Der (voraussichtlich) letzte Stundenplan im BA

Ich bin jetzt ein kleines Sechstsemester. Allmählich müsste ich mal Abschied von der Formulierung „das kleine Dingssemester“ nehmen, aber ich habe sie sehr liebgewonnen. Und der Effekt „Je länger ich hier bin, desto mehr weiß ich, dass ich nichts weiß“ sorgt eh dafür, dass ich mich eben immer noch wie das kleine Dingssemester fühle.

Trotzdem bin ich jetzt im letzten Semester des Bachelor-Studiums angekommen. (Hier bitte alle das Riechsalz rausholen und fassungslos „Wo ist die Zeit geblieben?“ kieksen. Ich mach das auch dauernd.) Da ich im fünften Semester die Superstreberin habe raushängen lassen und alles, was ich noch erledigen musste, erledigt habe, bleibt für mein letztes Semester wirklich nur noch Kleinkram. Naja, und die Bachelorarbeit halt, für die ich Ruhe haben wollte, was mir gelungen ist. Die einzigen Kurse, deren ECTS-Punkte mir noch fehlen, sind eine Übung, die zum Praktikumsmodul gehört, sowie das Kolloquium, das die BA-Arbeit begleitet. Das war’s. Aber ein winziges bisschen mehr Programm gönne ich mir dann doch.

Montag, 10–12 Uhr: Einführung in die Stadtbaugeschichte

Ich hatte in Geschichte im dritten Semester einen Kurs „Die Stadt in Süddeutschland. Von den Anfängen urbaner Kultur bis ins 20. Jahrhundert“ und im letzten Semester die „Stadt im Mittelalter“. In Kunstgeschichte habe ich mich unter anderem mit Architektur in der Stadt beschäftigt, also mit Rathäusern, Börsen, Salzstadeln und ähnlichem sowie mit Bauwerken, die vielen Städten vorausgegangen sind wie Pfalzen, Residenzen, Burgen oder Klöster. Was mich an diesem Kurs gereizt hat, war die Zusammenführung des bisher Gelernten mit noch ein bisschen Sahne obendrauf:

„Befundorientierte Baugeschichte – „historische Bauforschung“ – ist nicht auf das Einzelbauwerk beschränkt, sondern auch auf größere Objektzusammenhänge anwendbar. Besonders bedeutend ist dies im Kontext historischer Stadtanlagen. Diese sind einerseits als Gefüge zahlreicher Einzeldenkmäler zu interpretieren, zugleich aber auch als Denkmäler in sich, mit relevanten geschichtlichen Eigengesetzlichkeiten.

Bei der Untersuchung von Stadtbaugeschichte treten methodisch damit neben der befundorientierten Objektuntersuchung wesentliche weitere Analysemethoden, insbesondere interdisziplinärer Wissenstransfer aus politischer Geschichte, Sozialgeschichtsschreibung, aber auch auch technisch-materielle Aspekte wie Materialverfügbarkeit, Topographie, Verkehrswegeführung.“

Wir hatten bis jetzt drei Sitzungen, und obwohl die Veranstaltung eher eine Vorlesung ist als eine Übung, bin ich bis jetzt sehr zufrieden und habe schon viel gelernt. Für das Referat durften wir uns alle eine Stadt aussuchen, über die wir sprechen. Ich beschäftige mich nach 15 Jahren Wohnsitz da mal mit Hamburg.

Mittwoch, 10–12 Uhr: Architektenkarrieren im Mittelalter und der frühen Neuzeit

In der Vorlesung sitze ich freiwillig. Man kann ja nie genug über Architektur wissen. Eigentlich hatte ich mir auch noch eine Geschichtsvorlesung über Lebensgewohnheiten und Lebensarten im 18. und 19. Jahrhundert in den Stundenplan gepackt, aber irgendwie sitze ich Montags nach der Stadtbaugeschichte doch lieber in der Bibliothek als im Hörsaal.

Donnerstag, 10–12 Uhr: Französisch A 2.1

Theoretisch mache ich den Kurs auch freiwillig, praktisch wollen sowohl München als auch Hamburg von ihren Master-Bewerber*innen eine zweite moderne Fremdsprache nachgewiesen haben. Eigentlich auf Niveau B – da bin ich noch nicht, nach A 2.1 kommt noch A 2.2 und dann erst B. Hamburg reicht der Nachweis aber bis Ablauf des zweiten Semesters, das kriege ich also hin. München hält sich bedeckt, und ich hoffe, dass mein guter Wille, meine total tollen Noten und mein liebreizender Augenaufschlag das irgendwie hinbiegen.

Donnerstag, 14–17 Uhr: Kolloquium

Darauf habe ich mich gefreut, seit ich im letzten Semester schon ein paar Mal da war, weil mein Dozent mich eingeladen hatte. Im Kolloquium sitzen alle Prüflinge des Dozenten, ganz gleich, ob BA, MA oder Promotion. In der ersten Sitzung haben alle kurz ihre Projekte vorgestellt, was für mich total praktisch war, weil ich gleich zwei Kerlen Fragen zu ihren Themen stellen konnte, die mein Thema gut ergänzen. In den folgenden Wochen stellt dann jeder seine Arbeit ausführlicher als Referat vor, und ich finde es großartig, einen ganz wilden Querschnitt durch die Kunstgeschichte zu haben. Klar sind hier Architekturthemen in der Überzahl, weil das eines der Fachgebiete des Dozenten ist, aber das ist mir natürlich auch recht. Wenn kein Referat zu halten ist, erzählen wir, was für Bücher wir gerade lesen oder in was für Ausstellungen wir waren, und daraus entspinnt sich dann ein wilder thematischer Ritt durch die Jahrhunderte. Ich mag das sehr.

Praktikum

Nach der Rücksprache mit der Studienreferentin war ich sehr erleichtert, dass ich kein Praktikum mehr machen muss, sondern meine Berufstätigkeit im Praktikumsbericht beschreiben darf. Im Bericht muss man irgendwie aufzeigen, dass das Praktikum einen im Studium weiterbringt oder das Studium einen gut für das Praktikum vorbereitet hat. Ich habe also versucht zu beschreiben, wie eine Werbeagentur funktioniert und dass mir mein Studium natürlich dabei geholfen hat, Kulturmarketing auf einem ganz neuen Niveau zu betreiben. Beim Verfassen des Berichts habe ich gemerkt, wieviel Bullshit-Bingo-Begriffe wir Werber*innen den ganzen Tag verwenden, ohne dass es mir noch auffällt. Dafür ist es meinem komplett werbe-unaffinen Korrekturleser Felix aufgefallen, der unter den Bericht schrieb: „Learn some fucking German, people.“ Recht hat der Mann. Darauf werde ich mich mal committen.

BA-Arbeit

Arbeitstitel: „Eine Epoche neu sehen. Konzept für eine Datenbank bayerischer Klöster der Romanik.“ Die Idee hatte ich, als ich mit meiner geliebten Frauenchiemsee-Hausarbeit beschäftigt war: eine Datenbank, die den Vergleich zwischen Gebäuden erleichtert und damit auch die Datierung (denn wir KuGis datieren stilkritisch, das heißt: wir vergleichen). Im Oktober trug ich die Idee meinem Dozenten vor, der meinte, eine Datenbank müsse aber schon mehr zu bieten haben als eine durchsuchbare Exceltabelle zu sein und warf mir Begriffe wie WissKI und Semantik zu.

Deswegen beschäftige ich mich in meiner Arbeit jetzt mit 3D- und 4D-Visualisierungen, die die Architektur der bayerischen Klosterlandschaft zwischen 700 und 1200 nachvollzieht. Referenzprojekte für Gebäudevisualierungen wären z.B. Synagogen und Barockschlösser. Mir geht es weniger um die kleinteilige Rekonstruktion, sondern um die Baukörper. Zusätzlich denke ich über eine semantische Datenbank und ihre Ontologien nach, die textliche Verbindungen zwischen den einzelnen Klöstern aufzeigen kann, ähnlich wie WikiData.

Im Hinterkopf habe ich auch noch Überlegungen zu zukunftsfähigen Datenformaten (Stichwort „digital graveyard“) und lustigen Goodies, die noch niemand in der wissenschaftlichen Lehre benutzt hat wie Oculus Rift oder Computerspieloptik wie in Assassin’s Creed. Ich denke über interdisziplinäre Nutzung der Datenbank nach, die Historiker*innen und Wirtschaftswissenschaftler*innen mit einbezieht. Und ganz zum Schluss, aber ich weiß noch nicht, ob das wirklich in diese Arbeit gehört oder ob da die Werberin mit mir durchgeht, überlege ich, ob diese Datenbank auch außerhalb des Elfenbeinturms nutzbar ist, Stichworte Citizen Science und Communitybildung: „Kloster-Swarm! Check in fünf romanischen Klöstern ein und wir geben dir ein Bier in der Klosterbrauerei aus!“

Damit das ganze keine Arbeit in Informatik wird, schreibe ich auch über die Romanik als Epoche, warum Klöster im Mittelalter so wichtig waren und mache aus den Architekturdetails von mindestens drei Klöstern eine Art Probedatensatz, damit ich was zum Vergleichen habe.

Die Datierung ist nach dem ersten Versuch eines Exposés deutlich in den Hintergrund gerückt – mein Fokus liegt jetzt mehr auf der Frage, wie die Digitalisierung die Kunstgeschichte verändert. Die Datenbank soll mehr sein als als nur eine bequeme Suchfunktion; mir geht es in der Arbeit darum, nicht nur Gebäude, die es nicht mehr gibt, zu visualisieren bzw. die Entwicklung noch bestehender Substanz nachzuvollziehen, sondern es geht mir darum, Beziehungen zwischen den einzelnen Bauwerken aufzuzeigen. Quasi ein Beziehungsgeflecht zu entwerfen, das einen neuen Blick auf die romanischen Klöster in Bayern zulässt. Das ist kunsthistorisch interessant, weil sich Kloster architektonisch durchaus von anderen haben inspirieren lassen, und historisch, weil die Klöster zueinander in Beziehungen standen, sei es durch Verbrüderungsbücher oder wirtschaftlich bzw. politisch.

Und dann bin ich fertig.

12 von 12 (am 21.)

Auf Instagram war ich pünktlich, ins Blog kommen die 12 Einträge vom 12. des Monats erst heute. Because I can.

Mein Tag begann, wer hätte es gedacht, mit dem Frühstück. Okay, eigentlich begann er mit Toilettengang und Dusche, aber das wollte ich erstens nicht fotografieren und zweitens kam dann schon Frühstück. Wenn ich in die Uni gehe, bin ich morgens mit Saft und Cappuccino zufrieden; wenn ich länger in die Bibliothek rumlungere, wo ich nichts essen kann, gibt’s morgens noch Müsli; Sonntags gibt’s Toast. Ich frühstücke im Bett, wie sich’s gehört.

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Gebloggt. Hier und hier.

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Zeitfresser, die einfach sein müssen, weil sie den Kopf schön ausknipsen: Candy Crush und Hay Day. Das Bild ist so diesig, weil ich Honk mit dem iPhone das iPad fotografiert habe, anstatt mit dem iPad einen Screenshot zu machen und diesen zu instagrammen. Ich möchte nicht darüber reden.

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Aufs Rad geschwungen und zum Haus der Kunst gefahren, wo ich mit Felix und Florian verabredet war, um unseren Podcast vorzubereiten. Direkt neben dem Museum ist der Eisbach, der über eine stehende Welle verfügt, auf der das gesamte Jahr lang Surfer unterwegs sind. Ein klassisches Münchner Ausflugsziel, leicht daran zu erkennen, dass dauernd Menschen am Brückengeländer stehen, weil eben dauernd jemand auf der Welle reitet.

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Ich mag die Architektur des Hauses der Kunst. Ich weiß, das ist nicht PC, aber ich finde es sehr reizvoll, mich mit ihr zu beschäftigen.

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Erste Ausstellung: Louise Bourgeois, dann Kaffeepause in der Goldenen Bar. Die Ausstellung ist sehr empfehlenswert; wir sprachen darüber.

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Nach der zweiten Ausstellung ging’s nach Hause. Kochen … (die Arbeitsplatte gehört zur Wohnung, dieses Punktemonster hätte ich mir nie freiwillig ausgesucht) …

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… essen … (Räuchertofu anbraten, beiseite stellen, in der gleichen Pfanne das Gemüse braten, nebenbei Reis kochen, fertig) …

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… trinken … (bestes Bier der Welt) …

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… und später abwaschen. Von allen Hausarbeiten mag ich Abwaschen am liebsten, ich finde das sehr meditativ. Vielleicht patsche ich aber auch einfach nur gerne mit Wasser und Seifenblasen rum.

Genau wie ich mich abends abschminke, ganz egal wie spät es ist oder wie betrunken ich bin, räume ich auch jeden Abend die Küche auf, ganz egal wie spät es ist oder wie betrunken ich bin. Wenn wir bis 2 Uhr Wein trinken, poliere ich eben bis 3 Uhr noch Gläser. Ich verabscheue es zutiefst, morgens in die Küche zu kommen und einen Berg Arbeit zu sehen. Ich komme lieber morgens in die Küche und sehe einen aufgeräumten, sauberen Raum, in dem ich mir Cappuccino zubereite(n lasse, danke, Nespresso), während ich nur das saubere Geschirr vom Vorabend wegräumen muss.

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Noch fix ein Dokument ausgedruckt, das ich letzte Woche im Sekretariat abgeben musste.

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Derzeitige Lektüre. Diese Bettwäsche sehe ich übrigens dauernd auf Twitter oder Instagram, da hat Ikea anscheinend mal so richtig den kleinsten gemeinsamen Nenner erwischt.

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Links vom 19. April 2015: Auschwitz als Museum, Art as Therapy, Wordless Ads

Preserving the Ghastly Inventory of Auschwitz

Rachel Donadio schreibt in der NYT darüber, wie Konservator*innen und Restaurator*innen mit Auschwitz als Gedenkstätte umgehen.

„The job can be harrowing and heartbreaking, but it is often performed out of a sense of responsibility.

“We are doing something against the initial idea of the Nazis who built this camp,” said Anna Lopuska, 31, who is overseeing a long-term master plan for the site’s conservation. “They didn’t want it to last. We’re making it last.”

The strategy, she said, is “minimum intervention.” The point is to preserve the objects and buildings, not beautify them. Every year, as more survivors die, the work becomes more important. “Within 20 years, there will be only these objects speaking for this place,” she said.“

Es gibt auch Stimmen, die sich gegen die Erhaltung der Gebäude aussprechen:

„Over the years, there have been dissenting views about the preservationist approach. “I’m not convinced about the current plans for Auschwitz,” said Jonathan Webber, a former member of the International Auschwitz Council of advisers, who teaches in the European Studies program at the Jagiellonian University in Krakow. “If you have a very good memorial, you could achieve that without having to have all this effort on conservation and restoration,” he added.“

Ich lese gerade ein sehr spannendes Buch, über das ich auch irgendwann mal bloggen werde: Munich and Memory: Architecture, Monuments and the Legacy of the Third Reich (auf Deutsch dusselig übersetzt mit Architektur und Gedächtnis. München und Nationalsozialismus. Strategien des Verbrechens) von Gavriel D. Rosenfeld. Es geht um die Auseinandersetzung um den Wiederaufbau von München 1945. Die Stadt wurde zwischen 1943 und 1945 mindestens 66 Mal durch Luftangriffe beschädigt. Nur zweieinhalb Prozent aller Gebäude blieben unbeschädigt; zwischen einem Drittel bzw. der Hälfte aller Gebäude wurden schwer beschädigt bzw. zerstört, in der Altstadt 60%, in Schwabing 70%. Der größte Teil des Buches befasst sich mit den Diskussionen darüber, wie man die Stadt wieder aufbaut – oder ob überhaupt: Was wird abgerissen (wie die Maxburg), was originalgetreu wieder aufgebaut (wie der Alte Peter) und was nur äußerlich (wie die Frauenkirche, deren gotikisiertes Inneres nicht wiederherstellt wurde, oder die Residenz). Es gab sogar die Diskussion, Schuttberge zu erhalten, die als Mahnung gelten sollten.

Worauf ich hinaus will: Es gibt in der Denkmalpflege zwei Strömungen, die ich erst durch dieses Buch kennengelernt habe. Man kann Gebäude wegen ihrer stilistischen Reinheit oder wegen ihrer Authentizität erhalten. „Laut Alois Riegl bestand ein fundamentaler Widerspruch zwischen dem historischen Wert eines Gebäudes und seinem Alterswert.“ (Rosenfeld 2004, S. 57.) Der historische Wert besagt, dass die architektonische Form eines Gebäudes uns etwas über die jeweilige Zeit, ihre Geschichte und Kunstgeschichte sagt. Der Alterswert zeigt durch seinen Verfall bzw. seine Zeitspuren Geschichte in physischer Form. Georg Dehio sagte, dass auch die Zerstörung durch Geschichte respektiert werden müsse, wir können keinen Trost durch Täuschung erfahren. Nach 1945 wurde die letzte Position zeitweilig aufgegeben, indem man ein neues Prinzip der „schöpferischen Denkmalpflege“ etablierte (vor allem durch Rudolf Esterer): Es muss genug Originalmaterial vorhanden sein, um das Gebäude wieder aufzubauen, der Originalzustand musste dokumentiert vorliegen, um ihn nachzubauen, und die organische Einheit von Baumaterial und Architekturstil sollte wiederhergestellt werden.

Dieses Prinzip der schöpferischen Denkmalpflege wird auch in Auschwitz teilweise angewendet:

„In 2009, the infamous metal sign reading “Arbeit Macht Frei,” or “Work Makes You Free,” which hangs over the entrance gate, was stolen. It was found several days later elsewhere in Poland, cut into three parts. (A Swede with neo-Nazi ties and two Poles were later charged with the crime.) Mr. Jastrzebiowski helped weld the sign back into one piece. But the scars from the welding told the story of the sign’s theft more than of its long history, and so the museum decided it would be more authentic to replace the damaged sign with a substitute.“

In Auschwitz geht es natürlich nicht um eine kunsthistorische Auseinandersetzung, sondern um eine historische. Daher gibt es an diesem Ort auch andere Dinge zu bewahren als nur Gebäude. Manchmal bewahrt man sie allerdings nicht, und ich glaube, das ist richtig so:

„The museum has decided not to conserve one thing: the mass of human hair that fills a vast vitrine. Over the years, the hair has lost its individual colors and has begun to gray. Out of respect for the dead, it cannot be photographed. Several years ago, the International Auschwitz Council of advisers had an agonizing debate about the hair. Some suggested burying it. Others wanted to conserve it. But one adviser raised a point: How can we know if its original owners are dead or alive? Who are we to determine its fate?

It was decided to let the hair decay, on its own, in the vitrine, until it turns to dust.“

Art as Therapy

Noch ein Buchtipp: Art as Therapy von 2013. Die Website dazu gibt kurze Einblicke in die niedliche Idee, das mit Kunst alles heilbar ist. Ich würde eher auf „erträglich“ setzen. Hier ein Ausschnitt aus Pieter de Hoochs At the Linen Closet von 1663, das sich mit dem Problem „Meine Arbeit ist so banal“ befasst:

„The linen closet itself could easily be resented. It is an embodiment of what could, under an unhelpful influence, be seen as boring, banal, repetitive – even unsexy.

But the picture moves us because we recognise the truth of its message. If only, like de Hooch, we knew how to recognise the value of ordinary routine, many of our burdens would be lifted. It gives voice to the right attitude: the big themes of life – the search for prosperity, happiness, good relationships – are always grounded in the way we approach little things.“

(via @gedankentraeger)

Wordless Ads Speak Volumes In ‘Unbranded’ Images Of Women

Ein Artikel bzw. Radiobeitrag von NPR setzt sich mit Bildern in der Werbung auseinander. Was bleibt übrig, wenn wir die lustigen Headlines weglassen?

„In 2008, [Hank Willis] Thomas removed the text and branding from ads featuring African-Americans, creating a series he called Unbranded, which illustrated how America has seen and continues to see black people.

In the run-up to the 2016 election — and the possibility of a white woman being nominated — he’s mounted a new exhibit, featuring women in print. It’s called Unbranded: A Century of White Women, and it features images from mainstream commercial print advertisements from 1915 to today.

Stripping away the normal elements of an advertisement and reducing it to pure image is powerful, Thomas says.

“I think what happens with ads — when we put text and logos on them, we do all the heavy lifting of making them make sense to us,” he tells NPR’s Linda Wertheimer. “But when you see the image naked, or unbranded, you start to really ask questions.

“That’s why we can almost never tell what it’s actually an ad for, because ads really aren’t about the products. It’s about what myths and generalizations we can attach, and the repetition of imagery of a certain type.”“

(via @ellebil)

Fehlfarben 5: „Art is a guarantee of sanity.“ … „As if.“

@sammykuffour, @munifornication und ich haben wieder gepodcastet. Heute im Programm: zwei Ausstellungen und drei österreichische Rotweine.

Podcast herunterladen (MP3-Direktlink, 76 MB, 95 min), abonnieren (RSS-Feed für den Podcatcher eurer Wahl), via iTunes anhören.

00.00:00. Begrüßung, Vorstellungsrunde und Blindverkostung Wein 1.

00.02:20. Unsere erste Ausstellung: Louise Bourgeois – Strukturen des Daseins: Die Zellen im Haus der Kunst. Wir erwähnen bei der Besprechung unter anderem ihre Maman, The Last Climb, Cell XV (For Turner) und Cell XVIII (Portrait).

Die Ausstellung läuft noch bis zum 2. August und hat von uns drei begeisterte Daumen nach oben bekommen.

00.28.50: Blindverkostung Wein 2.

00.53.50: Blindverkostung Wein 3.

01.05.00: Ausstellung Nr. 2 läuft ebenfalls im Haus der Kunst und zwar noch bis zum 31. Mai: Mark Leckey – Als ob. Sie kam bei uns nicht ganz so gut an, hat aber für eine durchaus kontroverse Diskussion gesorgt. Zwei Querdaumen, einer nach unten. Wir sprechen unter anderem über Fiorucci made me hardcore, das man sich hier anschauen kann.

Bei den Weinen waren wir uns auch nicht ganz einig: Wein 3 landete bei uns allen auf Platz 3, Florian mochte Wein 2 am liebsten, Felix und ich Wein 1.

Wein 1: Gsellmann Heideboden „Quadrophenia“, ein Cuvée aus Zweigelt, Saint Laurent, Pinot Noir und Blaufränkisch, Burgenland, 2011, 13%. Laut Felix kostet die Flasche beim Backerl 20 Euro, eine Google-Suche gibt irgendwas zwischen 11 und 15 Euro an.

Wein 2: Kollwentz Blaufränkisch, Burgenland, 2009, 14%. Den habe ich bei Rotweißrot für um die 20 Euro gekauft.

Wein 3: Domäne Wachau, Blauer Zweigelt „Himmelsstiege“, Wachau, 2013, 13%. (Verlinkt ist der 2012er.) Kostet um die 9 Euro.

Bonuswein, weil der Abend so nett und die Gläser irgendwie schon leer waren: Schmelzer, Blauer Zweigelt, Burgenland/Neusiedlersee, 2013, 13,5%. Empfehlung! Auch beim Backerl gekauft.

„Stoppt die Banalisierung!“ „Stoppt Ausrufezeichen in Überschriften!“

Wolfgang Ullrich polemisiert: Nicht alle Menschen sollten in Museen rumlungern. Ich polemisiere mal mit.

„Jetzt sollen selbst die Blinden sehen. In der National Gallery in London stanzte man dazu eigens ein Gemälde von Camille Pissarro auf eine Weise in Papier, dass sich wichtige Orientierungspunkte des Bildes ertasten lassen. Nicht nur seine Komposition, sondern sogar Farbverläufe werden auf diese Weise übersetzt, wie kürzlich der Dokumentarfilm National Gallery zeigte. Man kann das für verdienstvoll oder für vergeblich halten, es verrät vor allem viel über heutige Ansprüche der Kunstvermittlung: Niemand, wirklich niemand soll von der Beschäftigung mit Kunst ausgeschlossen werden.“

Und das ist ganz schlimm, weil …? Weil wir Kunsthistoriker*innen, Museumsmenschen, Künstler*innen irgendwelche Hoheiten abgeben müssen? Uns nicht mehr nur mit uns selbst befassen? Andere an einem wundervollen kulturellen Gut teilhaben lassen? Fürchterlich, echt.

„Das aber erinnert an die Tradition christlicher Missionskultur. Wie es in ihr darum ging, jedem Menschen, egal, wo und wie sozialisiert, die Chance zu geben, Gottes Wort kennenzulernen, will man heute ausnahmslos alle mit Kunst erreichen. Und wie der erfolgreich Missionierte ewiger Verdammnis entgehen kann, glaubt man auch im Fall der Kunst daran, dass durch ihre Vermittlung viel Gutes passiert: Extreme Emotionen ließen sich ausgleichen und Integrationsfortschritte erzielen, ja Kunst könne sinnstiftend wirken, zu Seelenheil und kognitiven Mehrleistungen führen, so heißt es in zahlreichen Publikationen. Die Missionsunrast des Christentums hat eine Nachfolge in der Vermittlungsunrast heutiger Kunstmuseen gefunden.“

Ich persönlich glaube sehr an eine sinnstiftende Wirkung von Kunst. Ich erwarte sogar eine von ihr. Nicht vom jedem Werk, nicht von jeder Künstler*in, aber ja: Ich will, dass Kunst etwas macht. Mit mir, im besten Fall mit der Gesellschaft. Ich will keine Kunst, die hübsch über dem Sofa aussieht, ich will Kunst, die aufwühlt, bewegt, beeindruckt, ärgert. Natürlich gibt es Kunst, die so offensichtlich missioniert, dass man nur grinsend vor ihren guten Absichten abwinkt, aber das sei ihr verziehen. Andere Kunst ist einfach nur da, und es liegt an mir, was ich mit ihr mache. Genau wie mit der Religion, bei der ich auch die Freiheit habe, sie links liegen zu lassen, mich ihr anzunähern oder sie zu umarmen. Ich kenne kein Museum, das mit Bibel und Tropenhelm Kontinente erobert, insofern halte ich den Vergleich für sehr hinkend. Ich sehe Museen, die sich bemühen, aber es zwingt mich niemand, diesen Bemühungen zu folgen.

„Tatsächlich erstaunt, wie sich die Museen mit der Entdeckung bisher noch kunstferner Milieus gegenseitig übertrumpfen. Fast schon selbstverständlich sind Veranstaltungen für Menschen mit Migrationshintergrund, Programme für Demenzkranke oder Angebote der sogenannten Geragogik für ältere Menschen. Das Lenbachhaus in München bietet auch Aktionen für “Erwachsene mit Babys”. In der Ankündigung kann man lesen: “Der inhaltliche Schwerpunkt ist das Familienporträt und die Darstellung von Kindern in der Kunst. Kein strenger Ablauf und kein vorgegebener Plan diktieren den gemeinsamen Rundgang, sondern die Interessen und Bedürfnisse der Teilnehmenden – ob Stillpausen oder Babygeschrei.”

Ist das nicht großartig, dass wir nicht mehr mit dem Großen Kunstführer im Anschlag durch Museen gehen müssen oder uns mit Audioguides abkapseln, sondern Kunst gemeinsam erleben können? Ist es nicht toll, dass sich die Institutionen auf neues Publikum einstellen, anstatt arrogant zu sagen, hier kommt nur das Bildungsbürgertum rein und sonst keiner? Ist es nicht wunderbar, wenn alte Menschen lernen, demente Menschen umsorgt und Menschen mit Migrationshintergrund einbezogen werden?

„Etwas präziser – und zugleich allgemeiner – könnte man die Hochkonjunktur der Kunstvermittlung als Folge einer Verbindung von Kunstreligion und Sozialdemokratie beschreiben. Verdankt sich jener der Glaube an die heilende Kraft von Kunst, so dieser der Anspruch, nicht nur Bildungs- oder Geldeliten dürften davon profitieren. “Das Museum der Gegenwart öffnet sich, baut Hürden ab, spricht neue Zielgruppen an und schafft neue Beteiligungsmöglichkeiten. Auf diese Weise entstehen neue Identitäten.” So formulierte es etwa Thomas Krützberg, Kulturdezernent in Duisburg.“

Nochmal: Fürchterlich, echt.

„Kunstmuseen sind innerhalb der letzten zwanzig, dreißig Jahre zu führenden Institutionen engagierter Sozialpolitik geworden. Dass sie noch andere Aufgaben haben, ja zwei Jahrhunderte lang vornehmlich dem Sammeln, Bewahren und Forschen gewidmet waren, tritt demgegenüber in den Hintergrund. Hätten Staats- und Landesbibliotheken, ursprünglich aus demselben Geist wie Museen entstanden, dieselbe Entwicklung wie diese genommen, müssten sie heute einen Großteil ihrer Anstrengungen darauf verwenden, die Zahl der Ausleihen und Benutzer von Jahr zu Jahr zu erhöhen, und Politiker würden von Bibliotheksdirektoren verlangen, neue Benutzerkreise zu erschließen. Es würde nicht mehr reichen, nur ein bildungsbürgerliches und akademisches Publikum anzusprechen, vielmehr müsste man sich genauso um soziale Randgruppen kümmern und etwa eigene Kursprogramme für Analphabeten einrichten, die endlich auch zu Lesern werden sollen. Immerhin seien die Bibliotheken ja mit Steuergeldern finanziert!“

Schon wieder ein Vergleich, der Krankengymnastik braucht. Auch Bibliotheken haben unterschiedliche Zielgruppen. Nicht jede Bibliothek ist eine Stabi oder UB, stattdessen holen Stadtteilbibliotheken und Bücherhallen das nicht-akademische Publikum ab und versorgen es mit Bestsellern, DVDs und kindgerechter Literatur. Insofern muss sich nicht jede Bibliothek neue Benutzerkreise erarbeiten – die verteilen sich schon ganz brav von alleine. Die Kurse für Analphabet*innen halte ich übrigens für eine gute Idee: Wo, wenn nicht in einer Bibliothek, erschließt sich der Sinn des Lesens besser?

Dass Museen dem Sammeln, Bewahren und Forschen gewidmet sind, schließt übrigens nicht aus, dass man auch einfach in ihnen rumbummeln kann. Bis jetzt hat mich noch kein Besucher dabei gestört, wenn ich für die Uni vor einem Bild stand. Das geht ganz prima gleichzeitig.

„Niemals zuvor in der Geschichte wurde mit Kunstwerken so viel gemacht wie heute. Um sie herum ist eine enorme Geschäftigkeit entstanden, mit der seltsamen Erwartung, dass jedes Kunstwerk jedem Menschen zu jedem Zeitpunkt etwas zu geben habe. Mochte das Vermitteln von Kunst in den Jahren nach 1968 aus einem Geist der Emanzipation und Freiheit heraus entstanden sein, so ist daraus ein Imperativ geworden, dessen problematische Folgen erst allmählich sichtbar werden. So weist die Kunstsoziologin Kathrin Hohmaier in einer jüngst publizierten Studie nach, was man bereits befürchten musste, nämlich dass Kunstvermittlung sogar negative Auswirkungen zeitigen kann. Im untersuchten Fall ging es darum, Jugendlichen ohne abgeschlossene Berufsausbildung und ohne Erfahrung mit Museen einen Zugang zu moderner Kunst zu bahnen. Allerdings entwickelten sie während des Vermittlungsprogramms “ein hochgradig präsentes Gefühl der sozialen Exklusion im musealen Raum” – und schließlich fanden sie moderne Kunst noch sinnloser als zuvor, es wuchsen “ihre Vorurteile ihr gegenüber”. Hohmaier vermutet, dass die Kunstvermittler sich ihrer Zielgruppe zu sehr anpassten: Statt den Jugendlichen Wissen oder Interpretationen zu den Werken zu bieten, beschränkten sie sich darauf, sie, ausgehend von Exponaten, selbst malen zu lassen. Damit aber wurde ihnen “ihre eigene Bildungsferne […] noch stärker ins Bewusstsein gerufen”.“

Der Punkt geht an Ullrich. Das halte ich auch für eine selten beknackte Idee, sich Kunst anzunähern, indem man sie imitiert. Ich erinnere mich an meinen schulischen Kunstunterricht, in dem unser Lehrer uns Beuys so nahebringen wollte: Wir sollten das Erdtelefon in anderer Form nachbilden. Ich habe einen Apfel neben eine alte Schreibmaschine montiert und hatte keine Ahnung, warum.

Ich frage mich, woher diese Idee kommt, sich Kunst so zu erschließen. Dinge nachzubauen, um sie mechanisch zu verstehen, ja, das kapiere ich, aber Kunst ist meist mehr als ein konstruiertes Objekt. Kunst heißt oft, dass diesem Objekt eine Bedeutung eingeschrieben wurde, die nicht durch bloßes Nachbilden erkannt werden kann. Hier sehe ich es als sinnvoller an, mich dem Werk mit Wissensvermittlung oder Interpretationsansätzen zu nähern. Die Kunstvermittler*innen könnten eben diese vorgeben und dann darüber diskutieren, anstatt Menschen mit Fragezeichen auf der Stirn ein paar Stifte in die Hand zu drücken.

Gerade Beuys ist durch pures Sehen kaum nachzuvollziehen – allerdings ist er deshalb für mich auch immer reizvoller geworden. Seine Werke haben 20 Jahre in mir rumort, bis ich endlich mal ein Buch über ihn gelesen habe bzw. länger vor seinen Werken rumgestanden habe. Ich bin mir inzwischen nicht mal sicher, ob ich ihn komplett verstehen will – meist reicht es mir, mich mit seinen Werken zu konfrontieren oder ihm bei der Arbeit zuzuschauen, z. B. im Lenbachhaus, wo ein Video seiner Performance I like America and America likes me läuft. Das wird bei mir meist zur Meditation, wenn ich lange bei Beuys rumhänge und weniger zur kunsthistorischen Auseinandersetzung. Aber auch hier: Wer sagt, dass das die einzig richtige Art ist, sich mit Kunst auseinanderzusetzen? Ich mag es sehr, bei einigen Werken gerührt zu werden, von anderen fasziniert zu sein – und wieder andere gelangweilt links liegen zu lassen. Daher stimme ich Ullrich mal wieder nicht zu, wenn er sagt, dass „jedes Kunstwerk jedem Menschen zu jedem Zeitpunkt etwas zu geben habe“.

„Kunstvermittler – zum allergrößten Teil Kunstvermittlerinnen – sind höchst findig, wenn es darum geht, ihr Publikum dort abzuholen, wo es steht. Nur liefern sie es leider genau dort auch wieder ab. Sie bemühen sich gerade nicht um Bildung oder Aufklärung; vielmehr wird der jeweiligen Klientel suggeriert, sie befinde sich schon auf Augenhöhe mit der Kunst und stecke selbst voller kreativer Potenziale. Eigentlich gehe es nur noch darum, ein paar Unsicherheiten abzubauen.

Doch diese Einschätzung ist fatal. In ihrer Folge werden die Werke nämlich so vermittelt, dass nicht mehr viel von ihnen übrig bleibt. Vielmehr heißt Vermittlung von Kunst, diese bis zur Unkenntlichkeit zu verharmlosen. Hatten die Bildungsbürger noch den Ehrgeiz, sich die Kunst, die sie selbst nie hätten kaufen können, intellektuell anzueignen und sich damit als ihre wahren Besitzer zu fühlen, ja steigerte jemand wie Bazon Brock in seinen legendären Besucherschulen auf der Documenta das Selbstbewusstsein des Publikums noch durch ein Mehr an Bildung, verfolgt die Kunstvermittlung von vornherein ein anderes Ziel. Das Unbehagen, das eine schwierige, schroffe und rätselhafte Kunst auslöst, wird abgebaut, indem man all diese Eigenschaften durch Aktionismus überspielt und so tut, als sei Kunst letztlich doch ganz einfach und verlange keine Zugangsvoraussetzungen. Kunstvermittlung ist insofern vor allem Anästhesie: Sie dimmt alles auf eine vage Atmosphäre von Kreativität herunter.“

Ich bin darüber gestolpert, dass Ullrich hier als einzige Ausnahme vom generischen Maskulinum im Artikel auf die „Kunstvermittlerinnen“ hinweist. Ich kann nur spekulieren, ob hier eine latente Abneigung gegen die Mädels im Kunstbetrieb herrscht, die es weiblich-klischeehaft sozial und mütterlich eingestellt wagen, den dementen Migranten Kunst näherzubringen anstatt männlich-klischeehaft zu forschen, zu lehren und wissenschaftliche Karriere zu machen, die nur von wenigen Frauen gestört wird. Wenn ich mich in den Seminarräumen und Hörsälen umgucke, sehe ich allerdings, dass meine Kommilitonen zu ungefähr 90 Prozent weiblich sind. Wahrscheinlich gibt es daher schlicht mehr Kunstvermittlerinnen als Kunstvermittler, und der Seitenhieb Ullrichs geht peinlich ins Leere.

Ich bin mir auch nicht sicher, ob wirklich alle Besucher*innenführungen Kreativität zum Ziel oder Ausgangspunkt ihrer Vermittlung haben. Ich gebe zu, ich mache selten Führungen mit, weil ich lieber selber gucke, aber man kommt ja nicht darum herum, auch mal bei einer zuzuhören, wenn sie im gleichen Raum stattfinden, in dem man selber steht. Spontan fällt mir eine Führung zu Mondrian im Bucerius-Kunst-Forum in Hamburg ein, wo eine Vermittlerin gerade einige Bilder mit der Biografie Mondrians in Verbindung brachte. Ein weiteres Mal hörte ich in der Hypo-Kunsthalle in München bei Rembrandt, Tizian, Bellotto einer Vermittlerin zu, wie sie vor einem Stillleben den Besucher*innen erzählte, ab wann welche Früchte überhaupt in Europa vorhanden waren, um gemalt werden zu können. Beide Ansätze fand ich sehr stimmig, und es musste auch niemand Blumen aus Fimo nachbasteln, um sich an einem floralen Bild erfreuen zu können. Bei einer dritten Führung in der Neuen Pinakothek sah ich allerdings eine Kindergartenklasse vor den Impressionisten auf dem Boden liegen und malen. Und das war genauso stimmig, weil es zu kleinen Kindern passte.

„Lange erwartete man gerade im linken Milieu, dass Kunst weh tue und das Bestehende negiere. Für Philosophen wie Theodor W. Adorno oder Herbert Marcuse bedeutete es nicht weniger als das Ende der Kunst, sie zu vermitteln und dabei zu verniedlichen, ja mit der Realität zu versöhnen. Heute jedoch müssen Vertreter einer derart kunstvermittlungskritischen Position mit dem Vorwurf rechnen, elitär zu sein. Sind Kritiker der Kunstvermittlung nicht zu verwöhnt und abgehoben, um erkennen zu können, in welch bedauernswerter Lage sich unterprivilegierte Minderheiten befinden? Sind sie sogar gegen diese Minderheiten?

Kunstvermittlung konnte sich auch deshalb widerstandslos durchsetzen, weil kein Museumsdirektor in den Verdacht geraten will, minderheitenfeindlich zu sein. Dabei ist dieser Verdacht alles andere als gerechtfertigt. Übertragen auf andere Bereiche hieße das, auch dann Diskriminierung zu unterstellen, wenn jemand meint, Senioren brauchten sich nicht mit Musik von Jugendlichen zu beschäftigen oder für Leute ohne Schulabschluss sei höhere Mathematik zu schwierig. Tatsächlich wird sonst überall akzeptiert, dass manchen die Voraussetzungen für bestimmte Gebiete fehlen. Warum sollte das nur im Fall der Kunst anders sein? Sofern ebendies behauptet wird, zeigt sich nochmals die Vereinigung von Kunstreligion und Sozialdemokratie: Für die Kunst wird ein absoluter, kein bloß relativer Wert reklamiert, sie wird zu etwas erklärt, das ausnahmslos für alle gut sein soll.“

Kunst ist für alle gut, genau wie Musik oder Tanz oder Literatur. Aber niemand wird gezwungen, sich mit ihr zu beschäftigen. Das ist für mich der große Irrtum in Ullrichs Polemik. Ich muss nicht ins Museum, aber wenn ich schon da bin, finde ich es nett, dass man mir verschiedene Angebote macht, mich mit den Inhalten auseinanderzusetzen.

Natürlich ist meine Erwartungshaltung als Kunstgeschichtsstudentin eine andere als die von vor 20 oder 35 Jahren. Vor 20 Jahren gab’s für mich die Impressionisten und fertig, mehr wollte ich gar nicht sehen, weswegen ich auch nicht mehr gesehen habe. Vor 35 Jahren allerdings haben mich meine Eltern von einem Museum ins nächste geschleppt, genau wie ins Theater und in die Oper und ins Ballett. Meine Eltern haben beide bereits mit ungefähr 16 Jahren angefangen zu arbeiten und hatten in ihrer Kindheit und Jugend keinen Zugang zu den ganzen kulturellen Einrichtungen, in die meine Schwester und ich dann mitgenommen wurden. Ich rechne es beiden bis heute sehr hoch an, dass es für mich nie eine Schwelle zu Kultur gab, über die ich mich nicht getraut habe. Ich kann mir aber vorstellen, dass es andere Menschen gibt, denen das nicht so geht. Was ist falsch daran, diese Menschen dort abzuholen, wo sie sind?

Es gibt ein Motto, das ich sehr mag, auch wenn es fies nach Kissenstickerei klingt: „Start where you are. Use what you have. Do what you can.“ Wenn du nichts mit Beuys anfangen kannst: Lies ein Buch. Oder geh einfach mal gucken. Oder frag im Museum, ob es speziell dafür Führungen gibt. (Und hoffe dann darauf, dass du kein Werk von ihm nachbauen musst.) Ich kann wirklich überhaupt nichts Schlechtes daran sehen, wenn verschiedenen Menschen Kultur nahegebracht wird. Natürlich findet das auf einer anderen Ebene statt als das, was wir an der Uni machen. Aber das ist doch der Witz an der Sache: Die Uni macht ihr Ding und Museen machen ein anderes.

Ich gebe Ullrich völlig recht, wenn er sich gegen eine Banalisierung von Kunst zur Wehr setzt und eine gewisse Erwartungshaltung an Kunstvermittlung hat. Aber nochmal: Sich generell gegen Kunstvermittlung auszusprechen – und das ist für mich eher der Tenor seines Artikels – halte ich für höchst arrogant.

Edit, 13.4.: Auf Let’s talk about arts diskutiert Ullrich in den Kommentare mit und erklärt unter anderem, dass die olle Überschrift nicht von ihm ist.

Kunstgeschichtshausarbeit „Raus aus der Kathedrale: Was die Kunstgeschichte von Software lernen kann“

Ich musste im vergangenen fünften Semester insgesamt drei Hausarbeiten schreiben, weswegen ich eine schon während des laufenden Semesters beginnen wollte, um auch ja rechtzeitig fertig zu werden – Oma Gröner läuft halt nicht mehr so schnell – und das war diese hier. Das heißt, ich hatte bei ihr nicht den konzentrierten Luxus, den ich bei den beiden Geschichtshausarbeiten hatte, die ich nach Vorlesungszeitende schrieb: Ich hatte noch Seminare, musste Hausaufgaben machen und für die Klausuren lernen, und dann schrieb ich zwischendurch eben noch eine dicke Hausarbeit, las bergeweise Bücher, schrieb wieder, las bergeweise Aufsätze, schrieb und las und schrieb und wusste bei den ganzen Ablenkungen zum Schluss nicht mehr, ob das total toll oder total mies war, was ich produziert hatte.

Diesen Punkt des Zweifels erreiche ich irgendwann bei jeder Arbeit, weil ich schließlich jeden Satz 800 Mal gelesen, korrigiert und nochmal gelesen und nochmal korrigiert habe – ich sehe ab einem gewissen Zeitpunkt den Sinn vor lauter Buchstaben nicht mehr und kann qualitativ nicht mehr einschätzen, was ich da lese. Aber bei der hier war ich besonders verwirrt, vor allem, weil ich noch das Feedback meiner sechs Reviewer*innen habe einfließen lassen und daher nochmal über alles gegangen bin.

Scheint aber ganz okay geworden zu sein, wenn ich mir die Mail des Dozenten anschaue, die gestern abend kam:

„Eine solche Note habe ich, glaube ich, noch nie vergeben, musste mich aber fragen, ob ein Argument dagegen spricht. Vielmehr möchte ich Sie fragen, ob ich diesen Text verwenden darf, um ihn anderen Studierenden als vorbildliches Muster für Aufbau und Bibliographie weiterzugeben.“

Darf der Dozent natürlich. Das kleine Fünftsemester ist sehr geschmeichelt.

Zum Inhalt: Mein Referatsthema lautete schlicht „Software“. Anstatt Computergeschichte nachzuerzählen, habe ich im Referat versucht, die vielen Möglichkeiten aufzuzeigen, in denen Software in der Kunstgeschichte (oder der Kunst) zum Einsatz kommt. Ich begann natürlich mit den (haha) Basics, erzählte von Closed-Source-Software und dem Weg zu Open Source, erwähnte Die Kathedrale und der Basar und wandte einige der dort erwähnten Prinzipien zur Softwareproduktion auf die Kunstgeschichte an. Mein Hauptaugenmerk lag auf dem kollaborativen Arbeiten; ich erwähnte Beispiele wie Madison, ARTigo oder das Brooklyn Museum, das sich über Hinweise von Besuchern freut anstatt großkotzig darüberzustehen, was der Pöbel will. („… and we welcome any additional information you might have.“)

Ich sprach über Clay Shirkys Publish first, filter later, über Open Access, über die vergrößerte Sichtbarkeit und bessere Korrigierbarkeit von Texten in e-Books und Blogs und erwähnte meine eigene Hausarbeit, die in den ersten zehn Tagen nach Veröffentlichung beachtliche 230 Mal heruntergeladen wurde – und ich behaupte, ich habe nicht unbedingt viele Kunsthistoriker*innen unter meinen Leser*innen. Ich sprach über Jeff Koons‘ Instagram-Account (der inzwischen arg leergefegt aussieht), dass Vorzeichnungen von Gemälden quasi Betaversionen seien und dass heute alles im Fluss sei – wie auch bei Software, die nie fertig wird und stets ein Update bekommt.

Aus diesem Sammelsurium wünschte sich der Dozent eine Arbeit über die veränderten Publikationsmöglichkeiten für Kunsthistoriker*innen. Das ist sicherlich kein speziell kunstwissenschaftliches Thema – auch die Naturwissenschaft arbeitet mit Open Access –, aber für mich persönlich war es sehr reizvoll, sich intensiver mit diesem Thema auseinanderzusetzen, gerade weil ich eine Freundin des Teilens bin, des offenen und unbeschränkten Zugangs zu Informationen und des Austauschs von Wissen. Und nebenbei habe ich viel über Computer- und Softwaregeschichte gelernt. (Das zitierte Buch von Walter Isaacson – The Innovators: How a Group of Inventors, Hackers, Geniuses and Geeks Created the Digital Revolution – liest sich übrigens wie geschnitten Brot, auch aus feministischer Perspektive.)

Hatte ich schon auf Twitter erledigt, aber hier noch mal der Dank an meine Reviewer*innen, die mir sehr geholfen haben.

Enjoy. Mach’s gut, fünftes Semester.

(1,0. Sehr glücklich.)

Links vom 8. April 2015

„Yesterday someone stole pictures of my friends and me from FAT: the Play and uploaded them to a subreddit dedicated to hating fat people.“

Über die leider übliche und gesellschaftlich akzeptierte Scham, als dicker Mensch einfach nur da zu sein. Enthält aber auch Hoffnung – und genau den Satz, der auch für meine Selbstfindung und Selbstliebe zuständig war. In der Fatosphere habe ich erstmals Stimmen gehört, die mir nicht sagten, ich sei wertlos, undiszipliniert, ungebildet, faul und stinkend, nur weil ich eine bestimmte Körperform habe. Stattdessen waren da plötzlich Menschen, die sich (und mich) fragten, warum wir uns ändern sollen, damit uns irgendjemand, der uns fürchterlich egal sein kann, akzeptiert? Sind wir auf die Akzeptanz von Arschlöchern angewiesen? Nein. Sind wir nicht. Stecken wir unsere Energie lieber in den immer noch radikalen Akt, uns selbst nicht nur zu akzeptieren, sondern uns gut zu finden – so, wie wir sind.

„I’m thinking about the fat people who were able to show love to themselves and in turn, show me how to love myself.“

What it’s like to be laughed at on the Internet

Das gleiche Thema, ebenso eindringlich formuliert:

„It’s not just the fat-bashing that hurts. Or the humiliation, the shaming, this last safe societal prejudice. All that is bad, of course. What really hurts, though, is how much the boys who took that photo of me “doing it wrong” — and the thousands of people who see it — will never know.

They’ll never know how experiences just like this began dividing me — early — from my body. That the taunts of “fatty” and “blubber” and “lardass” when I was 6 made me stand at my bedroom window and wonder if it was a long enough way down to the ground; that when the kids at lunch poked my stomach with pencils to see if I’d deflate, I honestly wished I would, with a long, satisfying “sssssss”; that by the time Ms. Gleby was leading my entire sixth grade Phys Ed class in laughing at me, I no longer had a body at all. I was a floating head, and I was determined to think of my physical form as a brick that I had to suffer the inconvenience of dragging around. My body wasn’t me. It was despicable. It was nothing.

The people who laugh at this picture won’t know that every jeer, every “mooooo,” and every “sorry, no fatties” made me more and more successful at being bodiless.

And they won’t know how scary it’s been to decide to maybe make a different choice.“

A guide to thesis writing that is a guide to life

Das Buch Wie man eine wissenschaftliche Abschlussarbeit schreibt (Affiliate Link) von Umberto Eco aus dem Jahr 1977 ist 2015 erstmals auf Englisch erschienen. Der New Yorker erklärt, warum es immer noch aktuell ist:

„We in the English-speaking world have survived thirty-seven years without “How to Write a Thesis.” Why bother with it now? After all, Eco wrote his thesis-writing manual before the advent of widespread word processing and the Internet. There are long passages devoted to quaint technologies such as note cards and address books, careful strategies for how to overcome the limitations of your local library. But the book’s enduring appeal—the reason it might interest someone whose life no longer demands the writing of anything longer than an e-mail—has little to do with the rigors of undergraduate honors requirements. Instead, it’s about what, in Eco’s rhapsodic and often funny book, the thesis represents: a magical process of self-realization, a kind of careful, curious engagement with the world that need not end in one’s early twenties. “Your thesis,” Eco foretells, “is like your first love: it will be difficult to forget.” By mastering the demands and protocols of the fusty old thesis, Eco passionately demonstrates, we become equipped for a world outside ourselves—a world of ideas, philosophies, and debates.“

„… mit nem Bier und nem Künstler“

Katia Kelm bespricht eine Sendung von Nicola Zepter, die sich in Berliner Galerien umgesehen hat:

„ausserdem frage ich mich, was eigentlich dieser fokus auf die galeristen soll? zumal sie offensichtlich eh alle mehr oder weniger dasselbe sagen. wieso wurden nicht viel mehr künstler angesprochen, die beim gallery weekend doch zuhauf herumlaufen?

stattdessen gibt es eine abfolge von kurzen besucherstatements zu der frage, warum man sich für kunst interessiere – mit dem vielsagenden ergebnis das die frage niemand beantworten kann.
was lernen wir? kunstpeople sind so doof, die wissen nichtmal warum sie sich für kunst interessieren.

dass die frage ähnlich unbeantwortbar ist wie “warum mögen sie sex?” das fällt den doofen arte-zuschauern sicher nicht auf.

mich erinnert diese o-ton sequenz jedenfalls an TV-total strasseninterviews, die ja auch gemacht werden, um zu zeigen, wie blöd leute sind.

nur ist die tatsache, dass in der kunstszene besonders viele trottel rumlaufen, weder neu noch ist sie relevant – weil es in dieser sendung doch eigentlich um eine ganz andere frage gehen sollte.
aber vielleicht hab ich die auch nur komplett falsch verstanden. da bin ich mir inzwischen nicht mehr sicher.“

Links vom 7. April 2015

The Slow Death of the University

Terry Eagleton schreibt unterhaltsam, aber deprimiert über den Niedergang der Geisteswissenschaften an den englischen Universitäten, wo inzwischen eher Manager*innen statt Dozent*innen gesucht werden:

„Universities, which in Britain have an 800-year history, have traditionally been derided as ivory towers, and there was always some truth in the accusation. Yet the distance they established between themselves and society at large could prove enabling as well as disabling, allowing them to reflect on the values, goals, and interests of a social order too frenetically bound up in its own short-term practical pursuits to be capable of much self-criticism. Across the globe, that critical distance is now being diminished almost to nothing, as the institutions that produced Erasmus and John Milton, Einstein and Monty Python, capitulate to the hard-faced priorities of global capitalism. […]

In the midst of this debacle, it is the humanities above all that are being pushed to the wall. The British state continues to distribute grants to its universities for science, medicine, engineering, and the like, but it has ceased to hand out any significant resources to the arts. It is not out of the question that if this does not change, whole humanities departments will be closed down in the coming years. If English departments survive at all, it may simply be to teach business students the use of the semicolon, which was not quite what Northrop Frye and Lionel Trilling had in mind. […]

As professors are transformed into managers, so students are converted into consumers. Universities fall over one another in an undignified scramble to secure their fees. Once such customers are safely within the gates, there is pressure on their professors not to fail them, and thus risk losing their fees. The general idea is that if the student fails, it is the professor’s fault, rather like a hospital in which every death is laid at the door of the medical staff. One result of this hot pursuit of the student purse is the growth of courses tailored to whatever is currently in fashion among 20-year-olds. In my own discipline of English, that means vampires rather than Victorians, sexuality rather than Shelley, fanzines rather than Foucault, the contemporary world rather than the medieval one. It is thus that deep-seated political and economic forces come to shape syllabuses. Any English department that focused its energies on Anglo-Saxon literature or the 18th century would be cutting its own throat.

Hungry for their fees, some British universities are now allowing students with undistinguished undergraduate degrees to proceed to graduate courses, while overseas students (who are generally forced to pay through the nose) may find themselves beginning a doctorate in English with an uncertain command of the language. Having long despised creative writing as a vulgar American pursuit, English departments are now desperate to hire some minor novelist or failing poet in order to attract the scribbling hordes of potential Pynchons, ripping off their fees in full, cynical knowledge that the chances of getting one’s first novel or volume of poetry past a London publisher are probably less than the chances of awakening to discover that you have been turned into a giant beetle. […]

What if the value of the humanities lies not in the way they conform to such dominant notions, but in the fact that they don’t? There is no value in integration as such. In premodern times, artists were more thoroughly integrated into society at large than they have been in the modern era, but part of what that meant was that they were quite often ideologues, agents of political power, mouthpieces for the status quo. The modern artist, by contrast, has no such secure niche in the social order, but it is precisely on this account that he or she refuses to take its pieties for granted.“

(via mediumflows FB)

„Volkskultur“ und „Popkultur“ oder: das Vergnügen an Widersetzlichkeit

Dietlind Hüchtker vergleicht Volkskultur, wie zum Beispiel Karneval und Räubergeschichten, mit der deutlich jüngeren Popkultur:

„Volkskultur und Popkultur beziehen sich auf historische Zeiten, die sich in ganz zentralen Aspekten unterscheiden: in den Kommunikationsweisen und technischen Möglichkeiten, ökonomischen Strukturen, Lebensstandards und Wissenssystemen. Bei der Beschäftigung mit frühneuzeitlicher Volkskultur gilt es, die langen Kommunikationswege zu beachten, die einen geringeren Vergesellschaftungsgrad bedeuteten, geringere Verflechtung und geringere Integration. Daraus ergaben sich Spielräume für lokale Welten, deren Potenz und Eigenlogik die Grundlage für die Deutung als Gegenwelten darstellen. Popkultur hingegen beruht auf globalen Konsummöglichkeiten und der Technisierung des Alltags, auf schneller Kommunikation, die Jugend als distinkten Lebensstil überhaupt erst ermöglicht und die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche vorantreibt. In dieser Hinsicht erscheint Popkultur eher als Subkultur, denn als Gegenwelt, das heißt, eher als Affirmation vorherrschender Bedingungen, denn als deren radikale und grundsätzliche Ablehnung, auch wenn Normen und Regeln infrage gestellt werden.“

kinder.los

umstandslos, das Magazin für feministische Mutterschaft, schreibt in seiner neuen Ausgabe über kinderlose Frauen. Hier geht’s zum Editorial. Darin wird auf ein eBook von Sonja Schiff aufmerksam gemacht: Vom Älterwerden und generativen Verhalten kinderloser Frauen:

„Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, Einblicke zu erhalten in das Älterwerden kinderloser Frauen. Es wird der Frage nachgegangen, ob die Entstehung der Kinderlosigkeit auf den Alternsprozess wirkt und ob kinderlose Frauen auch generativ tätig sind. Dabei wurde auf mögliche Unterschiede zwischen gewollt und ungewollt kinderlosen Frauen geachtet. […]

Die Ergebnisse zeigen, dass der Weg zur Kinderlosigkeit als Schlüsselprozess im Leben kinderloser Frauen zu betrachten ist. Eine bewusste Entscheidung für ein Leben ohne Kind beeinflusst den biographischen Verlauf und das Älterwerden der Frau positiv. Gewollt kinderlose Frauen erleben in der retrospektiven Betrachtung kaum Wehmut, sie haben einen positiveren Blick auf ihr Altern und klarere Pläne für den Fall von Pflegebedürftigkeit. Unabhängig ob gewollt oder ungewollt kinderlos, sind Frauen ohne Kinder im Alter wirtschaftlich abgesichert, wissen um ihr Risiko im hohen Alter alleine zu sein und legen großen Wert auf ihre Selbständigkeit. Sie haben Kontakte zu Jüngeren und bringen sich in vielfältiger Weise, bis hin zu materiellem Transfer, für jüngere Generationen ein.“

Sie wollen ihr Leben zurück

In diesem Zusammenhang ein Artikel von Esther Göbel in der SZ über Mütter, die in der Rückschau lieber keine geworden wären:

„Die Wissenschaftlerin untersucht ein Phänomen, das sie “regretting motherhood” nennt. Übersetzt heißt das so viel wie “die Mutterschaft bereuen”. Donath widmet sich in ihrer Forschung Frauen, die bewusst Mutter geworden sind und von sich sagen, sie liebten ihr Kind oder ihre Kinder – die sich gleichzeitig aber in ihrer Mutterrolle so unglücklich fühlen, dass sie den Schritt, ein Kind bekommen zu haben, zutiefst bereuen. Nicht nur in den ersten schwierigen Wochen und Monaten nach der Geburt, sondern nachhaltig, bis in das Erwachsenenalter der Kinder hinein. Und zwar so sehr, dass sie die Geburt ihrer Kinder rückgängig machen würden, wenn sie nur könnten.

Mit dieser Forschung steht Donath allein auf weiter Flur: Das Phänomen wird wissenschaftlich kaum untersucht. In der Entwicklungspsychologie beispielsweise wird eher zum Thema pränatale Angst oder postnatale Depression von Frauen geforscht. Auch in der Soziologie und der Anthropologie hat man die bereute Mutterschaft nie groß verfolgt. Langzeitstudien und quantitative Untersuchungen fehlen bisher. […]

Erst im Zuge der industriellen Revolution ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ergab sich die Rollenaufteilung zwischen beiden Geschlechtern, da erstmals der Arbeitsplatz und der private Raum zu Hause auseinanderfielen. Wo vorher Vater und Mutter gemeinsam die Arbeit auf dem Feld bestellt und die Kinder mitgenommen hatten, blieb die Frau nun allein mit den Kindern zurück, während der Mann jeden Tag seinen Gang in die Fabrik antrat. Die Frau wurde zur Haupterziehungsperson.

Das romantische Mutterbild, wie es heute noch immer in den Köpfen festsitzt, bekam unter den Nationalsozialisten weiter Vortrieb: Gebären und Kinder großziehen für den Führer, im Dienste der arischen Rasse – darin sollte sich das Potenzial einer jeden Frau erschöpfen. Dafür bekam sie Respekt. In der Nachkriegszeit seit den Fünfzigerjahren wurde dann das Private verklärt, “ein Rückzug in die eigenen vier Wände”, sagt Christina Mundlos. Auch in dieser Zeit hatte die Frau vor allem eines zu sein: Mutter.“

Links vom 5. April 2015

Viel Weiß, viel Vase, viel Bett

Die von mir sehr geschätzte @anika_meier (unter anderem deshalb und deshalb) hat im Monopol-Magazin über Instagram geschrieben:

„Stilprägend sind zum einen technische und formale Gegebenheiten, die große Schärfentiefe, die Größe des Bildschirms, auf dem die Fotos angesehen werden, und das quadratische Bildformat. Fast alles spielt sich in der Fläche ab, alles wird nah herangeholt, die Ausschnitte werden eng gewählt und die Motive werden frontal, am besten gleich aus der Zentralperspektive fotografiert. Die Komposition erstarrt, das Bild wird statisch. Zum anderen ist das Vorbild das vierteljährlich erscheinende amerikanische Lifestyle-Magazin „Kinfolk“ für den modernen Hipster mit wenig Text und vielen Bildern, das in den letzten Jahren zur Bibel des guten Geschmacks mutierte und eine eigene Ästhetik prägte. Wer wissen möchte, wie man ein Ei richtig kocht, wird hier fündig. Und wer sehen möchte, wie man seinen Besitzstand am besten kuratiert und sein Leben ästhetisiert, lernt hier seine Lektion.“

Meier verweist in ihrerm Artikel auf einen Text von Wolfgang Ullrich, der 2013 in der NZZ erschienen ist und die Instagram-Ästhetik anders interpretiert – weit weniger statisch und inszeniert, sondern unscharf, verwackelt, für den Moment und nicht für die Ewigkeit:

„Heute hingegen besteht das Neue darin, dass man schnell entstandene Bilder auch schnell reproduzieren und an jeden Ort der Welt schicken kann. „Live“ ist kein Privileg des Fernsehens mehr, vielmehr verfügt fast jeder Amateur inzwischen über die Möglichkeiten maximaler Bildmobilität. Damit aber verändert sich der Charakter vieler Bilder ein weiteres Mal. Statt auf Komposition oder Originalität zu achten, geht es darum, das Live-Ereignis oder einen besonderen Moment einzufangen und ein Flair von Spontaneität, Ausgelassenheit, Sensation rüberzubringen. Für den, der eine Foto geschickt bekommt, ist wichtiger und emotionaler als das, was er sieht, die Tatsache, ohne relevante Zeitverzögerung mitzubekommen, was anderswo gerade geschieht. Und es geht darum, wer einen daran teilhaben lässt. Nicht das Bild an sich hat Bedeutung, sondern es zählt, wann, wo und wie es gesehen werden kann. In einem klassischen Sinn gut gemacht brauchen die Bilder also nicht zu sein; sie leben vor allem von ihrer Aktualität.

Manche Flüchtigkeit – ein verrutschter Bildausschnitt, eine Unschärfe, grelles Gegenlicht – wird dann sogar vom Manko zum Wert, dokumentiert sich darin doch die Eile, mit der ein Bild gemacht wurde, um andere möglichst schnell in ein Ereignis mit einzubeziehen.“

Die Texte scheinen sich zu widersprechen, aber: Meier verweist auch auf Roland Barthes, dessen Essay Die helle Kammer ein Stardardwerk zur Fotografie ist. Ich zitierte ihn mal in diesem Blog:

„Eine Photographie ist immer die Verlängerung dieser Geste; sie sagt: das da, genau das, dieses eine ist’s! und sonst nichts; sie kann nicht in den philosophischen Diskurs überführt werden, sie ist über und über mit der Kontingenz beladen, deren transparante und leichte Hülle sie ist. Zeige deine Photographien einem anderen; er wird sogleich die seinen hervorholen und sagen: „Sieh, hier, das ist mein Bruder; das da, das bin ich als Kind“ und so weiter; die PHOTOGRAPHIE ist immer nur ein Wechselgesang von Rufen wie „Seht mal! Schau! Hier ist’s!“; sie deutet mit dem Finger auf ein bestimmtes Gegenüber und ist an diese reine Hinweis-Sprache gebunden. Daher kann man zwar sehr wohl von einer Photographie sprechen, doch, wie mir scheint, mitnichten von der PHOTOGRAPHIE.“

Der meiner Meinung nach bemerkenswerteste Satz des Textes (weil so schön zitierfähig) stammt von Olly Lang, der sagte, dass Fotografie immer mehr zur Performance Art werde. Das mag auf die Ecken von Instagram zutreffen, in denen sich Meier und Lang bewegen – meine Timeline ist hingegen wild gemischt, da ist zwischen der natürlich vorhandenen „My life on Instagram“-Idylle auch Platz für die dokumentarisch und feministisch geprägte #609060-Bewegung, die ein ganz anderes Ziel hat als etwas darzustellen – nämlich genau das Gegenteil, und ner Menge Essen, das auch nicht immer aussieht wie #kinfolkmylife.

Ich glaube, das macht den Reiz dieses Mediums aus, genau wie es den Reiz jedes Mediums ausmacht: die Mischung, die persönlich kuratiert werden kann. Ich stelle mir meinen Twitterstream und meine Facebook-Timeline zusammen, genau wie ich früher ausgewählt ferngesehen habe und nicht beliebig jedes Buch im Regal hatte, sondern nur die, die mir zusagen. Die Vielfalt eines jeden Mediums ist ihm immanent, genau wie gewisse Regeln, die es in der Anfangszeit formten, aber sofort durchbrochen, erweitert, vernachlässigt wurden. Sonst hätten wir bis heute nur die Bibel als gedrucktes Werk, nur wissenschaftliche Auseinandersetzungen als Zeitschrift und nur Nachrichten im Fernsehen.

Kunst für alle?

Nochmal Monopol-Magazin: Markus Neuschäfer schreibt über das leidige Thema Urheberrecht.

„Wie der Urheberrechtsspezialist Till Kreutzer von der Infoplattform iRights feststellt, behindert die aktuelle Rechtslage ebenso den freien Zugang wie auch die kreative Entfaltung. Die in der Ausstellung vertretenen Künstler dagegen kopieren völlig hemmunglos. In zahlreichen Grafiken werden bekannte Werke der Kunstgeschichte und geschützte Marken verwendet, gerne auch Schattenrisse der Disney-Maus mit Erektion oder abgetrenntem Arm. In seinem Plakat „Die vier apokalyptischen Reiter“ ergänzt Klaus Staeck das gleichnamige Werk Albrecht Dürers um die Namen von bekannten Internetkonzernen.

Auch wenn es sich bei der Grafik selbst um einen Remix handelt, gilt für das neu entstandene Werk das Staeck-Copyright: Eine kritische Rekontextualisierung wie in der surrealistischen Montage „La femme cachée“ wäre ohne explizite Genehmigung ebensowenig möglich wie eine Abbildung in der Wikipedia. Eine Auseinandersetzung mit der Ausstellung in Form von Appropriation Art, Twitter-Posts oder Blogartikeln setzt umständliche Genehmigungen, hohe Gebühren und bürokratische Leidensfähigkeit voraus. Falls die Urheber zu spät antworten oder der Kontext nicht genehm erscheint, muss der demokratisch-kreative Besucher mit einer Abmahnung rechnen, sofern er nicht ganz auf den Beitrag verzichtet.“

Neuschäfer spricht unter anderem meine Lieblinge vom Rijksmuseum und ihr Rijksstudio an, wo ein Museum mal eben die Kontrolle über große Teile ihrer Sammlung aus der Hand gibt und User*innen einfach machen lässt:

„Wie man moderne Kunstvermittlung innovativ und gelassen gestaltet, demonstriert das Amsterdamer Rijksmuseum. In dem Online-Portal Rijksstudio kann man 190.000 Bilder in höchster Qualität herunterladen. Da die meisten Urheber bereits seit mehr als 70 Jahren verstorben sind, stehen die Inhalte in der public domain. Diese Großzügigkeit ist keine Ausnahme, neben anderen Institutionen bietet auch das EU-Projekt Europeana sämtliche Inhalte mit einer CC0-Lizenz an. Die Datamanagerin des Rijksmuseums Lizzy Jongma zeigt sich vollkommen unbesorgt vor dem digitalen Kontrollverlust: „We are so happy with whatever people do with our collection!“ Auch Direktor Taco Dibbits freut sich noch im Falle von bedruckten Kleidern, Sitzsäcken und Toilettenpapier herzlich über die hohe Reproduktionsqualität der Werke und die wachsende Bekanntheit des Hauses. Der kunsthistorischen Bewertung von Vermeer hat dies bislang nicht geschadet.“

Digitale Sammlung des Staedel

So ganz „einfach mal machen“ kann man bei der neuen digitalen Sammlung des Frankfurter Staedelmuseums nicht, weil man einige Vorgaben hat, aber anhand derer kann man sich sehr entspannt durch Teile der Sammlung hangeln: assoziativ, spielerisch und informativ. Okay, da hätte von mir aus noch deutlich mehr kommen können, und ich lese lieber als dass ich zuhöre, weswegen ich auch keine Audioguides mehr ertrage, aber für den ersten Aufschlag finde ich das alles schon sehr schön, innovativ, benutzer*innenfreundlich und vor allem spannend.

„Der Historiker von morgen wird Programmierer sein oder es wird ihn nicht mehr geben“

Das Blog digitale : Geschichte „begleitet die Veranstaltungen im Sommersemester 2015 der Gastprofessur von Mareike König für Digital Humanities am Institut für Geschichte der Universität Wien.“ König twittert übrigens auch, und sie ist eine von den Twitter*innen, von denen ich so ziemlich jeden Link anklicke. Mein Lieblingssatz im Artikel, der gnadenlos in der BA-Arbeit zitiert werden wird, in der ich eine Datenbank konzipieren werde (Hervorhebung von mir):

„Durch den Computer konnte nach Eingabe der Daten nicht nur eine einzige Kurve erstellt werden, wie man sie auch von Hand hätte errechnen können (wenn auch mit einiger Mühe). Sondern es war möglich, in kurzer Zeit die Daten in verschiedenen Graphiken auszugeben und miteinander in Bezug zu setzen.“

Das ist für mich der Knackpunkt und die große Errungenschaft des Digitalen: Wir können Bezüge herstellen und sie visuell aufbereiten. Was für uns kleine Bildwissenschaftler*innen natürlich total schnafte ist, weil wir nicht erst visuelle Eindrücke in Text übersetzen müssen, sondern sie jetzt auch bildlich darstellen können. Das ist zwar immer noch eine Interpretation (hey, Wissenschaft!), aber sie kann jetzt im gleichen bzw. in einem ähnlichen Medium stattfinden wie das, in dem das Original vorhanden ist.