vom Flügel aus die Wiener Philharmoniker (2020).

Im Programmheft schrieb Buchbinder selbst über seine Arbeit an Beethoven, das fand ich schön:

„Ich werde oft gefragt, woran ich bei der Interpretation eines Beethoven-Stückes denke. Meine Antwort ist simpel: Das Denken muss lange im Vorfeld stattgefunden haben. Sobald man die erste Note anschlägt, befindet man sich bei Beethoven in professionellen Händen, dass man gut beraten ist, ihm einfach nur noch zu folgen. Kaum ein anderer Komponist navigiert uns mit seinen konkreten Spiel-anweisungen so sicher über die weiten Meere seiner Kreativität wie Beethoven. Alles, was er von uns verlangt, ist: Wissen und Vertrauen! […]

Die Musik Ludwig van Beethovens begleitet mich ein Leben lang, und ist zu einer Art Spiegel meiner musikalischen Entwicklung geworden. Bei mir zu Hause in Wien steht eine Beethoven-Büste auf dem Flügel. Und immer, wenn ich übe, schaue ich diesen mir so nahen Menschen an, seinen grimmigen Blick, seine wilden Haare und seine neugierigen Augen – und danke ihm leise dafür, dass er mir schon so lange zuhört und Verständnis für all meine Irrungen und Wirrungen hat, mit denen ich voller Verehrung durch sein Werk treibe.“

Nach der Pause war der Saal merklich leerer; leider war auch die Familie mit dem kleinen Kind hinter uns weg, das einen Stoffkoala dabei hatte. Ein essentieller Konzertbegleiter! Will auch Stofftiere mit in Konzerte nehmen können, ohne für bekloppt gehalten zu werden.

Es wurde dann auch etwas herausfordernder als vor der Pause, und ich sah einige Zuschauer*innen mitten im Stück den Saal verlassen. Vielleicht mussten sie die letzte Bahn kriegen, aber das irritierte mich doch sehr. Ja, Schostakowitsch ist einen Hauch anstrengender als der gute alte Ludwig van, aber das weiß man doch vorher.

Jedenfalls: Wenn Sie Lust auf ein Stück habe, das ich noch mindestens zehnmal hören muss, bevor ich nicht dauernd denke „Huch, was? Wo kommt das jetzt her? Was machen wir jetzt? Wo geht’s hin? Hilfe!“, dann hören Sie mal in seine Sinfonie Nr. 10 e-moll, op. 93 (1953) rein. Hier das Orchester des Bayerischen Rundfunks unter Georg Solti (1993). Auch hier als Einstieg der zweite Satz, ist am kürzesten. (Aber der erste ist am spannendsten!)

Wo wir gerade beim Thema sind: Die SZ hofft, dass der Staat Bayern, das alte konservative Ding, die Verträge mit Staatsintendant Serge Dorny und Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski an der Bayerischen Staatsoper verlängern möge. Ich hoffe das auch. Verkack das nicht, Bayern!

„Unter den vielen offenen Fragen, die den Kulturbetrieb in Bayern betreffen, ist die derzeit größte: Wer leitet in Zukunft die Bayerische Staatsoper? Staatsintendant Serge Dorny und Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski traten ihre Stellen 2021 an, ihre Verträge laufen zu derzeitigem Stand im Sommer 2026 aus. Im Opernbetrieb auf diesem Niveau hat man für künstlerische Planungen eine Vorlaufzeit von vier, fünf Jahren. Regie- und Gesangsstars muss man rechtzeitig anfragen, sonst sind sie verplant. Die Zeit drängt also.

Während der bayerische Kunstminister Markus Blume den Vertrag eines anderen Münchner Staatsintendanten, den von Josef E. Köpplinger vom Gärtnerplatztheater, im Februar dieses Jahres ohne besondere Dringlichkeit bis 2030 verlängerte, schweigt er bislang öffentlich zur Zukunft der Staatsoper. Ein Argument für Köpplingers Verlängerung war für Blume die gute Auslastung dessen Hauses, 94 Prozent, das sei beeindruckend, so der Minister. Die der Bayerischen Staatsoper unter Dorny lag im ersten Quartal 2024 bei 96 Prozent. Ob Blume das auch beeindruckend findet, ist bislang nicht überliefert. […]

Aber eben: Jurowskis größte Erfolge sind bislang eine Mahler-Symphonie, Opern von Prokofjew (neben “Krieg und Frieden” auch “Der feurige Engel”) und Weinberg, überhaupt Musik des 20. und 21. Jahrhunderts (da leitet er auch mal ein Kammerkonzert in der freien Szene). Doch München und das Staatsorchester haben ihre Hausgötter – und die sind alt. Mozart, Verdi, Puccini, Richard Strauss (gut, nicht so alt). Gerade Mozart ist nicht Jurowskis Domäne. Oder, wie es ein Orchestermusiker sagt: “Er ist der richtige Mann am falschen Ort.” […]

Jene Einflüsterer, die bei Blume insinuieren, in der Staatsoper sei Feuer unterm Dach (im Probengebäude residiert die Leitungsabteilung im obersten Stockwerk), sehen die Veränderungen, die Dorny mit- und selbst machte, nicht. Opernhaus des Jahres, diverse andere Auszeichnungen, Ausbau des Streaming-Angebots, spürbare Verjüngung des Publikums. Doch dann hört man von jenen selbsternannten “Beratern”, in der Oper laufe nur noch seltsames Zeug.“

(Archive-Link, falls Paywall.)

Jurowski war auch gerade in der NY Times, vielleicht ist das ein Argument: „A Conductor Who Believes That No Artist Can Be Apolitical.“

„Now in his third season as the opera house’s music director, Jurowski, 52, is attracting the kind of adoration from the Munich public that was routine under Kirill Petrenko, who left in 2021 to lead the Berlin Philharmonic. But Jurowski is not merely winning over audiences; he has maintained the Bavarian State Opera’s reputation as one of the finest — if not the finest — companies in Europe while pushing its repertoire in new directions and rooting his artistry in political awareness.

“We classical musicians tend to keep ourselves way from politics,” Jurowski said over lunch in March. “We always say that the music should be apolitical. Music can be, and art can be, but people who are making art should not be apolitical. At a certain point it becomes not about politics, but about ethics.” […]

When Jurowski started at the Bavarian State Opera, there were grumblings among audience members that his changes to the repertoire would come at the cost of the classics. But he has led new productions of standards like “Der Rosenkavalier,” “Così Fan Tutte” and “Die Fledermaus,” and will embark on Wagner’s “Ring” beginning this fall. And the audience hasn’t resisted: Attendance, as usual, continues to hover around 95 percent, which is extraordinary for opera.“