„Noch jemand wach im Marketing?“

Ich freue mich seit zwei Tagen über den Artikel von Marlene Knobloch zur irrsinnig dämlichen Idee von Adidas, einen Schuh herauszubringen, der an die Olympischen Spiele 1972 erinnert – und dafür ein Model zu engagieren, das gerne antisemitischen Quatsch von sich gibt.

Der Artikel beginnt mit einer Abrechnung von Werbe- und Marketingagenturen, und als jemand, der diesen Zirkus nun endlich hinter sich lassen kann, möchte ich sagen: Genau so ist das.

„In der Regel rasten Scharen von Designern, Textern, Creative Directors nach einem Auftrag eines großen Kunden aus, köpfen Cremantflaschen und beuten sich für die nächsten Monate begeistert aus, werfen Bälle an die Wand, trinken literweise Kaffee, brüten bis tief nachts vor Stehschreibtischen, um schließlich eine 50-seitige Präsentation zu zeigen, in der Worte wie „Universum“, „Brand-World“ und der Vitruvianische Mensch von Leonardo da Vinci auftauchen („perfekte proportions“).

Mit von Concealer schlecht kaschierten Augenringen präsentiert man dann ein „Rebranding“ des Logos, einen etwas elliptischeren Kreis, einen leicht veränderten Farbton. Oder den neuen Slogan, das Ergebnis eines 50-köpfigen Teams nach monatelanger Arbeit, zum Beispiel: „100 Prozent Genuss“.“

Dann beschreibt Knobloch sehr genau, was das verdammte Problem am ganzen ist: dass mal wieder niemand über die eigene Nasenspitze hinaus gedacht hat, wenn überhaupt bis dort hin.

„Bella Hadid als große Antisemitin zu entlarven, ist gar nicht zwingend nötig. Es reicht, sich zu fragen, ob es wirklich eine gute Idee war, eine propalästinensische Aktivistin, die regelmäßig gegen den israelischen Staat austeilt, als Gesicht für eine an Olympia 1972 erinnernde Kampagne auszuwählen? Und ob wirklich niemand im sicher nicht unterbesetzten PR-Team eine Sekunde an die ermordeten israelischen Sportler gedacht hat?“

Sie erwähnt die Geschichte von Adidas, die auch gerne so tun, als hätten sie sich 1945 aus dem Nichts gegründet. Dass einer der Gründer sich niedlich „Adi“ abkürzt, weil sein Taufname nicht mehr ganz en vogue ist, ist ein netter Zufall. No jokes with names, mein Patenonkel trug diesen Namen ebenfalls, genau wie sein Vater. Aber hier passt es halt so schön. Die Erwähnung von Kanye, an dem Adidas ewig festhielt, auch als sich so langsam herausstellte, dass er kein verkanntes Genie, sondern ein beknackter Antisemit ist, passt auch.

Der gesamte Tonfall des Artikel ist Balsam auf meine Seele. Er ist nicht aufgeregt, nicht fassungslos, nicht anklagend, sondern fragt einfach mal gründlich nach. Der Artikel liest sich so, als ob jemand jetzt aber echt mal von allem die Schnauze voll hat, und ich fühle mich sehr verstanden.

„Adidas will die Olympia-Kampagne jetzt „überarbeiten“. Auf eine Anfrage antwortet das Unternehmen: „Wir sind uns bewusst, dass Verbindungen zu tragischen historischen Ereignissen hergestellt wurden – auch wenn diese völlig unbeabsichtigt sind –, und wir entschuldigen uns für jegliche Verärgerung oder Leid, die dadurch verursacht wurden.“ Frage: Wie kann man keine Verbindung zu „tragischen historischen Ereignissen“ herstellen, wenn sie an dem historischen Ereignis stattfanden, an das man erinnern will? Es ist nicht so, als hätte sich ein Radfahrer während der Olympischen Spiele 1972 irgendwo in Trudering am Knöchel verletzt.“

Hier der SZ-Paywall-Link, hier der von Archive.