Mittwoch bis Montag, 15. bis 20. Mai 2024 – Königin und Trottelinchen
Am Mittwoch fuhr ich nach Düsseldorf, wo ich am Donnerstag sehr lange unterrichtete.
In den letzten beiden Semestern war meine Veranstaltung immer montags. Im ersten Semester gingen nur Montag oder Freitag als Unterrichtstage, weil ich von Dienstag bis Donnerstag im schönen Lenbachhaus arbeitete. Also setzte ich mich am späten Sonntagnachmittag in den Zug und nölte innerlich vor mich hin, dass alle Wochenende hätten, nur ich nicht. Im letzten Wintersemester hatte ich das irgendwie gar nicht überrissen, dass ich den Termin hätte ändern können. Aber in diesem Semester dachte ich daran, nahm den Donnerstag, weil dann schon fast Wochenende ist, wenn ich fertig bin, aber noch nicht ganz, weswegen ich noch auf eine okaye Anwesenheitsquote der Studis hoffen konnte. Ich fange im Sommer immer morgens gegen 8 oder 8.30 Uhr an, was ich als Studi gehasst habe, aber einer meiner Dozenten, der auch immer den frühen Slot hatte, meinte mal: „Um diese Uhrzeit sind nur die Leute hier, die wirklich hier sein wollen.“ Das fand ich überzeugend, und wenn ich die Mitarbeit meiner Studis so ansehe, scheint das immer noch zu stimmen.
Was für einen Unterschied das für das eigene Wohlbefinden macht, sich vormittags in einen sauberen Zug zu setzen sowie den halben Nachmittag für schöne Dinge zu haben, hat mich selbst überrascht. Memo to me: Falls ich nochmal angefragt werde, weiterhin diesen Termin nehmen. Im Winter dann aber erst wieder um 10, denn um 8 ist es noch dunkel und das mag ich so gar nicht.
Einziger Nachteil: Wenn man wochentags früher im Zug sitzt, sind da auch die üblichen Businesskasper. Ich hatte schräg vor mir einen Herren, der per Zoom eine Präsentation hielt. Ich hörte selbstverständlich interessiert zu, wusste aber auch nach zehn Minuten noch nicht, worum es eigentlich ging; irgendwas mit „IT-Prozessen“. Ich halte Beratungskram inzwischen fast immer für Powerpoint-Karaoke.
Mittwoch hatte ich dementsprechend noch so gerade Zeit, die tolle Ausstellung von Tony Cragg im Kunstpalast anzuschauen – und vor allem anzufassen OMG! Ich hatte die herrlichen Skulpturen von Cragg schon mal in der Albertina gesehen und wollte nichts mehr als sie anzufassen, was man natürlich nicht durfte.
In Düsseldorf darf man das aber bzw. das ist der ganze Witz an der Ausstellung. Und so reihte ich mich in die kleine Menge an Besucher*innen ein, die genau wie ich mit leuchtenden Augen alles angrabschten, was rumstand.
Bei einer Bronzeskulptur sah man sehr deutlich, welches die beliebtesten Stellen des Publikums waren.
Ein Kind zeigte seinem Stoffhasen ewig eine Spiegelsäule, die mit dem Angrabschen optisch nicht ganz so gut klargekommen war, was mich daran denken ließ, dass die Putzkolonne hier Überstunden machen musste.
Ein Schild wies darauf hin, dass man die Werke bitte wirklich nur mit den Händen berührten sollte und das vorsichtig. Bei dieser Skulptur (Fiberglas?) verstand ich das „vorsichtig“ – sie bewegte sich ein bisschen unter meinen Händen.
An diesen Marmorblock hätte ich sehr gerne meine Stirn gelehnt, so weich und anschmiegsam war der Stein, aber ich war brav und ließ das bleiben.
Ich war völlig fasziniert davon, wie kühl Bronze war. Irgendwie hatte ich immer erwartet, sie warm vorzufinden. (Ausgerechnet an diesem Tag mit Pflaster unterwegs.)
Da ich von einem Katalog ausgegangen war, fotografierte ich kein einziges Werkschild, weswegen die Bilder hier keine Titel haben. Es gab nämlich keinen Katalog, ich habe keine Ahnung, was ich alles angefasst und bewundert habe. War mir aber relativ schnell egal, denn das war wie ein Spa Day. So entspannt bin ich noch aus keiner Ausstellung gekommen. Herrlich. Bitte noch schnell hingehen und Kunst anfassen, die Schau läuft nur noch diese Woche.
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Der Donnerstag war anstrengend, aber großartig, und ich kam mit einem totalen Hochgefühl aus dem langen, langen Unterricht. Das versaute mir dann aber die Bahn, weil mein gemütlich gebuchter 16.22-Uhr-Zug ausfiel und ich gerade noch so total abgehetzt und verschwitzt die 15.22-Uhr-Verbindung erwischte. Innerlich entschuldigte ich mich bei allen Mitreisenden, ich hoffe, ich habe nicht zu sehr gestunken. Ab Frankfurt war’s aber egal, da saß jemand vor mir, der dem Geruch nach zu urteilen ungefähr ein Kilo Cannabis in seinen Haaren verteilt hatte.
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Freitag hatte ich einen erst Dienstag angesetzten Termin, zu dem ich nur so halb gut vorbereitet kam, weil ich schlicht nicht genug Zeit für eine anständige Vorbereitung gehabt hatte. Den setzte ich dann auch gefühlt komplett in den Sand und war danach stundenlang mies drauf. Gestern noch eine Königin, heute der Depp mit Hut.
Abends gab’s immerhin einen hervorragenden Rotwein und einen eher pferdestalligen Burgunder, der ernsthaft eine knappe Stunde an der Luft brauchte, bis ich ihn trinken wollte und nicht nölig vom Glas wegzuckte. Dazu gab’s viel Käse und noch mehr gute Gespräche und vor allem sehr viel Musik. F. und ich sind inzwischen fast neun Jahre zusammen und wir klärten JETZT endlich mal die Dinge, die man sonst so beim zweiten Date abfragt: „Hey, was hörst du eigentlich seit 30 Jahren für Musik?“ Bin jetzt auf dem neuesten Stand aller Gitarrenbands der USA und der Herr kennt nun „Tanz den Mussolini“ von DAF. Wir waren um 4 im Bett, nachdem wir am Küchentisch diverse Songs mitgesungen hatten, als Abschluss meine ich, war es „Self Esteem“ von The Offspring, deren CD jetzt auch gerade beim Bloggen mitläuft. Schon ewig nicht mehr gehört.
Samstag gleich noch eine Ausstellung weggeguckt. Noch mehr Rotwein getrunken und Käse gegessen. Und mit Champagner angestoßen, aus Gründen.
Sonntag ewig gemeinsam rumgelungert. Kuchen gebacken. Pflaumen mussten weg, es hilft ja nichts, alles ganz schlimm.
Abends spontan auf ein kleines Bierchen in der Stammkneipe eingekehrt. Die ersten 20 Minuten eines fiesen Regenschauers noch unter der Markise draußen genossen, aber irgendwann kam das Wasser nicht mehr von oben, sondern seitwärts. Für fünf Minuten reingegangen und im Stehen getrunken, dann wieder rausgesetzt und das komische Licht angeschaut.
Gestern auf dem Balkon endlich „Franziska Linkerhand“ ausgelesen; das zog sich zum Schluss doch ein bisschen. Ich mochte das Buch sehr, kann aber ein paar Sätze aus dem Nachwort meiner Ausgabe nachvollziehen: „Die Überladung einzelner Figuren mit einer Fülle von Geschichten stellt ein Grundproblem des Romans dar. Brigitte Reimann besaß die Gabe, Menschen zuzuhören, und sie konnte Geschichten erzählen. Doch ihr stand in ihrem Roman nur ein begrenzter Personenkreis zur Verfügung, der diese Fülle von Geschichten tragen musste.“ Ja. Wahnsinnig viel Biografie, sehr wenig Handlung. Trotzdem: ganz große Empfehlung. Vielleicht ab und zu mal zehn Seiten quer lesen, das passt schon.
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Hatte ganz vergessen, wie gern ich „Gotta get away“ mag.