Bücher 2010 – Januar

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(Bitte beachten Sie das total gewollte Schattenspiel im Bild, das nicht von meinem dicken Kopf kommt, sondern von der Sessellehne, damit ich einen weißen Hintergrund habe. Den man ja auch total toll sieht auf dem Bild. Mpf. Auf die Leseliste für Februar: Knipsen für Dummys.)

Volker Ullrich – Die nervöse Großmacht 1871–1918. Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs

Knapp 50 Jahre auf 600 Seiten unterzubringen, ist nicht einfach. Vor allem, wenn es nicht „nur“ um die Politik des Kaiserreichs bzw. überhaupt erst einmal seine Entstehung geht, sondern auch um Kultur, Alltagsleben, des Entstehen von Parteien, Gewerkschaften, Vereinen; Bildung, Frauen in der Männergesellschaft, Militarismus undsoweiterundsofort … Ich fand das Buch sehr aufschlussreich, aber in vielen Belangen nicht aufschlussreich genug. Viele Themen werden nur angerissen bzw. das Buch bleibt an der Oberfläche – wie gesagt, bei gerade 600 Seiten ist das nicht anders möglich, aber ich habe bei fast jedem Thema gedacht, da hätte ich jetzt gerne noch mehr darüber gewusst. Insofern ist Die nervöse Großmacht eher ein Sprungbrett für weiterführende Literatur, aber ein guter, weil kompakter Einstieg in das Thema. (Und ich hatte noch nie was von der Bagdadbahn gehört!)

David Yurkovich – Death by Chocolate: Redux

Äh … also: Da ist ein Besitzer eines Schokoladenladens, der in die Schweiz eingeladen wird, um sich anzugucken, wie Schokolade hergestellt wird. In der Fabrik wird ihm klar, dass er umgebracht werden soll, woraufhin er sich in einen Bottich mit Schokolade stürzt, in dem schon ein Alien gefangengehalten wird, aus dem Schokolade gemacht wird, das sich jetzt mit ihm verbindet, und als der Mann wieder aus dem Bottich klettert, ist er aus Schokolade und kann alles andere auch in Schokolade verwandeln, was das FBI etwas nervös macht, und dann gibt’s noch einen Subplot mit einem Hund aus dem All, der sprechen kann und unbedingt Ernest Hemingway kennenlernen will. Äh. Ja. Oder anders: tolles Buch. Die Zeichnungen sind großartig – schwarzweiß, sehr grafisch, kantig, sieht aus wie nöliger Linoldruck. Und bei aller Seltsamkeit ergibt die Geschichte sogar irgendeinen Sinn. Hat sich wenigstens so angefühlt. So wie aus einem fremdartigen Film zu kommen, wo man sonst nur Amipopcornzeug guckt. So wie das Hirn mal durchgewischt zu kriegen. Gleich nochmal lesen.

Warren Ellis/Darick Robertson – Transmetropolitan 3: Year of the Bastard

Bisher mein liebster Transmetropolitan, weil er sich keinen Durchhänger leistet wie die ersten beiden Bände, die mir zwar auch gut gefallen haben, wo einem aber irgendwann die ziellos schlechte Laune von Spider Jerusalem auf den Keks gegangen ist. In Year hat sie ein Ziel: Es geht um die Kandidatenkür zur Präsidentschaftswahl, Spider braucht mal wieder eine neue Assistentin, und berechtigterweise findet er die Welt größtenteils zum Kotzen. Mit hat das Tempo sehr gut gefallen, das einen schönen Rhythmus findet zwischen Raserei und Einsicht, und ich mag immer noch Bilder und Tonfall der Serie.

Marguerite Abouet/Clément Oubrerie (Kai Wilksen, Übers.) – Aya

Aya erzählt die Geschichte von drei Freundinnen von der Elfenbeinküste 1978. Vornehmlich geht’s um Jungs, ums Ausgehen, um die Familie, aber auch um Träume, die von der vorgezeichneten weiblichen Karriere abweichen. Denn Aya hat so gar keine Lust, sich nur einen Ehemann zu suchen, sondern will Ärztin werden und kann es überhaupt nicht leiden, wenn ihr wildfremde Männer auf der Straße hinterherpfeifen. Sowohl für die Autorin Abouet (die von der Elfenbeinküste stammt) als auch für den Zeichner Oubrerie ist es der erste Comic, was man dem Buch aber nicht anmerkt. Sehr stimmungsvolle Bilder und absolut treffende Dialoge, bei denen der Ãœbersetzer netterweise ein paar französisch-ivorische Eigenheiten ins Deutsche mitgenommen hat, was die Atmosphäre sehr schön ergänzt. So beenden die Jugendlichen ihre Sätze gerne mit „dêh“ (ich nehme an, ein Äquivalent zu „ey“ oder „Alder“), und ich kenne jetzt gleich drei wohlwollende Begriffe für einen schönen Hintern. Und auch wegen des Satzes „Halt dein großes Maul, es sieht aus wie ein Kuharsch“ kaufe ich mir die zwei Nachfolgebände mit Freude.

(Leseprobe bei Carlsen Graphic Novels und als Bonustrack das Weblog von Monsieur Oubrerie)

Stendhal (Arthur Schurig, Übers.) – Die Kartause von Parma

Nun ja. Meisterwerk, sagen zum Beispiel Honoré de Balzac und Gustave Flaubert und das Internet. Ich fand es – tschuldigung – sehr plüschig. Es geht um Fabrizio del Dongo, einen italienischen Edelmann zur Zeit der napoleonischen Kriege. Als Jungspund reitet er mal eben so von Parma nach Waterloo, weil er dringend an einer Schlacht teilnehmen will, was in Italien nicht ganz so gerne gesehen wird, weswegen ihn seine reichen Verwandten bei der Kirche unterbringen, wo aus ihm was Anständiges werden soll. Stattdessen verknallt er sich in eine kleine Schauspielerin, während sich seine Tante in ihn verknallt, die aber mit einem Fürsten (Grafen? Baron? Ich kann mir sowas nie merken) verheiratet ist, obwohl sie zusätzlich noch einen anderen Fürsten/Grafen/Baron total schnuffig findet. Dann ersticht Fabrizio in Selbstverteidigung einen Nebenbuhler, landet im Gefängnis, woraus ihn diverse Damen befreien wollen, was höfische Intrigen und Passfälschungen noch und nöcher nach sich zieht. Hach. Alles sehr straff erzählt, keine Widerworte, Handlung los und durchgaloppiert. Mein Germanistikstudium ist zu lange her (deswegen hatte ich die Kartause auch überhaupt im Regal; wir haben damals Rot und Schwarz von Stendhal gelesen, und anscheinend hätte ich die Kartause auch lesen sollen, bin aber vorher zu den Historikern gewechselt), um das Buch anständig würdigen zu können. So kann ich nur sagen: liest sich nett weg, fühlt sich an wie ein gut gelaunter Film, dauert aber im Endeffekt zu lange. Entschuldigung, Herr Stendhal. Entschuldigung, Germanisten.

(Kompletter Text beim Projekt Gutenberg auf spiegel.de)

Brian Azzarello/Marcelo Frusin – Hellblazer: Good Intentions

Die Hauptfigur in Hellblazer, der Herr Constantine, ist sicherlich ein spannender Charakter, und mir hat auch die allgemeine, düstere Atmosphäre gefallen, die einen konstant in Ungewissheit hält, wo die Reise hingeht. Trotzdem fand ich Good Intentions eher naja. Hauptnörgelpunkt ist mal wieder das offensichtliche Ungleichgewicht beim Maß der Bekleidung an Männlein und Weiblein, was mir schlicht auf den Zeiger geht. (Deswegen bin ich auch immer noch nölig auf das affige Tom-Ford-Vanity-Fair-Cover, aber das nur sehr nebenbei.) Und obwohl mich die Geschichte mit ihrem Südstaatenslang, ihrem hohen Schwarzanteil in den Zeichnungen und sehr hübschen Zeitsprüngen teilweise faszinieren konnte (und mich an meine liebste X-FilesFolge erinnert hat), hat mich der Band eher kaltgelassen. Trotzdem geb ich der Serie noch eine Chance, weil ich, wie gesagt, die Atmo sehr gerne mochte.

Brian K. Vaughan/Pia Guerra – Y: The Last Man – Unmanned

Im Sommer 2002 zerstört ein Virus (?) alle Wesen auf der Welt, die mit einem Y-Chromosom geboren wurden – heißt: Plötzlich gibt es nur noch Frauen. Ganz Gallien? Nein, ein junger Mann namens Yorick und sein Kapuzineräffchen haben überlebt, warum auch immer. Sie machen sich auf den Weg nach Washington, wo Yoricks Mutter Kongressabgeordnete ist, obwohl Yorick eigentlich nach Australien will, wo seine Freundin gerade Urlaub macht. Dann gibt’s noch eine israelische Soldatin, eine Agentin, die einem Amulett hinterhergejagt ist, bevor sie jetzt von der Präsidentin zu Yoricks Bodyguard „befördert“ wird und eine Bande von Amazonen, die das ziemlich klasse finden, dass die Kerle alle weg sind, jetzt aber allen Frauen klarmachen wollen, wie das so geht mit dem „wahren“ Frau-Sein. So ganz hat mich The Last Man nicht überzeugt, weil die Story dauernd hin- und hertaumelt zwischen lustig, beklemmend und doof (wieso sind die Amazonen so zickig – ist doch jetzt alles so, wie’s ihrer Meinung nach sein soll?), aber ich muss trotzdem dringend wissen, wie es weitergeht. Nächster Band ist schon auf der Merkliste.

(Leseprobe bei amazon.de)

Maximilian Buddenbohm – Zwei, drei, vier. Wie ich eine Familie wurde

Hachschön. Das Blog des Verfassers ist ja auch immer hachschön und eins der wenigen Blogs, das ich nicht trotz, sondern gerade wegen des Kindercontents lese. Was ich ja sonst eher belanglos und egal finde. Merlix kriegt es aber hin, aus jeder Situation eine Pointe zu machen, und die sitzt auch immer und guckt nicht einfach eben so kurz mal rein, nein, die passt und bleibt, und ich musste im Buch auf so gut wie jeder Seite laut auflachen, genau wie ich im Blog immer lachen muss. Einige Geschichten kannte ich schon; völlig egal, ich lese sie immer wieder gerne. Hachschöne Empfehlung. Gleich ein Exemplar an die Patenkindseltern verschenkt.

(Für das absolut lieblose Cover kriegt der Verlag allerdings hiermit eine böse Rüge. Sieht aus wie auf dem Schulklo an die Tür geeddingt. Da gehen wir bitte nochmal bei, ja?)

Mike Mignola/John Byrne – Hellboy 1: Seed of Destruction

Der erste Hellboy-Paperback, mit dem die Saga beginnt. Ich hatte letztes Jahr schon zwei Folgebände gelesen, die mir sehr gut gefallen haben, die aber nun mit dem Fundament von Seed noch besser werden. Wir erfahren, wie Hellboy auf die Erde gelangt ist, was das Projekt Ragna Rok ist, um das es auch in den Folgebänden geht, wir lernen Gut und Böse und ganz Böse kennen. Ich bin immer mehr vom Höllenjungen fasziniert, von dieser seltsamen und unwiderstehlichen Mischung aus allen Fabeln, Märchen und Sagen dieser Welt und realen Dingen wie Nazis, Spionen und der üblichen menschlichen Hybris. Die Zeichnungen finde ich absolut begeisternd, die Storys sind zwar krude, aber ergeben doch irgendwie einen Sinn, und ich muss jetzt aufhören zu schreiben und sofort den nächsten Band anfangen.

(Leseprobe bei amazon.de)

Mike Mignola – Hellboy 3: The Chained Coffin and Others

Ein Sammelband an kurzen Geschichten, die fast alle auf Legenden und lokalen folk tales beruhen, und Hellboy ist eben auch irgendwie dabei. Nur eine Geschichte bringt den großen Handlungsbogen von Hellboy und seinen Kollegen vom Bureau for Paranormal Research and Defense voran, aber jede einzelne liest sich toll und lässt sich noch toller angucken. Ich bin der Serie inzwischen völlig verfallen. Ich liebe den Tonfall, der zwischen heroisch-gruselig und locker-aus-der-Hüfte schwankt, und ich kann mich an dem Rot, mit dem Hellboy gezeichnet ist, einfach nicht sattsehen.

Mike Mignola – Hellboy 4: The Right Hand of Doom

Wieder erstmal ein kleines Sammelsurium an Geschichten (darunter die zweiseitige Story Pancakes, die mich minutenlang hat hysterisch kichern lassen), und dann geht’s dem roten Jungen ans Eingemachte. Zuerst erfährt der Leser, was es eigentlich mit Hellboys rechter Hand aus Stein auf sich hat – und dann, warum er überhaupt auf der Erde ist. Zum ersten Mal geht die Saga etwas näher ran und gibt Hellboy einen runderen Charakter. Den habe ich bisher nicht vermisst, aber jetzt, wo er da ist, mag ich die Figur noch lieber. Wenn das überhaupt geht. Weiterhin große Empfehlung.

(Leseprobe bei amazon.de – mit den beiden Pancakes-Seiten)

Mike Mignola – Hellboy 6: Strange Places

Bisher der beste Hellboy. Strange Places besteht aus zwei längeren Geschichten, The Third Wish und The Island. In Island gehen die höllischen Pferde ein bisschen mit dem Verfasser durch; es geht um verfluchte Seeleute, die alten Mayas, Stonehenge und die spanische Inquisition – und vor allem, woher Hellboy kommt und was sein Lebenszweck auf dieser Erde und in dieser Zeit ist. Ich fand die Geschichte in ihrer Gesamtheit befriedigend, aber ich muss zugeben, dass ich mittendrin im ganzen Getümmel der Charaktere ein bisschen den Ãœberblick verloren habe. Aber bei Lord of the Rings hab ich auch erst beim fünften Angucken kapiert, worum’s wirklich ging. Ich les die Story also einfach nochmal.

Wish allerdings hat mich umgehauen. Mignola verwebt afrikanische Sagen mit Hans Christian Andersens kleiner Meerjungfrau und wirft noch ne Runde von seinem üblichen Monsterzeug dazu, und heraus kommt eine zutiefst traurige Geschichte über Wünsche und ihre Erfüllung und Familienbande und Traditionen, die im Guten wie im Bösen weitergeführt werden. Über die Bilder sag ich jetzt gar nichts mehr, ich fang ja eh bloß wieder an zu sabbern. Und hier passt auch von der Story alles, und ich kauf jetzt die restlichen Hellboy-Bände, die mir noch fehlen und weine, weil ich sie erst jetzt entdecke. (Und ganz eventuell guck ich mir mal die Filme an. Aber eher nicht.)

(Leseprobe bei amazon.de)

Leo Tolstoi (Werner Bergengruen, Übers.) – Krieg und Frieden

Monumental. (Lange über das Adjektiv da eben nachgedacht.) Und schön. Und groß. Und episch. Und herzzerreißend. Und vielschichtig. Leider einige frauenfeindliche Stellen drin (à la „Frauen sind doof, haben kleine Hirne und darin geht’s nur um Heiraten und/oder die Bibel“), die mich genervt haben, und ja, natürlich weiß ich, dass das Buch schon einen Hauch älter ist und diese dusselige Annahme, Frauen hätten leere, hübsche Köpfchen, damals relativ weit verbreitet war, aber es geht mir trotzdem auf den Zeiger, weil der Rest des Werks so zeitlos ist und so viel in sich trägt, so viel Einsicht über das menschliche Wesen, so viele schlaue und schöne Sätze über das Innenleben einer Seele und die Hoffnungen auf Glück und was Glaube bedeutet und Patriotismus und Familiensinn. Alles da, alles hervorragend und stimmig übersetzt, viel Tee dazu trinken und sich zwei Wochen nicht mehr vom Sofa bewegen. Ein wunderbares Buch. Bis auf die blöden Stellen eben. Habe sehr traurig von diesen vielen Seiten Abschied genommen.