re:publica, Tag 2
Ein Nachtrag zum ersten Tag: Das Panel, auf das alle schon hingewiesen haben, weil es so gut gewesen sein soll: Peter Kruse über Leben in Netzwerken. Jetzt guck’s ich mir auch endlich an.
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Radeberger schmeckt sehr lecker. Trotzdem pünktlich aus dem Bett gekommen, um mir „Tales from the Battlefield – Mark Glaser and the American Media Landscape“ im Quatsch Comedy Club anzuschauen. Durchsage an alle Rückenkranken wie mich: Die Stühle im Comedy Club sind sehr freundlich zu allen Körperteilen. Im Gegensatz zu den Folterinstrumenten in der Kalkscheune. Im Friedrichstadtpalast sitzt man am besten, allerdings etwas beengt, aber dafür wohlklimatisiert.
Der Vortrag hat mir gut gefallen, unter anderem, weil das Panel gleich aus zwei Interviewern und nur einem Interviewten bestand. Wolfgang Blau von Zeit Online würde ich gerne nochmal hören; seine Fragen fand ich sehr pointiert und spannend. Und Glaser im Gegenzug sehr auskunftsfreudig und unterhaltsam.
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Im Anschluss daran sprach … äh … irgendjemand mit Jürgen Kuri (Heise online), Kurt Jansson (Spiegel Online, davor Wikipedia), Markus Beckedahl (Netzpolitik.org) und Thomas Hauser (Badische Zeitung) zum Thema Community-Management. Hier habe ich nicht sehr viel Neues erfahren, außer vielleicht dass, wenn Redakteure von Artikeln sich wirklich mal in die Untiefen der Kommentare begeben, sich der Tonfall angeblich ändert vom sinnlosen Rumnölen zu einer echten Diskussion. Kann ich schwer beurteilen, ich gehe Kommentaren, gerade in Online-Ausgaben von Printerzeugnissen, sehr gerne aus dem Weg. Trotzdem hat mir die Stunde gefallen, Moderation und Teilnehmer fand ich sehr gut.
Beim Verlassen des Comedy Clubs bin ich Maike über den Weg gelaufen und habe mit ihr eine entspannte Mittagspause im nahegelegenen Balzac verbracht. Da ich zurzeit auf dem völligen Teetrip bin, habe ich erstmals einen Chai Latte geordert. Kann man machen. Die Pestopasta sollte man allerdings sein lassen.
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Nächster Tagesordnungspunkt: „Liebe ist für alle da“ mit Tessa von Flannel Apparel bzw. dem Freitag im gefühlt kleinsten Raum aller kleinen Räume. Mal wieder zu voll, fieses Unifeeling stellt sich ein, als sich erwachsene Menschen auf den Fußboden setzen. Diesmal war ich aber Fuchs und sehr früh da, weswege Maike und ich einen entspannten Platz neben Liz und Herm hatten. Tessa erzählte über Veränderungen beim Beginn, Führen und vielleicht auch Beenden von Beziehungen durch die Nutzung digitaler Techniken. Alleine die Problematik des Facebook-Beziehungsstatus’ hätte die ganze Stunde füllen können. Ist man wirklich verheiratet, wenn der Beziehungsstatus auf „verheiratet“ steht? Ich habe das, ehrlich gesagt, nie angezweifelt, aber ich glaube ja immer noch alles, was im Netz steht. Auch diskussionswürdig: Wenn beide Partner bloggen, spricht man sich dann ab, was man über den anderen schreibt? Oder schweigt man sich online über ihn/sie aus? Wie fühlt sich der Partner, wenn er/sie totgeschwiegen wird? Aus dem eigenen Nähkästchen: Der Kerl und ich sprechen uns meistens ab, was wir über den anderen bloggen oder twittern. Meistens. Es gab einen Tweet vom Kerl, über den ich mich geärgert habe, aber so schlimm, dass er ihn löschen sollte, war’s dann auch nicht. Ob er sich jemals über einen von meinen Tweets geärgert hat, sagt er nicht. Er sagt ja eh nicht viel. (♥)
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Direkt im Anschluss kamen Jens, Caro, Anne und bov, die sehr ausführlich das Internet hassten. Den Auftakt machte bov mit diesem schönen Text, der vorgetragen noch viel toller war und der meinen neuen Lieblingssatz enthält: „Das Internet ist an seiner dicksten Stelle exakt sieben Argumente breit.“ (Heute um 16 Uhr kann man den Text nochmal live hören, bei Felix, der auch das Internet hasst. Quatsch Comedy Club. Hingehen.)
Maike und ich haben uns gefragt, wie man diesen Standard über 50 Minuten halten will – was dann leider auch nicht eingelöst werden konnte. Trotzdem sehr unterhaltsam, mal alles Doofe am Netz bzw. an seinen Nutzern aufgezählt zu bekommen. Auch wenn ich die einzige war, die beim Stichwort „Ich hasse es zu merken, dass meine Kommentatoren doof sind“ geklatscht hat. (Womit ich nicht sagen will, dass alle meine Kommentatoren doof waren. Aber ein paar. Und die haben’s für alle ruiniert.)
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Kommentatoren sind einen schöne Überleitung zum nächsten Panel, auf das ich sehr gespannt war: „Sexismus im Internet“. Auf der Bühne hat Anne Roth Anna Berg von der Mädchenmannschaft und Klaus Schönberger (weiß nicht mehr, wer das war, und die re-publica-Seite spinnt man wieder, wenn man einzelne Panels aufrufen will) zu diesem Thema befragt.
Was ich vor allem mitgenommen habe: Es ist wichtig, das Thema immer wieder auf die Tagesordnung zu bringen. Es ist wichtig klarzumachen, dass dieses Thema eben nicht irgendeine Randgruppenbefindlichkeit ist, sondern uns alle betrifft, nicht nur Frauen, sondern auch Männer. Alleine das Unverständnis des Worts Feministin – ich persönlich bezeichne mich natürlich als Feministin, was nicht heißt, dass ich Männer doof finde und sie alle ausrotten will. („Einige meiner besten Freunde sind Männer.“) Ganz im Gegenteil. Ich poste sogar Fotos von ihnen in meinem Blog, bezahle Geld für Serien oder Kinofilme, wenn einer von ihnen, den ich besonders mag, in ihren mitspielt und gucke Fußball durchaus auch wegen der Attraktivität des anderen Geschlechts. Und obwohl ich Männer toll finde, kann ich mich sehr, sehr über einige von ihnen aufregen, zum Beispiel wenn sie mir in Diskussionen ein „Hast du gerade deine Tage?“ entgegenschleudern, wenn ihnen ein Argument von mir nicht passt. (Ja, das ist Sexismus, weil es mich in meinem Frausein angreift.) Oder eben über Piraten, die mir allen Ernstes weismachen wollen, dass das Wort „Pirat“ geschlechtsneutral ist. (Ich weise gerne nochmal auf einen Eintrag hin, den ich vor einiger Zeit im Blog hatte, der sich mit dem Zusammenhang von Sprache und Wahrnehmung befasst.) Oder – was gestern auch von einem Zuschauer kam – dass wir uns doch bitte nicht so anstellen sollen.
Antje Schrupp hat dazu schon die perfekten Sätze gefunden:
„Interessant fand ich den Hinweis mehrerer Männer (aus dem Publikum und vom Podium), dass diese Troll-Phänomene, von denen die Rede war, nicht nur in feministischen Blogs die Laune verderben, sondern dass es sie überall im Internet gibt. Natürlich ist der Hinweis von Anna Berg richtig gewesen, dass es einen Unterschied macht, ob einfach nur so getrollt wird, oder ob Frauen aufgrund ihres Frauseins gedisst werden, und ebenso, dass es auch weibliche Trolle gibt (habe eben gelernt, dass sie Trullas heißen).
Unabhängig davon finde ich aber den Hinweis trotzdem interessant, insbesondere in Zusammenhang mit der impliziten Schlussfolgerung, dass dieses Trollphänomen, weil es doch überall vorkommt, irgendwie dann auch normal sei und infolgedessen kein Grund, sich darüber besonders aufzuregen. Das ist nämlich die Stelle, an der ich widersprochen hätte: Denn nur dass Männer etwas normal finden, heißt ja noch lange nicht, dass es auch normal ist.“
Das Panel war leider etwas zäh, wobei ich nicht sagen kann, woran es lag. Ich habe besonders Anne und Anna sehr gerne zugehört, aber wahrscheinlich kannte ich einfach schon das meiste, worüber sie geredet haben. Gerade deshalb hoffe ich, dass einige Zuschauer und Zuschauerinnen da waren, die sich noch nicht so sehr mit diesem Thema beschäftigt hatten.
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Im Gewusel des Aufbruchs habe ich mich gar nicht von Maike verabschiedet – das hole ich hiermit nach. Der Ersatzbus für meine geliebte Tram (ich wiederhole mich gerne, wenn es um MEINE GELIEBTE TRAM geht) steht zur Feierabendzeit so dermaßen lange im Stau, dass die freundlichen Busfahrer (wirklich!) einen auch ausnahmsweise mal so rauslassen. So habe ich es um kurz vor sechs endlich in den Berliner Dom geschafft, den ich monatelang jeden Morgen gesehen habe, in dem ich aber nie drin war. Um 18 Uhr fand netterweise eine zweisprachige Andacht statt, so dass ich den imposanten Bau nicht wirklich besichtigen, aber dafür eine halbe Stunde innere Einkehr halten konnte. Was noch besser war.
Das Abendgebet bzw. der Evensong bestand aus mehreren Orgelimprovisationen, und wie ich direkt im Anschluss an die Andacht twitterte: Das Wort „Crescendo“ ist wirklich nur für Orgeln erfunden worden. Unglaublich volltönend und sehr, sehr schön. Da fühlt sich die riesige Kuppel mal nicht wie Deko und Architektenschickschnack an, sondern wirklich wie ein perfekter Klangraum.
Es folgte eine kurze Lesung aus der Apostelgeschichte, wir haben ein Lied gesungen, das ich sehr gerne mag, und dann kam ein kurzes Gebet. Der Pastor leitete es ein mit Wünschen an Gott, uns aus der Enge in die Weite zu führen. Keine Angst vor Unterschieden zu haben oder davor, Erwartunge nicht erfüllen zu können. Und ich habe alles auf das Internet beziehen können und auf seine Bewohner. Weswegen ich im stillen Gebet dann nicht nur für meine Freunde und Familie gebetet habe, sondern auch für uns alle, die wir uns online bewegen und dort auf Dinge treffen, die uns beunruhigen oder verzweifeln lassen, aber auch freuen und Hoffnung geben.