Donnerstag, 11. Juli 2024 – Blond
Das Buch „Blonde Roots“ von Bernardine Evaristo durchgelesen. Es kehrt die Geschichte der Sklaverei um und macht Schwarze Menschen („Blaks“) zu den Besitzer*innen von weißen Menschen („whytes, wiggers“). Letztere versuchen, sich mit Dreadlocks, Cornrows und Lehm im Gesicht dem Schwarzen Schönheitsideal anzupassen. Sie bekommen nach ihrem Raub vom „grauen Kontinent“ Europa, der laut der Landkarte, mit der das Buch beginnt, südlich von „Aphrika“ liegt, aphrikanisch klingende Namen als „slave names“. Die Hauptfigur heißt also nicht mehr Doris Scagglethorphe, sondern Omorenomwara, die als Mädchen entführt und versklavt wird und eines Tages als junge Frau die Gelegenheit zur Flucht bekommt.
Im Buch kommen fast nebenbei lauter Klischees vor, die ich mit Schwarzen oder weißen Menschen verbinde, mit den Kulturen von Europa und Afrika, und jedesmal musste ich kurz im Kopf umdenken, weil ich durch meine Schulbildung, meine eigenen Erfahrungen, dem Medienkonsum von 40 Jahren und auch der universitären Ausbildung, gerade in Kunstgeschichte, gnadenlos festgeschriebene Empfindungen und Vorstellungen im Kopf habe. Das war im besten Sinne irritierend.
Was mich aber bis zum Schluss des Buchs fertiggemacht hat, weil ich es nicht abschütteln konnte, worüber ich noch nachdenke: dass ich bei jeder Beschreibung von Sklaverei oder Sklaven und Sklavinnen automatisch Bilder von nicht-weißen Menschen im Kopf hatte. Das Buch bemüht sich auf so gut wie jeder Seite, mich daran zu erinnern, dass die Hauptperson weiß ist und ihre Besitzer*innen Schwarz, aber in meinem Kopf war es immer umgekehrt. Wenn die Wunden einer Auspeitschung beschrieben werden, hatte ich automatisch Bilder eines Schwarzen Rückens im Kopf, vermutlich, weil ich noch keine anderen gesehen habe – oder im Vergleich zu den Bildern der US-amerikanischen Sklaverei viel zu wenige. Wie gesagt: im besten Sinne irritierend.
Die Geschichte liest sich genauso schmerzhaft wie alle anderen Storys über Sklaverei, aber der simple Trick, Schwarz und weiß und die dazugehörigen Machtverhältnisse umzukehren, macht es trotzdem zu einem sehr lesenswerten und erstaunlich unterhaltsamen Buch.
Ich frage mich gerade, ob ich es als unterhaltsam empfunden habe, weil ich weiß, dass es Fiktion ist. Wobei ich natürlich bequem ignoriere, dass diese Fiktion auf einer furchtbaren Wahrheit beruht. Ich wiederhole mich erneut: irritierend.