Kinsey

Kinsey erzählt die Geschichte des Biologen Alfred Kinsey, der mit seinem Kinsey-Report über die männliche Sexualität 1948 für sehr viel Aufsehen in den USA und weltweit sorgte. Nachdem er fünf Jahre später auch ein Buch über die weibliche Sexualität veröffentlichte, strichen ihm Förderer die Mittel – “you are telling Americans that their mothers and grandmothers had oral sex and masturbated” – und er starb wenige Jahre später.

Ich fand es spannend zu sehen, dass sich Kinsey erst für Sexualität und Probleme in diesem Bereich zu interessieren beginnt, als der eheliche Verkehr zwischen ihm und seiner Frau nicht klappte. Überhaupt ist die Beziehung zu seiner Frau der Motor, der ihn anscheinend antreibt. Umgekehrt haben seine Studien auch auf die Beziehung Einfluss; so gibt Kinsey seinem Verlangen nach einem homosexuellen Abenteuer nach – aus wissenschaftlichem Interesse, wie er sich zu rechtfertigen versucht. Seine Frau verzeiht ihm, geht aber ihrerseits ein Verhältnis mit demselben Mann ein, mit dem auch ihr Gatte geschlafen hat. Ebenfalls rein wissenschaftlich natürlich, denn auch sie ist Forscherin.

Kinsey behandelt das Thema „Sex“ sehr vorsichtig. Wir bekommen zwar explizite Bilder zu sehen und hören teilweise sehr anstrengende Berichte von Kinseys Umfragekandidaten, aber komischerweise fühlt sich der Film selbst an wie ein Experiment. Er bleibt unemotional, genau wie Kinsey und sein Team bei den Befragungen. Er maßt sich kein Urteil über seine Protagonisten an, sondern bildet sie einfach ab: mit ihren Wünschen, Moralvorstellungen, Schwächen, Widersprüchen, die so unwissenschaftlich daherkommen. Kinsey erscheint nicht als der strahlende Held, der ein verklemmtes Land befreien will. Wir sehen stattdessen, wie er an seinem Sohn die gleichen Fehler wiederholt, die er seinem eigenen Vater vorwirft, wie er sein Team als Studienobjekte behandelt und wie er manchmal vergisst, dass Liebe mehr ist als Sexualität und dass man sie deshalb nicht wissenschaftlich ergründen kann. Kinsey ist bis zum Schluss jemand, der auf der Suche ist, und manchmal vergisst man (vergisst er selbst?), wonach eigentlich.

Ich mochte die Distanz, die der Film hält, sehr gerne, denn durch die fast dokumentarische Handlung fühlten sich die Emotionen, die abgebildet werden, tief und wahrhaft an. Die Liebe gerade zwischen Kinsey und seiner Frau erschien manchmal so leicht und manchmal wie ein hartes Stück Arbeit. Aber sie trägt den ganzen Film. Und so ist Kinsey ein Film, der über Sexualität redet, aber dabei Liebe ausstrahlt.

2 Antworten:

  1. Vielleicht wäre es der Beziehung zwischen dem Ehepar Kinsey zuträglicher gewesen, statt Seitensprünge im Namen der Wissenschaft zu wagen, lieber Spirituosen und Toilettenpapier zu kaufen.

    Aber im Ernst: Der Film interessiert mich. Er scheint aber zumindest in München noch nicht, oder nicht mehr gezeigt zu werden. Er ist ja von 2004, müsste eigentlich also aktuell sein. Wissen Sie näheres?

  2. “Kinsey” ist, soweit ich mich erinnere, Ende März in die deutschen Kinos gekommen. Wahrscheinlich läuft er in München schon nicht mehr. Hier in Hamburg ist er auch seit letzter Woche aus den Kinos verschwunden.