Samstag, 11. Mai 2024 – ESC im Fediverse
Den ganzen Tag lang Häuslichkeiten erledigt und dann mit einer Kanne Kaffee und der derzeitigen fiktionalen Lektüre „Franziska Linkerhand“ auf dem Balkon versackt. Abends das erste Sößchen aus dem Meal Plan vorbereitet, und dann war es Zeit für die Gute-Laune-Sendung aller Gute-Laune-Sendungen: den ESC.
Der neue Kommentator nach Urgestein Peter Urban muss anscheinend ähnlich bemühte Scherze vortragen, was ich schade finde: Vor zehn Jahren war die ewige Ironie aus der Kommentatorenbox, angeführt von Graham Norton, vielleicht noch lustig, hey, lasst uns das alles nicht zu ernst nehmen, aber inzwischen fände ich es netter, genau das zu tun: es ernst zu nehmen. Das hindert kein Land daran, komplette Quatschacts auf die Bühne zu schicken, so wie gestern Finnland, das dafür auch weit hinten blieb, aber es gibt eben auch genug Künstler*innen, die eine Botschaft haben, wie Nemo aus der Schweiz, die dafür als Sieger*innenland Malmö wieder verlässt. (Ich merke gerade, dass die genderneutrale Schreibweise Nemos ein gewisses Umdenken erfordert. Erstens: ach was?!? und zweitens: jo, geht aber.) Ich finde es inzwischen schade, dass auch die Acts, die gute Musik bieten wollen, dieselbe distanzierte, selbstironische Kommentatorensauce abbekommen wie alle anderen.
Was mir gestern bei mir selbst auffiel: Es dauert ungefähr drei Minuten und dann ist die ganze blöde Welt da draußen egal, die Halle tobt, es gibt laute Musik, alle wedeln mit Fähnchen und es ist völlig egal, wessen Fahne es ist, und das Internet kommentiert sich die Finger wund. Europa hat gemeinsam gute Laune, jedenfalls meine Timeline, und ich mittendrin. Leider war das Fediverse nicht auf diesen Ansturm vorbereitet, ich musste irgendwann dem Hashtag #ESC folgen, weil meine Timeline ungefähr 20 Minuten Verspätung hatte, aber auch der Hashtag kam irgendwann nicht mehr hinterher. Also suchte ich Asyl auf Bluesky, was ich quasi null bespiele außer um auf Blogeinträge hinzuweisen. Hier fand ich den Rest meiner Timeline, die nicht auf Masto ist, und konnte weiterhin Spaß haben.
Was mich selbst überraschte bzw. was mir erst bei den Publikumspunkten auffiel: wie wenig politisch die Punktevergabe war. Israel bekam aus Deutschland zwölf Punkte und schnitt generell beim Publikumsvoting deutlich besser ab als bei den Jurystimmen. Diese vielen Punkte wurden aber in der Halle mit Pfiffen kommentiert, die sonst kein einziger Act abbekommen hatte. Ich selbst rief für die Schweiz (I am here for the DRAMA), Kroatien (wie Rammstein ohne Faschoscheiß, genau meins) und Portugal an (der Act fiel in seiner Ernsthaftigkeit raus, das mochte ich – wobei ich heute las, dass die langen Fingernägel der Sängerin grafisch die Kufiya zitierten, was mich arg mit den Augen rollen ließ. Die verlinkte Aufnahme ist vermutlich aus dem Halbfinale, da sind die Fingernägel noch weiß). Ich kam aber selbst nicht auf die Idee, für Israel anzurufen, einfach weil ich den Song nicht so toll fand. Vor zwei Jahren rief ich hingegen mehrfach für die Ukraine an. Darüber muss ich noch nachdenken.
Ehrenwerte Erwähnungen: Armenien, das machte sehr viel Spaß, und Frankreich, das die oben angesprochene ernsthafte Musik bot.
Was mich gestern allerdings irre machte, war der Hinweis des Kommentators auf die anti-israelischen Demonstrationen in Malmö, die inzwischen ernsthaft Vergleiche zu Russland ziehen: Das sei als Kriegspartei ja auch vom ESC ausgeschlossen, wieso also nicht auch Israel? Damit war die gute Laune kurzzeitig hinüber, aber ich konnte mich immerhin für die Schweiz mitfreuen, deren Botschaft hiermit laut und deutlich und weltweit zu hören gewesen war.