Schokoladenbuttercremetorte

Wenn man ganz dringend ganz schnell ganz viel Schokolade braucht.

Die Zutaten unten reichen für eine 18-Zentimeter-Springform und es bleibt selbst beim großzügigen Verstreichen noch Buttercreme übrig. Wenn ihr die Zutaten für den Biskuit verdoppelt und bei der Creme 300 statt 200 g Schokolade nehmt, müsste es auch für eine 26-cm-Form reichen. Habe ich aber noch nicht ausprobiert.

Den Biskuitboden hatte ich schon mal für die Ganachetorte verbloggt, aber gute Sachen kann man ja mehrfach posten. Das Buttercremerezept kommt gnadenlos von Chefkoch. Und noch ein Hinweis: Der Biskuit wird relativ fest, das heißt, er verträgt auch nach dem Teilen dicke Frucht- oder Cremeschichten. Fluffig-locker ist er spätestens am nächsten Tag aber nicht mehr. Vor allem nicht unter einer dicken Schicht Buttercreme, die gerade im Kühlschrank fast komplett fest wird.

Die Springform buttern und den Ofen auf 180 Grad Ober- und Unterhitze vorheizen.

45 g Butter schmelzen und etwas abkühlen lassen.

70 g Zartbitterschokolade schmelzen.

3 Eiweiß zu Eischnee schlagen.

3 Eigelb mit
85 g Kristallzucker im heißen Wasserbad dicklich aufschlagen – zum Beispiel das, über dem ihr auch schon die Schokolade geschmolzen habt, wie praktisch. Also vorher einfach auf die richtige Topf- und Schüsselgröße achten.

In diese Mischung
75 g Mehl sieben. Danach Butter und Schokolade unterheben, anschließend nach und nach den Eischnee. In die Form geben und für circa 35 Minuten backen. Den Biskuit vollständig auskühlen lassen, danach horizontal teilen. Notfalls den oberen Teil etwas begradigen.

Währenddessen die Buttercreme herstellen. Dazu

200 g Zartbitterschokolade schmelzen und deutlich abkühlen lassen.

250 g Butter mit dem Mixer weißlich rühren.

275 g Puderzucker hineinsieben und unterrühren. Wenn die Schokolade soweit abgekühlt ist, dass sie die Butter nicht mehr schmelzen kann, ebenfalls unterrühren. Ich habe dazu die Lippenprobe gemacht: Wenn sich die Schokolade an den Lippen nicht mehr warm anfühlt, müsste das klappen. Hat es jedenfalls bei mir. Falls die Buttercreme zu fest geworden ist, mit ein paar Esslöffeln Milch auflockern; normalerweise reicht nochmal kräftig durchrühren auch.

Auf die Kuchenplatte vier breite Streifen Backpapier legen, so dass sie jede Seite bedecken, aber in der Mitte die Platte noch zu sehen ist. Den unteren Boden mit einem Klecks Buttercreme an der Platte fixieren. Darauf ordentlich Creme geben und mit einer Palette glattstreichen, dann den zweiten Boden aufsetzen. Nun die Außenhülle der Torte ebenfalls mit Creme überziehen und glattstreichen, sofern man das will und kann; ich habe mich in Kenntnis meiner eigenen Fähigkeiten für den rustikalen Lavalook entschieden.

Am Ende die Backpapierstreifen vorsichtig unter der Torte hervorziehen und sich darüber freuen, dass die Platte sauber geblieben ist.

Tagebuch Samstag bis Dienstag, 26. bis 29. Januar 2019 – Wein, Schokolade und Bier

Der Samstag war schön, dann doof, dann wieder schön: Am späten Vormittag besuchte ich die zweite Ausstellung für unseren Podcast und besorgte dann noch den Wein für die Aufnahme, den ich ernsthaft bis dahin vergessen hatte. Der Gastgeber legt ja bekanntermaßen das Weinthema fest, über die Austellungen stimmen wir ab, und so hatte ich im Hinterkopf, welche zwei Schauen ich noch gucken musste – aber dass ich auch noch einen Wein brauche, hatte ich warum auch immer völlig verschnarcht.

Gut, dass es das Internet gibt, das einem sagt, wo man in Müchen vielleicht Orange Wine bekommen könnte. Ich hatte mir auch einen Winzer ergoogelt, dessen Weine ich probieren wollte, und so stieg ich nach der Ausstellung erst in die Tram, kaufte dann am Stachus mein Lieblingsbrot, stieg dort auch gleich in die S-Bahn, um am Rosenheimer Platz schon wieder auszusteigen und zum Weinladen zu bummeln. Dort gab es zwar nicht den Wein, den ich mir überlegt hatte, aber dafür genügend andere. Außerdem stellte ich beglückt fest, dass in meinen neuen Rucksack locker drei Weinflaschen (und Zeug) passen und dass die rückseitige Polsterung dafür sorgt, dass mir die Flaschen nicht dauernd an die Lendenwirbelsäule dengeln.

Ich war rechtzeitig zum Fußball wieder zuhause und konnte so dem FC Augsburg dabei zuschauen, mal wieder zu verlieren. Immerhin auf dem warmen Sofa und nicht frustriert und frierend im Stadion.

Abends fuhr ich dann zu F., aß die bei ihm traditionelle Fehlfarbenpizza von Lo Studente (dieses Mal Christopher), wir entkorkten Weine und plauderten erst ohne Mikro, dann mit, dann wieder ohne vor uns hin.

Gemeinsam eingeschlafen.

Und Sonntag gemeinsam aufgewacht. Um 11! Was zur Hölle? Normalerweise werde ich schon irre, wenn ich um 9 aufwache, weil ich dann immer denke, der halbe Tag ist schon rum, aber ELF? So lange hatte ich schon ewig nicht mehr geschlafen. F. holte sich ein Teilchen vom Bäcker, ich meinte, ich bräuchte nichts, ich würde mir meine Sonntagscroissants nachher selber auf dem Heimweg holen. Wir lungerte noch etwas rum, dann musste er ins Stadion zu Bayern, und als ich meinen Rucksack packen wollte, um nach Hause zu gehen, stellte ich fest, dass in ihm eine Bäckertüte lag, weil F. mir natürlich schon Croissants mitgebracht hatte. Ich war ein lebendes Herzaugenemoji. (Jetzt beim Aufschreiben schon wieder!)

Das Bayernspiel schaute ich nur kurz, ansonsten sah ich den Stalkerquatsch You auf Netflix und fand es fürchterlich. Das Beste an der Serie ist dieser Artikel in der NYT, in dem Hauptdarsteller Penn Badgley zu seiner Rolle als Mistkerl sagt: „In a more just society, we would all see Joe as problematic and not be interested in the show, but that’s not the society we live in.“

Die noch fehlenden Bücher der letztwöchigen FAZ nachgelesen, unter anderem diesen Artikel über die erneute Aufführung von Schindlers Liste.

„Auch Produzent Artur Brauner versuchte sich an einem Schindler-Film. Er scheiterte 1984 und 1992 an der Filmförderung, die erklärte, kein Deutscher könne solch einen Film machen, ohne nicht der Reinwaschung bezichtigt zu werden.

Brauners Erfahrungen spiegeln die besonders komplizierte Stellung deutscher Filme, die sich nicht-dokumentarisch mit dem Holocaust beschäftigen, hervorragend wider. Die Schuldfrage und die doppelte Betroffenheit erzeugen bis heute ein schizophrenes Arbeitsfeld zwischen Ausblendung und der Angst, „falsch“ zu erzählen und zu bebildern. Wenn Ideen nicht gleich an den Abwehrmechanismen scheitern, finden sie oft durch Verschiebungs- und Ersatzmechanismen statt. Besonders beliebt sind das Konzentrieren auf Widerstandsgeschichten, die „guten“ Deutschen. Das Jüdische wiederum findet meist abgeschirmt vom Holocaust in Geschichten von Entkommenen oder Versteckten statt. Man konzentriert sich auf die Ausnahmen. Die harsche Realität des Holocaust bleibt randständig. Kein Wunder, dass die wirklich wirksamen Filme nicht aus Deutschland kommen.“

Am Sonntag war Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Yad Vashem hatte sich dazu eine Aktion in den sozialen Medien überlegt, die ich in ihrer Schlichtheit sehr beeindruckend und wirkungsvoll fand. An der sogenannten I-Remember-Wall konnte man sich eine Person zuteilen lassen, die in der Shoah umgebracht worden war und ihrer gedenken. Ich habe das Bild und eine kurze Biografie von Malka Apelman aus Polen auf meinem Instagram-Account gepostet. Aus einer unvorstellbaren Zahl wurde ein einzelnes Gesicht, eine Person, und an diese habe ich gedacht.

Der Montag war größtenteils von kulinarischen Misserfolgen geprägt. Immerhin ist das Gemüsebrühenpulver etwas geworden. Aber die eigentlich angeblich tollste Schokoladentorte der Welt war ein einziges Desaster. Aus Frust buk ich einen Biskuit, von dem ich wusste, dass er funktionierte, und ergoogelte mir eine Buttercreme mit Schokolade statt mit Kakaopulver, denn das hatte ich komplett für die nach gammeliger Asche schmeckende Torte gebraucht, die jetzt in Bröseln (Teig war nicht festgeworden) in meinem Mülleimer lag. Das klappte immerhin und rettete ein bisschen den Tag, auch wenn es eben nicht der fluffige Teig mit einer leichten Creme war, sondern mein üblicher fester Biskuit, den man aber immerhin mit Creme einstreichen kann, ohne dass er einem unter der Palette zerfällt.

So richtig gerettet wurde der Tag allerdings durch ein, zwei (sieben, ähem) Bierchen im Obacht in meiner liebsten Gesellschaft. Ich musste mich allerdings auf dem Heimweg an den Häuserwänden festhalten und weiß nach den Kopfschmerzen am Dienstag morgen auch, dass meine Grenze anscheinend fünf Halbe sind und eben nicht sieben. Aber es war so nett und gemütlich und unser Gespräch so schön, dass wir beide einfach den Abend nicht beenden wollten.

Dienstag war Orgatag. Auf meinem Schreibtisch lag lauter Kleinkram, der weggearbeitet werden wollte. Das tat ich auch, räumte zwischendurch das Schlachtfeld Küche auf, das ich nach dem bierseligen Abend wirklich nicht mehr anrühren wollen, und ging brav früh und nüchtern schlafen.

Bei Year of Wonder haben mir zwei Stücke sehr gefallen, beide von Komponist*innen, die ich noch nicht kannte. Die Unsent Love Letters von Elena Kats-Chernin und L’Heure Exquise von Reynaldo Hahn sind sehnsuchtsvoll schön und passten gestern sehr gut in meine Stimmung.

Wie ich allerdings festgestellt habe, besteht meine Playlist der Woche von Spotify inzwischen auch nur noch aus Klassik, seit ich eben dort nichts anderes mehr höre. Muss mal wieder ein paar Föhnfrisuren aus den 80er Jahren anwerfen.

Als Rausschmeißer wieder ein bisschen Zweig. Wir befinden uns in den direkten Nachkriegsjahren in Österreich, und was Zweig mit am eindrücklichsten an der Inflationszeit in Erinnerung geblieben ist, sind: biertrinkende Menschen.

„Am groteskesten entwickelte sich das Mißverhältnis bei den Mieten, wo die Regierung zum Schutz der Mieter (welche die breite Masse darstellten) und zum Schaden der Hausbesitzer jede Steigerung untersagte. Bald kostete in Österreich eine mittelgroße Wohnung für das ganze Jahr ihren Mieter weniger als ein einziges Mittagessen; ganz Österreich hat eigentlich fünf oder zehn Jahre (denn auch nachher wurde eine Kündigung untersagt) mehr oder minder umsonst gewohnt. Durch dieses tolle Chaos wurde von Woche zu Woche die Situation widersinniger und unmoralischer. Wer vierzig Jahre gespart und überdies sein Geld patriotisch in Kriegsanleihe angelegt hatte, wurde zum Bettler. Wer Schulden besaß, war ihrer ledig. Wer korrekt sich an die Lebensmittelverteilung hielt, verhungerte; nur wer sie frech überschritt, aß sich satt. Wer zu bestechen wußte, kam vorwärts; wer spekulierte, profitierte. Wer gemäß dem Einkaufspreis verkaufte, war bestohlen; wer sorgfältig kalkulierte, blieb geprellt. Es gab kein Maß, keinen Wert innerhalb dieses Zerfließens und Verdampfens des Geldes; es gab keine Tugend als die einzige: geschickt, geschmeidig, bedenkenlos zu sein und dem jagenden Roß auf den Rücken zu springen, statt sich von ihm zertrampeln zu lassen.

Dazu kam, daß während im Wettersturz der Werte die Menschen in Österreich jedes Maß verloren, manche Ausländer erkannt hatten, daß bei uns im trüben gut zu fischen war. Das einzige, was während der Inflation – die drei Jahre anhielt und in immer schnellerem Tempo verlief – innerhalb des Landes stabilen Wert besaß, war das ausländische Geld. Jeder wollte, da die österreichischen Kronen wie Gallert unter den Fingern zerflossen, Schweizer Franken, amerikanische Dollars, und stattliche Massen von Ausländern nützten die Konjunktur aus, um sich an dem zuckenden Kadaver der österreichischen Krone anzufressen. Österreich wurde ›entdeckt‹ und erlebte eine verhängnisvolle ›Fremdensaison‹. Alle Hotels in Wien waren von diesen Aasgeiern überfüllt; sie kauften alles, von der Zahnbürste bis zum Landgut, sie räumten die Sammlungen von Privaten und die Antiquitätengeschäfte aus, ehe die Besitzer in ihrer Bedrängnis merkten, wie sehr sie beraubt und bestohlen wurden. Kleine Hotelportiers aus der Schweiz, Stenotypistinnen aus Holland wohnten in den Fürstenappartements der Ringstraßenhotels. So unglaublich das Faktum erscheint, ich kann es als Zeuge bekräftigen, daß das berühmte Luxushotel de l’Europe in Salzburg für längere Zeit ganz an englische Arbeitslose vermietet war, die dank der reichlichen englischen Arbeitslosenunterstützung hier billiger lebten als in ihren Slums zu Hause. Was nicht niet- und nagelfest war, verschwand; allmählich verbreitete sich die Nachricht, wie billig man in Österreich leben und kaufen könne, immer weiter, aus Schweden, aus Frankreich kamen neue gierige Gäste, man hörte auf den Straßen der inneren Stadt in Wien mehr italienisch, französisch, türkisch und rumänisch sprechen als deutsch. Sogar Deutschland, wo die Inflation zuerst in viel langsamerem Tempo vor sich ging – freilich um die unsere später um das Millionenfache zu überholen –, nutzte seine Mark gegen die zerfließende Krone aus. Salzburg als Grenzstadt gab mir beste Gelegenheit, diese täglichen Raubzüge zu beobachten. Zu Hunderten und Tausenden kamen aus den nachbarlichen Dörfern und Städten die Bayern herüber und ergossen sich über die kleine Stadt. Sie ließen sich hier ihre Anzüge schneidern, ihre Autos reparieren, sie gingen in die Apotheken und zum Arzt, große Firmen aus München gaben ihre Auslandsbriefe und Telegramme in Österreich auf, um an der Differenz des Portos zu profitieren. Schließlich wurde auf Betreiben der deutschen Regierung eine Grenzbewachung eingesetzt, um zu verhindern, daß alle Bedarfsgegenstände statt in den heimischen Läden in dem billigeren Salzburg gekauft wurden, wo man schließlich für eine Mark siebzig österreichische Kronen erhielt, und energisch wurde am Zollamt jede aus Österreich stammende Ware konfisziert. Aber ein Artikel blieb frei, den man nicht konfiszieren konnte: das Bier, das einer im Leibe hatte. Und die biertrinkenden Bayern rechneten es sich am Kurszettel von Tag zu Tag aus, ob sie im Salzburgischen infolge der Entwertung der Krone fünf oder sechs oder zehn Liter Bier für denselben Preis trinken konnten, den sie zu Hause für einen einzigen Liter zahlen mußten. Eine herrlichere Lockung war nicht zu erdenken, und so zogen mit Weibern und Kindern Scharen aus dem nachbarlichen Freilassing und Reichenhall herüber, um sich den Luxus zu leisten, so viel Bier in sich hineinzuschwemmen, als der Bauch nur fassen konnte. Jeden Abend zeigte der Bahnhof ein wahres Pandämonium betrunkener, grölender, rülpsender, speiender Menschenhorden; manche, die sich zu stark überladen, mußten auf den Rollwagen, die man sonst zu Koffertransporten benutzte, zu den Waggons geschafft werden, ehe der Zug, gefüllt mit bacchantischem Geschrei und Gesang, wieder zurückfuhr in ihr Land. Freilich, sie ahnten nicht, die fröhlichen Bayern, daß ihnen eine fürchterliche Revanche bevorstand. Denn als die Krone sich stabilisierte und dagegen die Mark in astronomischen Proportionen niederstürzte, fuhren vom selben Bahnhof die Österreicher hinüber, um ihrerseits sich billig zu betrinken, und das gleiche Schauspiel begann zum zweitenmal, allerdings in der entgegengesetzten Richtung. Dieser Bierkrieg inmitten der beiden Inflationen gehört zu meinen sonderbarsten Erinnerungen, weil er plastisch-grotesk im kleinen den ganzen Irrsinnscharakter jener Jahre vielleicht am deutlichsten aufzeigt.“

Gemüsebrühenpulver

Ich habe neulich endlich mal eine eigene Gemüsebrühe als Grundlage für Suppen zubereitet, war aber mit dem Ergebnis nicht ganz hundertprozentig zufrieden. Außerdem nimmt eingefrorene Brühe ein bisschen mehr Platz in meinen Gefrierfächern weg als mir lieb war. Daher habe ich jetzt Gemüsebrühenpulver hergestellt, aus dem ich soeben eine Brühe aufgegossen habe, die ich nebenbei wegnippe, während ich tippe. Denn der Geschmack gefällt mir außerordentlich gut.

Das Rezept stammt von Arthurs Tochter, auf deren Seite noch mehr Phasenfotos zu sehen sind. Was ihr braucht, ist ein Berg Gemüse, einen Ofen mit Umluft, einen anständigen Standmixer und vor allem viel Zeit. Ich sag’s nur vorher.

Ich habe die Hälfte der Menge des Ursprungsrezepts hergestellt und brauchte daher nur ein Backblech, nicht drei. Aus den untenstehenden Zutaten kommen ungefähr 250 g Pulver heraus.

250 g Möhren, geschält,
100 g Lauch mit Grün,
50 g Petersilienwurzel, geschält,
150 g Knollensellerie, geschält,
150 g Zwiebeln, geschält, und
1 Bund Petersilie grob zerkleinern und in einen Standmixer (Blender) geben.

Dazu noch
1 Lorbeerblatt,
1/2 TL Zucker,
2 EL Tomatenmark,
2 EL helle Sojasauce (möglichst ohne Geschmacksverstärker) und
125 g grobes Meersalz.

Mein Blender steht immer noch nicht wieder in München, daher habe ich den Gemüseberg in Etappen in einem kleinformatigen Mixer zu winzigen Würfeln zerkleinert (und vergessen zu fotografieren). Es ist keine so feine Paste bei mir herausgekommen wie bei Arthurs Tochter, aber das Rezept hat trotzdem funktioniert.

Diese Paste streicht ihr nun auf ein mit Backpapier ausgelegtes Backblech und lasst es bei 80 Grad Umluft (!) für 12 bis 15 Stunden im Ofen trocknen. Topflappen oder Kochlöffel in die Tür klemmen, damit die Feuchtigkeit entweichen kann. Ich bin abends irgendwann aus dem Haus gegangen und wollte den Ofen nicht anlassen, der noch keine 12 Stunden hinter sich hatte, also habe ich einfach die Ofentür bei ausgeschaltetem Ofen offengelassen und am nächsten Morgen nach der Paste geguckt.

Die war erwartungsgemäß trocken und ließ sich leicht in Stücke zerbrechen. Die kommen wieder in den Mixer, zusammen mit
35 g getrockneten Pilzen (kann eine Mischung sein, bei mir waren es nur Steinpilze). Alles pulverisieren und beim Öffnen des Deckels ein bisschen warten, es staubt ziemlich.

Fertig! Pulver in ein Glas umfüllen und genauso benutzen wie gekaufte Brühe. Ich habe eben einen Teelöffel auf 200 ml heißes Wasser gegeben und das schmeckt genauso wie ich mir Brühe vorgestellt habe. Nur noch besser.

Ja, das dauert alles länger als einfach im Supermarkt ein Gläschen zu kaufen und teurer ist es auch. Aber im Gegensatz zu dem Glas, das ich zum Vergleich aus meinem Schrank geholt habe, sind im selbstgemachtem Pulver garantiert mehr als 16,5 Prozent Gemüse drin.

Fehlfarben 19: LAND_SCOPE / BODYSCAN

ICH SCHREIE NICHT, DIE TITEL SIND IN VERSALIEN! Dabei haben die beiden schönen Ausstellungen das gar nicht nötig, sich so aufzuplustern. Wir hatten viel zu besprechen und wagten uns nebenbei erstmals an Orange Wines. Das war ein sehr lehrreicher Abend.

Normalerweise schreibe ich nicht extra auf, was ihr auch hören könnt, aber ich habe schon bei den letzten Aufnahmen gemerkt, dass mir das ein bisschen fehlt, im eigenen Blog nachlesen zu können, was mir gefallen hat. Wir sprechen noch über weitaus mehr Kunstwerke als ich hier erwähne, aber diese wollte ich persönlich mir merken. Auf unserer offiziellen Seite könnt ihr diesen Eintrag hier auch in deutlich kürzer lesen.

Podcast herunterladen (MP3-Direktlink, 86 MB, 108 min), abonnieren (RSS-Feed für den Podcatcher eurer Wahl), via iTunes anhören.

00.00:00. Begrüßung und Vorstellung.

00.01:30. Blindverkostung des ersten Weins.

00.03:55 : Die erste Ausstellung: LAND_SCOPE im Stadtmuseum München, läuft noch bis zum 31. März. Ich fand die Ausstellung überraschend groß, ich wusste gar nicht, wie viel Platz im kleinen Stadtmuseum ist. Ich zitiere von der Website: Die Schau besteht aus „über 130 Kunstwerken, die zwischen 1972 und 2018 entstanden sind“. Und dann zitiere ich gleich noch weiter, weil das das einzige zu rupfende Hühnchen ist: Angeblich „zeichnet die Ausstellung den Facettenreichtum der fotografischen Naturdarstellungen bis in die Gegenwart nach, setzt die Weiterentwicklung und nicht selten die Überwindung der Gattung Landschaft mit Hilfe des Lichtbildes ins Relief.“ Bitte was? Wer setzt was ins Relief? Wie setzt man überhaupt irgendwas „ins Relief“? Schwafelalarm galore, der so ziemlich für alle Ausstellungstexte galt, weswegen ich auch den eigentlich günstigen Katalog nicht gekauft habe, so bockig war ich.

Ansonsten ist die Ausstellung aber sehr sehenswert: einfach die Texte überfliegen und dann ignorieren. Ich persönlich mochte das großformatige Foto „Himmelstillleben“ (1998) von Anton Henning am liebsten. Das findet ihr praktischerweise in einem älteren Ausstellungsflyer der DZ Bank, die auch für diese Ausstellung der Leihgeber war; auf Seite 29 in diesem pdf ist das Bild zu sehen. Leider recht hell, aber man kann es mit etwas gutem Willen erkennen: Es zeigt einen Innenraum, an dessen Wand lauter kleine Gemälde lehnen. Auf diesen sind Wolken oder Himmel abgebildet, teilweise in buntfarbiger Abend- oder Morgenstimmung. Ich fand es schlicht großartig, wie ein so wichtiges, übergroßes Bildmotiv wie der Himmel einfach so unbeachtet in der Gegend rumsteht. Der Himmel wurde nicht nur gemalt, sondern auch besungen und bedichtet, er ist ein Sehnsuchtsort, eine Metapher für das Jenseits, größer geht es ja kaum noch – und hier ist er in kleinen Rechtecken gefangen, die anscheinend gerade niemand braucht oder die vielleicht später für wenig Geld auf dem Flohmarkt verscherbelt werden. Fand ich toll.

Ebenfalls ganz oben auf meiner Liste: zwei Bilder aus der Serie „Die bleichen Berge“ von Walter Niedermayr. Die ausgestellten, fast schwarzweißen und unwirklich scheinenden Bilder sind meiner Meinung nach nicht online, aber der Überblick „Alpine Landschaften“ auf Niedermayrs Website zeigt sehr gut die Richtung.

Mich faszinierten außerdem die italienischen Landschaften von Luigi Ghirri, die mich an die französischen Impressionisten, vor allem Cézanne (der gar keiner sein wollte), erinnerten. Die Fotos zeigten klar erkennbar neuzeitliche agrarische Szenen, meist menschenleer, nur Gelände und Gerätschaften, aber ich fühlte mich rein durch die Bildkomposition, aber nicht durch die Farben, um 100 Jahre zurückversetzt.

Das Bild, das uns alle lange beschäftigte, auch weil es so groß war, war „Yayladagi, Turkey“ von Richard Mosse. Es ist hier zu sehen, aber so richtig wirkt es erst, wenn man davor steht. Vermutlich ist auch seine Größe ein Grund dafür, dass ich ewig der Meinung war, dass das ein Komposit ist, nicht nur ein Bild, sondern diverse, die zusammengefügt wurden. Ist es aber angeblich nicht. Was wir auch in der Ausstellung so nebenbei gemerkt haben: Wir trauen Fotos nicht mehr.

Ich hatte ein bisschen Angst, dass die ersten 20 Minuten des Podcasts arg beschreibungslastig sind, weil wir über so viele Werke sprechen. Wir bessern uns aber und kriegen uns auch, wie immer, irgendwann in die Haare.

00.33:50. Der zweite Wein.

00.57:30. Fazit der ersten Ausstellung: drei Daumen nach oben.

00.59:20. Der dritte Wein. Ich prophezeie, am Ende der Aufnahme Fan von Orange Wines geworden zu sein, meckere aber vorsichtshalber erstmal weiter rum.

01.04:30. Die zweite Ausstellung, BODYSCAN, läuft noch bis zum 2. März in der Eres-Stiftung. Das ist ein winziges Untergeschoss in der Nähe des Kurfürstenplatzes, wo man erstaunlich viel Kram unterbringen konnte. Der Untertitel der Ausstellung lautet „Anatomie in Kunst und Wissenschaft“ und genau das ist es dann auch. Wir sehen künstlerische Werke, aber auch Material aus der medizinischen Arbeit, Forschung und Historie. Klingt ein bisschen wie Gruselkabinett auf Knopfdruck, aber ich glaube nicht, dass das der Anspruch war. Was genau der Anspruch war, habe ich allerdings bis zum Schluss nicht verstanden.

Ich wurde während des Rundgangs sehr mit meiner eigenen Körperlichkeit und deren Endlichkeit konfrontiert, und zwar in einem Ausmaß, den ich nicht vorhergesehen hatte. Ich war ebenfalls überrascht davon, welche Ausstellungsstücke mir nahe kommen konnten. So steht man gleich im ersten Raum vor dem abgebildeten Text und dem Video von Allen Ginsbergs „Ballad of the Skeletons“ (1996), lauscht dem Video per Kopfhörer – und direkt neben einem, man kann ihm nicht ausweichen, steht ein echtes männliches Skelett von circa 1900, das als Lehrmodell diente. Ich dachte bis zu diesem Zeitpunkt, dass mir Skelette nichts ausmachen, aber das fand ich nach nicht mal einer Minute so enervierend, neben einem ehemaligen Menschen zu stehen, dass ich das Video nicht zuende schauen konnte und wollte.

Das ist jetzt keine bahnbrechende Entdeckung, wie fragil unser Knochengerüst ist und wie leicht es zerstört werden kann, aber so direkt vor Augen geführt bekommen hatte ich es selten. Die Rippen des Skeletts waren durchtrennt und mit Messingklammern wieder zusammengeflickt worden, und mir kamen sie papierdünn und viel zu fein vor, um einen Mann tragen zu können. Weiter hinten in der Ausstellung hingen zwei überlebensgroße Drucke von 1752, die ein recht gut gelauntes Skelett (ich glaube, teilweise noch mit Muskeln und Organen) zeigten; ein Raum weiter grinste einem ein Skelett von einem Kupferstich von 1747/48 entgegen, und alle waren groß gewachsen, standen gerade und selbstbewusst in der Gegend herum, hatten einen großen Kopf und perfekte Zähne – und dann steht man vor diesem eher jämmerlichen echten Knochenhaufen und weiß, dass das Quatsch ist und dass von uns nur Knöchelchen übrig bleiben, die krumm und schief und voller Fehler sind. (Was irgendwo auch nett zu wissen ist, wenn man sich die ganzen gephotoshoppten perfekten Körper anschaut, die uns in den Medien begegnen, aber das hilft auch nur für fünf Sekunden.)

Ein weiterer Aha-Moment war die Betrachtung von zwei Fotos, einmal von Jeff Wall und einmal von Thomas Struth (hier als Artikelbebilderung zu sehen), auf denen Wunden als Modell nachgebildet wurden bzw. wo ein Mann einen mumifizierten Arm zeichnet. Das sage ich auch sinngemäß im Podcast: Mir ist zum ersten Mal klargeworden, dass ich, solange es Kunst ist, also „Fake“ (vorsichtig formuliert), ein Abbild, ein Foto, ein Gemälde, so ziemlich alles anschauen kann. Sobald ich aber weiß, etwas ist echt, kann oder will ich es nicht mehr sehen. Die innere Schublade „Kunst“ lässt mich vieles ertragen, was die Schublade „Da hat jemand wirklich Schmerzen, da ist jemand gestorben, da geschieht etwas Fürchterliches“ nicht aushaltbar macht.

Das passt dann auch zur nächsten Erkenntnis: meine eigene Schwelle zum Nichtwissenwollen. Man wird gleich am Eingang darauf hingewiesen, dass im allerletzten Raum ein Film läuft, der eine Sektion zeigt. Und ich noch so innerlich, haha, ich gucke seit 15 Staffeln Grey’s Anatomy, ich kann Blut und Innereien total ab, da bin ich ja gespannt, das möchte ich gerne mal sehen. Um die Pointe vorwegzunehmen: Ich habe es keine Minute ausgehalten. Da war auf einmal der Wunsch sehr groß, nicht darüber nachdenken zu müssen, dass wir eben nicht nur aus lächerlich fragilen Knochen bestehen, sondern auch aus Sehnen und Muskeln und Fleisch und Fett, das einem Skalpell so gar nichts entgegenzusetzen hat.

Ich mochte sehr viele Stücke in der Ausstellung gern, viele haben mich zum Nachdenken gebracht, aber mit dieser inneren philosophischen Diskussion über meine Körperlichkeit und wie viel – oder wie wenig? – sie zu meiner Persönlichkeit beiträgt, hätte ich nicht gerechnet.

01.38:50. Fazit der zweiten Ausstellung: Auch den anderen hat es sehr gefallen, auch wenn die Herren nicht ganz so deprimiert aus ihr herauskamen.

01.40:40. Wir lösen die Weine auf. Uns haben alle geschmeckt, auch wenn gerade ich, ähem, am Anfang arg gemeckert habe. Ganz klar vorne war der dritte Wein, dann der zweite, und selbst der letzte Platz ist keiner, weil auch der uns sehr gut gefallen hat.

Wein 1: Johannes Zillinger, Revolution – White Solera, ohne Jahrgang, Cuvée aus Chardonnay, Riesling und Scheurebe, 12,5%, für 12,90 Euro gekauft bei der charmanten Neuentdeckung 225 Liter, Nähe Rosenheimer Platz.

Wein 2: Eschenhof Holzer, Invader (2017), Müller-Thurgau, 12,5%, für 12,90 gekauft bei 8 Green Bottles.

Wein 3: Dario Princic, bianco trebez (2009), Cuvée aus Chardonnay, Sauvignon blanc und Pinot Grigio, 14%, für 29,90 gekauft bei orange-wines.com.

Tagebuch Freitag, 25. Januar 2019 – Anstrengend

Um 5 hellwach gewesen. Das Meeting um 10 ließ mich anscheinend nicht schlafen. Ich diskutierte mit mir, ob ich walken gehen wolle, aber im Dunklen bei minus vier Grad nach draußen zu gehen, lockte mich null. Also las ich, ging irgendwann duschen, kochte Kaffee, ging nochmal meine Notizen durch und machte mich sehr angespannt auf den Weg.

Worum es genau ging, hat hier im Blog nichts zu suchen, aber ich war nach dem Gespräch sowohl erleichtert als auch irgendwie erschlagen; das war eine Welt, die mir fremd ist und mich sehr beunruhigt. (Aber hey, Grüße an den mitlesenden Kollegen!) Nach zwei Stunden hatte ich alles gesagt, was ich sagen wollte und stapfte durch weiter leise fallenden Schnee zur U-Bahn.

Erst dort merkte ich, wie die Anspannung nachließ. Mein Kopf hatte keine Lust auf mein mitgebrachtes Buch, ich fuhr nach Hause, und sobald ich am Schreibtisch saß, um theoretisch diesen Blogeintrag anzufangen, kamen mir die Tränen – aus Anstrengung vermutlich und weil es um mehr ging als Job, Studium, Kram halt.

Deswegen schrieb ich den Eintrag auch nicht, der wird gerade heute morgen getippt. Gestern war ich nur noch zu einem langen Schlaf fähig und abends zu einem (okay, zwei) Whiskys zur Burns Night, den mir, wenn ich mich richtig erinnere, die Fachfrau für Islays @eeek_de mal empfohlen hatte. Das ist vermutlich einer der wenigen Islays, die ich mag; ich hab’s ja nicht so mit Torf, sondern mehr mit dem Highland-Honig. Der zwölfjährige Bunnahabhain riecht nach erdigem Karamell und schmeckt weder nach Rauch noch nach Torf, sondern wie Küste und irgendwann nach Salzzitrone, ist aber nicht frisch, sondern bleibt schmelzig-weich. Tolles Zeug.

Gemeinsam eingeschlafen, ausgelaugt, aber irgendwie erleichtert. Komischer Tag.

Die Musik zum Tag fand ich doof, ich habe lieber aus @gabriel_berlins einer Liste von eins, zwei, drei erneut das Largo aus Randall Thompsons Sinfonie Nr. 2 in e-moll gehört. Das passte gut. (Hatte ich das schon mal im Blog? Ich finde es selbst nicht.)

I’m the heaviest woman to complete a marathon

Dances With Fat ist einer der Accounts, die ich jahrelang verfolgt habe. Seit Essen und Dicksein nichts mehr ist, worüber ich viel nachdenke(n will), gucke ich nur noch selten in ihr Blog. Daher habe ich viel zu spät mitbekommen, dass sie schon im vergangenen Jahr einen Guinness World Record aufgestellt hat als schwerste Frau, die einen Marathon gelaufen ist (nach den Standards dieses Rekordbuchs. Ich bin mir sicher, es gab noch andere dicke Menschen, die derartiges tun). Netterweise beendet sie ihr Essay für ESPN mit dem Hinweis, dass Sport zu treiben, moralisch keinen Deut besser ist als keinen Sport zu treiben.

„I’m often asked if I think everyone should run a marathon. The answer is no. Running — and sports in general — isn’t for everyone, and that’s cool. What I do think, and the reason that I’m on a journey to complete an Ironman, is that whether you want to run a marathon, or knit the world’s largest tea cozy, if there’s an achievement that captivates you, go after it. The bigger or more ridiculous, the better!“

In ihrem neuesten Blogeintrag weist sie ebenfalls auf genau diese Falle hin, diese Dichotomie zwischen „den guten Dicken, die was tun“ und „den schlechten Dicken, die lieber auf der Couch sitzen“. Den Unterschied gibt es bei schlanken Menschen auch, aber das hat es anscheinend keine moralische Komponente. I am Jack’s total lack of surprise.

Die ganzen „Hallo, ich bin xyz und Sie kennen mich von …“-Tweets waren schon nach dem dritten nicht mehr lustig, aber den hier mochte ich doch sehr.

Ein pyramidales Dankeschön …

… an Christin, die mich mit Edgar P. Jacobs Das Geheimnis der großen Pyramide überraschte. Jacobs? Den Namen haben wir doch gerade irgendwo gehört? Ja, hier im Blog, ihr kleinen Racker! Am Sonntag las ich nämlich die Comicbiografie über diesen Zeichner und wollte jetzt natürlich dringend mal was von ihm lesen. Entsetzt stellte ich fest, dass seine Werke weder in der Stadtbücherei noch in den wissenschaftlichen Bibliotheken zu finden waren (hätte ja sein können). Also setzte ich mal einen Band von 1950 aus seiner Reihe mit dem Atomphysiker Mortimer und dem Geheimagenten Blake auf meinen Wunschzettel – und nur vier Tage später liegt er vor mir. Zauberei! Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut.

Tagebuch Donnerstag, 24. Januar 2019 – Im Stadtmuseum

Irre spät im Bett gewesen, erst gegen eins, aber ich konnte mich nicht von Herrn Zweig lösen. Je länger ich ihn lese, desto mehr fällt mir auf, dass in seiner Welt anscheinend überhaupt keine Frauen existierten. Das irritiert mich mehr und mehr, dass er wirklich nur über Männer und ihre Bücher, Kompositionen, Artikel, politischen Aktionen schreibt. Aus der Wikipedia weiß ich, dass der Mann 1920 heiratete; noch sind wir im Ersten Weltkrieg, also vielleicht ändert sich das nach verdammten 300 Seiten endlich. Schnauf.

Auf meinem Schreibtisch liegt gerade leider gar nichts (total eigennütziger Hinweis auf freie Kapazitäten – hallo, mitlesende Agenturen!). Ich stand trotzdem brav um 7 auf, bastelte mir ein hervorragendes Heißgetränk, bestellte effizient meine digitale Farm, las das Internet quer und fuhr dann mit der U-Bahn zu meiner Hausärztin, um mir ein neues Rezept für meine Standarddrogen zu holen.

Danach spazierte ich in Richtung Ohel-Jakob-Synagoge, über deren Gestalt ich mich immer freue. Über die anscheinend notwendigen Sicherheitspoller allerdings weiterhin überhaupt nicht.

Ich bummelte über den völlig leeren Viktualienmarkt und später über den ebenso leeren Marienplatz. War irgendwas? Wo sind die Touris?

Zwischen Synagoge und Marienplatz kehrte ich aber erst einmal im Münchner Stadtmuseum ein, wo ich mir eine Ausstellung für unseren Podcast ansah, den wir am Samstag aufnehmen wollen. Ich breche hier mal unser ungeschriebenes Gesetz, vorher nicht zu verraten, was wir machen bzw. worüber wir sprechen, aber ich glaube langsam, dass das Blödsinn ist. Also: Wer sich vielleicht bis Sonntag noch die Ausstellung Land_Scope anschauen will, der sollte das tun, dann kann er oder sie uns nämlich Sonntag (oder Montag) wissend zuhören.

Mehr verrate ich allerdings noch nicht; wer wissen möchte, ob es mir gefallen hat, muss noch ein bisschen warten. Ich ahne, dass ich auch diese Verschwiegenheit irgendwann brechen werde.

Nach erledigter Arbeit (ja, das ist für mich Arbeit) ging ich zum Kaufhof am Marienplatz, um mir endlich einen neuen Rucksack zu kaufen. Mein schöner Lederrucksack ist leider völlig runtergerockt und reißt neuerdings auch an einer Naht immer weiter auf. Ich meine, den habe ich mir gekauft, als ich noch festangestellt war, also vor Anfang 2008. Ich finde, er hat eine gute Zeit durchgehalten und darf jetzt erstmal in den Wandschrank. So richtig kaputt ist er nicht, und vielleicht kann ich ihn noch aufhübschen lassen. Aber ich wollte trotzdem wieder einen leichteren Rucksack, und gestern fand ich endlich einen, der mir gefiel und halbwegs bezahlbar war.

Danach spazierte ich zur Stabi, um ein Buch abzugeben. Von dort aus nahm ich dann den Bus nach Hause, genug rumgelaufen. Da bereitete ich mich auf einen Termin vor, den ich heute vormittag habe, und damit war der Tag dann auch schon fast wieder rum.

Die Musik zu den gestrigen Tagen: Für Mittwoch stand Carl Maria von Weber (Augenrollen) auf dem Programm, und dann auch noch ein Klarinettenkonzert (noch mehr Augenrollen). Klarinette ist so ein bisschen mein Hass-Instrument, ich mag den Klang überhaupt nicht, und nach den ersten ach so lustig-hüpfenden Tönen des Allegrettos dachte ich auch nur, ächz, wasn Kack, gleich vorskippen. Aber nein, das tat ich natürlich nicht, den genau das ist ja der Sinn dieses Buchs bzw. dieser Playlist – neue Stücke hören. Also hörte ich weiter zu – und muss leider zugeben, dass mich der olle Weber mit seiner ollen Klarinette und SEINER OLLEN GUTEN LAUNE dann doch irgendwann hatte. Und: Bei 3:30 hört es sich total nach „House of Cards“ an! Aber nur für zehn Sekunden, dann tiriliert wieder dieses blöde Blasinstrument durch die Gegend.

Gestern gab es dann William Byrds Agnus Dei, und da war ich dann doch ein bisschen zickig drauf. Ich mag diese Choräle wirklich gerne, aber jetzt hatte ich doch gerade so gute Klarinettenlaune! Den Übergang fand ich doof. Brav durchgehört, aber mit dem Kopf nicht dabeigewesen. Lieber nochmal die Trauermusik von Hindemith von vor ein paar Tagen angeklickt und mit dramatischen Gesten am Schreibtisch begleitet.

1000 Fragen, 1 bis 20

Da ich gerade nichts Aufregendes zu erzählen habe außer Wetter, Nahrung oder Netflixkonsum, fange ich jetzt auch mal mit den 1000 Fragen an, die seit Monaten in meiner Blognachbarschaft rumfliegen. Ich paraphrasiere Christian: „Die Fragen stammen ursprünglich aus dem Flow-Magazin, Johanna von pink-e-pank.de hat daraus eine persönliche Blog-Challenge gemacht, und Beyhan von my-herzblut.com hat das PDF erstellt.“

1. Wann hast du zuletzt etwas zum ersten Mal gemacht?

Gilt sowas wie die zweite Staffel von Friends from College zu gucken? Das war gestern.

So richtig mit Rausgehen und Dinge erleben: vermutlich Sonntag vor zwei Wochen, als ich, wenn ich mich richtig erinnere, erstmals zur Mittagszeit einem Kammerkonzert lauschte.

In diesem Zusammenhang: Durch Year of Wonder oder andere Klassik-Playlisten höre ich gerade sehr viel unbekannte Musik zum ersten Mal. Gestern zum Beispiel Hindemiths Sinfonie Mathis der Maler, die ich sehr weiterempfehlen kann.

2. Mit wem verstehst du dich am besten?

Mit mir selbst. Ich verbringe auch am liebsten mit mir meine Zeit.

3. Worauf verwendest du viel Zeit?

Schlafen. Schlafen ist super. Ansonsten Broterwerb und Lesen.

4. Über welche Witze kannst du richtig laut lachen?

Über die, auf die ich nicht vorbereitet bin. Wenn ich ein Comedyprogramm gucke, weiß ich ja, was kommt. Aber viele Serien vermögen mich immer noch zu überraschen. Darüber freue ich mich selbst immer sehr, wenn ich gackernd vor dem Laptop sitze, weil ein Witz sprachlich sehr schlau ist und mich daher zum Lachen bringt.

5. Macht es dir etwas aus, wenn du im Beisein von anderen weinen musst?

Kommt drauf an, wo: In der Oper, im Kino, im Privaten – von „Nicht die Bohne“ bis „Wir sind ja unter uns, passt schon, musste wohl raus.“ Wenn es im professionellen Kontext geschieht – total. Ich weine manchmal aus Wut, und das nervt dann sehr. Ist mir aber netterweise schon lange nicht mehr passiert.

6. Woraus besteht dein Frühstück?

Ein großer Flat White. Also eigentlich ein verunglückter Cappuccino.

7. Wem hast du zuletzt einen Kuss gegeben?

Dem Herrn F.

8. In welchem Punkt gleichst du deiner Mutter?

Ich habe es als Kind nie verstanden, dass man aufräumen musste, bevor Besuch kommt. Das verstehe ich inzwischen total. Und ich mag schön gedeckte Tische gerne. Das mochte ich allerdings auch als Kind schon.

9. Was machst du morgens als Erstes?

Auf dem Weg zur Toilette alle Fenster groß aufreißen und die Espressomaschine anschalten, damit die Diva eine halbe Stunde lang aufheizen und ich mir einen verunglückten Cappuccino herstellen kann.

10. Kannst du gut vorlesen?

Ich glaube nicht. Dauert mir zu lange, still lesen geht schneller. Wenn ich an der Uni für Referate Zitate vorlesen musste, habe ich gemerkt, seltsam außer Atem zu kommen beim Vorlesen. Keine Ahnung, wie Schauspieler*innen das mit ihrem Text hinkriegen. Und Musical-Sänger*innen erst! Oh, ich bin abgeschweift. Atmen beim Singen und Rumlaufen! Große Hochachtung.

11. Bis zu welchem Alter hast du an den Weihnachtsmann geglaubt?

Ich kann mich nicht erinnern, überhaupt an ihn geglaubt zu haben. Habe ich wahrscheinlich, aber ich weiß es wirklich nicht mehr. Ich wusste schon recht früh, dass die ganzen Bücher und Barbies von Omi waren.

12. Was möchtest du dir unbedingt irgendwann einmal kaufen?

Eine Küche, die genau so eingerichtet ist, wie ich sie haben will. Eventuell müsste ich dafür noch eine Wohnung oder ein Haus drumherum kaufen, und da stößt der Plan dann relativ schnell mit der Wirklichkeit zusammen.

Ansonsten hätte ich gerne noch etwas mehr Kunst an den Wänden und da habe ich auch schon etwas im Kopf, aber das ist gerade nicht bezahlbar.

13. Welche Charaktereigenschaft hättest du gerne?

Geduld.

14. Was ist deine Lieblingssendung im Fernsehen?

Ich habe keinen Fernseher und auf dem Laptop keine Lieblingssendung. Welche Serien ich allerdings schon gefühlt zwanzigmal gesehen habe: Friends und The West Wing.

15. Wann bist du zuletzt in einem Vergnügungspark gewesen?

Das müsste mindestens 25 Jahre her sein. Ich erinnere mich daran, im Heidepark Soltau die Person gewesen zu sein, die die Rucksäcke der anderen hielt, während diese Achterbahn fuhren. Das habe ich zweimal versucht, und das reichte für immer.

16. Wie alt möchtest du gern werden?

So alt wie’s nur geht und die Gesundheit mitspielt. Ich möchte noch so viele Bücher durchlesen! Und neue Musik hören! Und endlich wissen, wie Flat White geht!

17. An welchen Urlaub denkst du mit Wehmut zurück?

Aus verschiedenen Gründen: Indiana vor 20 Jahren (Menschen, die ich vermisse, die aber nicht mehr da sind) und Wien vor drei Monaten (hat mehr im Kopf angestoßen als ich erwartet hatte. Grummelt immer noch).

18. Wie fühlt sich Liebeskummer für dich an?

Wie Bauchschmerzen, die nicht weggehen, ganz egal wieviel Alkohol man draufkippt. Wie zwei Schritte vor, drei zurück, und du kannst nichts dagegen machen. Und immer, wenn man denkt, jetzt ist es besser, tut es wieder weh. Wenn man das allerdings einmal hinter sich gebracht hat, weiß man beim nächsten Mal, dass es irgendwann aufhört. Nur eben nicht jetzt, jetzt wird es nur kurz besser und tut dann wieder weh. Aber vielleicht bald. Nochmal drei Schritte zurück und einen billigen Weißwein. Vielleicht wieder mit dem Rauchen anfangen?

Anders ausgedrückt: Liebeskummer ist einfach nur irre anstrengend.

19. Hättest du lieber einen anderen Namen?

Als Kind wollte ich Nicole heißen, weil ich das C so schick fand. Heute kann ich mit Anke gut leben, weil es nicht so irre viele von uns in meiner Generation gibt. Nach uns vermutlich noch weniger; ich glaube, der Name war nie wirklich modern.

20. Bei welcher Gelegenheit hast du an dir selbst gezweifelt?

Ich zweifele gerne dauernd an mir rum, seltsamerweise vor allem bei Dingen, die ich eigentlich gut kann, weil ich die eben richtig gut machen will. Es wird im Alter aber besser, weil man irgendwann kapiert, dass alle anderen auch nicht so wahnsinnig gescheit sind.

Tagebuch Dienstag, 22. Januar 2019 – Days of Wonder und Nervscheiß

Den Vormittag über war ich mit einem etwas überraschenden Telefonat beschäftigt bzw. mit dessen Inhalt, der dafür sorgte, dass ich stundenlang in alten Blogeinträgen und Mails wühlte und mal wieder mit Kai als meinem Webhoster telefonieren konnte. Der Anlass war zwar doof, aber das war trotzdem nett. Und ich habe viel über die WordPress-Oberfläche gelernt. Trotzdem gnarg. Den ganzen Tag schlechte Laune gehabt.

Mein Frühstück war dementsprechend schon mein Mittagessen, weil ich halt ewig in Mails wühlen musste, aber Müsli geht ja immer. Viel Tee und Zeitunglesen dazu.

Der kleine musikalische Kick vom Montagabend begleitete mich dann den Rest des Tages so nebenher, ich lauschte immer mal wieder in Year of Wonder rein, das ich ein paar Tage vernachlässigt hatte, weil ich lieber Martinů am Stück hören wollte und keinen Kleinkram.

Gelernt:

– Das Oboensolo im Oboenkonzert in D-Dur, op. 9, no. 2 von Tomaso Albinoni ist das erste der Musikgeschichte.

– Rainer Maria Rilke hat auch auf Französisch gedichtet (und ist vertont worden). Ihr wusstet das bestimmt alle; ich habe ihn immer als rein deutschsprachigen Autoren wahrgenommen.

Steve Reich ist großartig. Okay, das wusste ich schon vorher, immerhin das haben die Kölner Deppen hingekriegt. Burton-Hill schreibt ganz simpel und ganz richtig zu seinem Electric Counterpoint 1: Fast: „And when it comes to those mesmerizing patterns that develop and build in our ear, he’s walking a direct line from J. S. Bach.“

(Darf ich hier kurz einschieben, wie toll der Übergang in der Playlist von minimalistischer E-Gitarre zu klassischem Sopran ist? Denn der kam jetzt:)

– „Du holde Kunst, in wieviel grauen Stunden,
Wo mich des Lebens wilder Kreis umstrickt,
Hast du mein Herz zu warmer Lieb’ entzunden,
Hast mich in eine beßre Welt entrückt,
In eine beßre Welt entrückt!

Oft hat ein Seufzer, deiner Harf’ entflossen,
Ein süßer, heiliger Akkord von dir,
Den Himmel beßrer Zeiten mir erschlossen,
Du holde Kunst, ich danke dir dafür,
Du holde Kunst, ich danke dir!“

Einziger Kommentar von Burton-Hill dazu: „Yep. That’s it.“

Paul Hindemith komponierte seine Trauermusik von 11 Uhr morgens bis 5 Uhr nachmittags am 21. Januar 1936. Eigentlich hätte er am 22. Januar sein neues Bratschenkonzert in London aufführen sollen, aber dummerweise starb König Georg V. am 20. Januar. Und weil Hindemith schon mal da war, sollte er halt was Hübsches schreiben, was dieses Ereignis reflektierte. Was er tat, woraufhin dann ein Orchester das Stück live in einem BBC-Radiostudio vom Blatt spielte, ohne es jemals vorher geprobt zu haben. „Pretty impressive stuff.“

Überhaupt: Hindemith! Den hatte ich ja auch noch gar nicht auf dem Schirm. Das Stück gefällt mir außerordentlich gut. Erinnerte mich etwas an, ähem, Martinů. Weniger dramatische Dur-Akkorde, aber nah dran. Und jemand, der Dinge komponiert wie „Ouvertüre zum „Fliegenden Holländer“, wie sie eine schlechte Kurkapelle morgens um 7 am Brunnen vom Blatt spielt“ (1925) hat eh gewonnen.

– Schostakowitsch schrieb nach Lady Macbeth von Mzensk (1930–32) keine Oper mehr. Gut, dass ich sie gesehen habe.

Abends war ich gerade mit dem Essen fertig, als F. noch vorbeischaute – und sobald er die Wohnung betreten hatte, war ich zwei Stunden lang mit Niesen und Augenreiben und Taschentuchsuchen beschäftigt. Ich hoffe, der Mann hat in der U-Bahn neben jemandem gestanden, der 17 Katzen hat. Nicht, dass ich jetzt auf einmal gegen Kreuzkümmel, Zitronen oder Reis allergisch werde. (MUNCH-EMOJI!)

Tagebuch Montag, 21. Januar 2019 – Moana und Don Quijote

Gestern war ich ausnahmsweise sehr dankbar dafür, dass niemand was von mir wollte. Ich war schon um fünf Uhr wach, warum auch immer, habe dann den Himmel über München nach dem roten Mond abgesucht, ihn aber nicht gesehen. Gegen sechs bin ich wieder weggedöst und um acht dann aufgestanden. Vom Bett schleppte ich mich matschig zur Dusche und von da aus, nach einem Umweg über Küche, Teekochen, Honigbrot schmieren, aufs Sofa, wo ich dann fast den ganzen Tag blieb, immer mit der Wärmflasche auf dem nervenden Uterus.

Über einen Tweet war ich in den vergangenen Tagen auf dem Blog von Nicole gelandet, wegen dieses Artikels über die unsägliche Kolumne von Fleischhauer auf Spon mit dem total cleveren (aka Arschloch-)Titel „Nazis rein“, ja, ich weiß, nicht mal ignorieren, aber trotzdem:

„Nazis raus, bitte. Aus der Gesellschaft. Geächtet, raus aus Funktionen, aus Behörden, aus dem Betrieb, aus sozialen Netzwerken, aus der Uni, aus der Öffentlichkeit. Kein Fußbreit. Dass wir darüber überhaupt reden müssen. Dass jemand „Nazis rein“ schreiben kann, dass jemand das liest und sagt, ist okay, drucken wir so. Selbst wenn Fleischhauer die Headline nicht selbst geschrieben hätte, aber in dem Fall trau ich ihm das zu, ist ja elemtentarer Teil seiner These – ich meine, dass niemand ihn geohrfeigt hat, stattdessen? Dass niemand die Person geohrfeigt hat, die das durchgehen ließ?“

Dann las ich mich fest und stieß auf ihren Eintrag über Moana (Vaiana). Stimmt, den hatte ich auch noch nicht gesehen, danke, Netflix. Der war hübsch, und ich hatte sofort einen Ohrwurm, logisch.

Wo ich schon mal auf Netflix war, guckte ich gleich Grace & Frankie weiter, wo Martin Sheen in seiner Theatergruppe den Don Quijote singen will, wovon ich natürlich auch wieder einen Ohrwurm hatte.

Abends ging es mir dann endlich wieder besser, die Matschigkeit war weg, und ich setzte mich an den Schreibtisch, drehte den Moana-Soundtrack auf und sang mal wieder und davon, dass

„The people you love will change you
The things you have learned will guide you
And nothing on earth can silence
The quiet voice still inside you“

Dann sang ich vom unreachable star. Und dann holte ich meine alten Gesangsnoten wieder raus and sang what I did for love, of the Moon River, that I was losing my mind and that I should never give all the heart und das tat alles so, so gut.

Gestern retweetete @LauraReinkens einen Thread des australischen Sportjournalisten Nathan Patrick, dessen Eltern sich nicht für Fußball interessieren und gerade in der Nähe von Manchester in einem Zug saßen. Ich habe den Thread im Laufe des Tages ungefähr zwanzigmal gelesen und musste jedesmal wieder lachen, vor allem über die fassungslosen Großbuchstaben.

Das Lustige daran ist nicht, dass Nates Eltern einen Fußballer nicht erkennen, sondern dessen völlig entgeisterte Reaktion darauf (Hinweis: Es ist halt nicht irgendein Fußballer). Trotzdem kann ich die Eltern völlig verstehen: Ich würde vermutlich nicht mal alle Spieler vom FC Augsburg wiedererkennen. Und auch nicht alle des Weltmeisters aus Frankreich. Ganz zu schweigen von Footballstars aus den USA, die ich, wenn überhaupt, nur mit Helm kenne. Ich fand es schlicht erfrischend zu lesen, dass der Lebensinhalt einer Person einer anderen völlig egal ist. Und die Bezeichnung „adorable muppets“ übernehme ich ab sofort in meinen Sprachschatz.

Außerdem habe ich dem Sushikoch Nozomu Abe von Sushi Noz in New York sehr gerne bei der Arbeit zugeschaut.

Wer keine Lust mehr hat, sich der Welt nur durch die Augen von männlichen Künstlern zu nähern, hat jetzt mit DieKanon eine sehr gute Alternative. Sibylle Berg schreibt zur Einführung folgendes; den meiner Meinung nach wichtigsten Satz habe ich mal gefettet:

„Es ist menschlich, sich an dem zu orientieren, was vertraut scheint, nachvollziehbar, dass alle Kanons der letzten Jahrzehnte und die darin enthaltenen Namen aus Kunst und Wissenschaft vornehmlich das gleiche Geschlecht hatten wie die Verfasser der sorgsam erstellten Listen. Die Einordnung, also immer auch ein wenig Aneignung, der Welt durch Männer ist lobenswert, jedoch – überholt. Nach Hunderten von Jahren, nach Tausenden empfohlener Werke, Gedanken und Schriften können wir heute zu dem Schluss kommen, dass das Experiment, die Welt durch Zuhilfenahme von Ordnungssystemen die vornehmlich männliche Geistesgrössen auflisten, zu einem freundlicheren und erfreulicheren Ort zu machen, fehl schlug. Denn trotz dieser ohne jeden Zweifel trefflichen Werklisten ist es nicht so, dass der Mensch sich vehement weiterentwickelt hätte.

Darum ist es Zeit für eine neue Liste, die wir nach intensiven Studien der Lehrpläne und Feuilletons, in denen wir kaum einen der aufgeführten Namen gefunden haben, erstellt haben: Neue Namen mit Ideen und der Kompetenz, die vielleicht etwas zu einem freundlicheren Miteinander in der Welt beitragen können. Oder die auch einfach nur für mindestens die Hälfte der Bevölkerung etwas mehr Relevanz haben. Unser Kanon, um dieses weihevolle Wort zu verwenden, ist unvollständig und subjektiv, wie diese Auflistungen immer sind, aber es ist ein Anfang.“

Tagebuch Sonntag, 20. Januar 2019 – Damendrogen

Ich wollte noch was zur Mayonnaise nachreichen. Inzwischen mache ich die mindestens zweimal die Woche, mal mit mehr, selten mit weniger Erfolg. Wie ich gestern schon schrieb: ein einziges Mal hat es mich fiese vier Versuche gekostet, bis ich endlich ein Dressing zum Salat hatte. Die Methoden aus Salz. Fett. Säure. Hitze für geronnene oder einfach nicht fest werdende Majo konnte ich auch schon mehrfach erfolgreich testen.

Die erste gemeinerweise meist dann, wenn ich mich in Sicherheit wiege, brav tröpfchenweise Öl zum Eigelb gegeben habe, schön meinen Arm ausleiere, der mit dem Schneebesen arbeitet, irgendwann denke ich IMMER, ha, heute klappt’s, dann werde ich leichtsinnig und kippe zu viel Öl in die Schüssel und zack, habe ich wieder Eigelb und Fett. Es hilft dann aber wirklich, eine neue Schüssel zu nehmen, in die einen halben Teelöffel knallheißes Wasser aus dem Hahn zu geben, besinnungslos mit dem unabgewaschenen, alten Schneebesen weiterzurühren und nun statt Öl die miese Majo dazuzugeben. Bis man sich dann wieder zu sicher fühlt und zack ihr wisst schon. VIER VERSUCHE! KEINE SAUBERE GLASSCHÜSSEL MEHR IM HAUS! ABER CAESAR DRESSING! Das wollen wir doch mal sehen, wer hier länger fluchen kann.

Die Methode beim Nichtemulgieren musste ich erst einmal anwenden. Wenn sich Eigelb und Öl nicht verbinden, ein paar Splitter Eis zur Flüssigkeit geben (eine Masse kann man das ja noch nicht nennen) und weitermachen. Für derartige Fälle ist es superpraktisch, wenn man den Gefrierschrank nicht streberhaft abgetaut hat – Eissplitter en masse!

Inzwischen weiß ich auch, was noch zum Gelingen beiträgt: eine richtig schwere Schüssel. Nosrat gibt im Buch immerhin den Tipp, ein nasses Handtuch zum Ring zu falten, um so eine Art rutschfesten Standring zu haben. Das klappt bei meinen normalen Schüsseln so halb gut; wenn ich richtig rühre, rutschen die Schüsseln trotzdem. Plastikschüsseln eh, die kann man gleich vergessen. Vorgestern nahm ich dann auf Verdacht mal die größte und schwerste Schüssel, die ich habe, quasi einen Glasbottich, in den geschätzt fünf Liter reingehen, was mir natürlich komplett überdimensioniert vorkam, um 150 ml Majo anzurühren. Aber die war super, weil sie einfach da blieb, wo ich sie hingestellt hatte und ich nicht immer mit der linken Hand, die den Messbecher mit dem Öl hält, gleichzeitig irgendwie die Schüssel stabilisieren musste, während die rechte rührt. Memo to me: kleine, arschschwere Schüssel kaufen.

Ach ja, natürlich habe ich zwischendurch auch nochmal versucht, die gute alte Pürierstabmethode anzuwenden (wie hier beschrieben). Das hat bei mir nur mit Eigelb nicht mehr geklappt, aber immerhin mit einem ganzen Ei. Dann schmeckt allerdings auch die Majo inzwischen für mich penetrant nach Ei(weiß), was ich nicht mehr mag. Selber die Geschmacksnerven zu fein kalibiert. Toll gemacht, Gröner.

Und nach diesen spannenden Einblicken in meine Küche zurück in die angeschlossenen Funkhäuser.

Gestern war Ruhetag: Ich habe Tee getrunken und alles gelesen, was um mich rum lag, die Rest-FAZ von Freitag (da musste mir F. ja den ganzen Tag was erzählen, da war der Wirtschaftsteil, den ich neuerdings auch brav lese, mal egal) und die Samstags-FAZ und den ersten Comic aus dem letzten Ausleihhaul aus der Münchner Stadtbücherei: Der Fall E. P. Jacobs von Rodolphe und Alloing. Der Band ist eine Biografie, wobei ich das Wort sehr vorsichtig nutze, von E. P. Jacobs, einem belgischen Comiczeichner, der zeitweilig mit Hergé zusammen an Tim & Struppi gearbeitet hat. Das alleine reicht aber noch nicht, um sein Leben spannend zu finden: Er war außerdem jahrelang als Bariton an der Oper in Lille angestellt. Der Comic ist leider alles andere als spannend, über die Frauenfiguren möchte ich auch nicht reden (vor allem nicht die Dialoge, mit denen sie zu tun haben), aber ich hatte von Herrn Jacobs noch nie gehört und bin froh, jetzt etwas über ihn zu wissen. Außerdem mochte ich den Zeichenstil, denn er orientiert sich brav an der Ligne claire, die ich von, natürlich, Tim & Struppi kenne und liebe.

In der Wikipedia rührte mich dieser eine Satz: „Seinem ehemaligen Mitarbeiter Jacobs hat Hergé auf dem Titelblatt von „Die Zigarren des Pharaos“ ein Denkmal gesetzt: als Mumie E.P. Jacobini.“ Ich meine, Rodolphe und Alloing haben sich im Gegenzug auch des Öfteren vor Hergé verbeugt; die einzige Anspielung, bei der ich mir sicher bin, ist die erste Arie, die der junge Jacobs im Theater seiner Heimatstadt hört, in das sein Vater ihn hineinschmuggelt: Es ist ausgerechnet die Juwelenarie aus Gounods Faust, die bei Tim & Struppi von „der Castafiore“ ausgiebig und in jedem Band, in dem sie auftaucht, geschmettert wird. Im Gegensatz zu Kapitän Haddock ist der junge Edgar Felix Pierre aber hocherfreut, als in seinem Panel der Text „Aaah! Je ris de me voir, si belle“ auftaucht. Ich habe Tim & Struppi nur auf Deutsch gelesen, aber die Zeile „Haaa, welch Glück, mich zu seh’n, so schön“ erkenne ich vermutlich überall wieder.

Was gibt’s Neues?

Diesen Text aus der FAZ wollte ich euch seit Tagen ans Herz legen und jetzt ist er online. Der Kunsthistoriker Peter Geimer schreibt über einen der Großen unseres Fachs, Willibald Sauerländer, der 2018 verstarb. Es geht zunächst um die Veränderungen im Stil kunsthistorischer Publikationen – weg von der „pathetischen Erbauungsliteratur“ – und schließt mit der Erweiterung des Fachs Kunstgeschichte zu den Bildwissenschaften. Wobei diese Erweiterung immer noch diskutiert und auch nicht von allen geschätzt wird. Ich hadere auch noch und muss immer an einen Satz denken, den einer unserer Dozenten (vermutlich scherzhaft) gesagt hat: „Ich bin Kunsthistoriker; alles, was nach 1980 kommt, interessiert mich noch nicht.“

„Zur Frage der „Bildwissenschaft“ hatte Sauerländer sich zwei Jahre zuvor im Rahmen der Münchner Vorlesungsreihe „Iconic turn“ in einem seiner vielleicht erstaunlichsten Vorträge geäußert. Der Titel lautete: „Iconic turn? – Eine Bitte um Ikonoklasmus“. Der Achtundachtzigjährige stieg gleich auf der Höhe der Debatte ein, die damals um eine genuine „Bildwissenschaft“ geführt wurde.

Ruft man sich die verschiedenen Verwendungsweisen und Konjunkturen dieses Begriffs in Erinnerung, seine Höhen und Tiefen, Protagonisten und Skeptiker, so ergibt sich ein äußerst vielschichtiges Bild. „Bildwissenschaft“ war weder eine institutionalisierte Disziplin noch bezeichnete der Begriff ein einheitliches methodisches Programm oder einen klar definierten Gegenstandsbereich. Insofern taugte „die Bildwissenschaft“ auch nicht sonderlich gut als Feindbild, obgleich man damals mitunter den Eindruck gewinnen konnte, dass dieses Label vornehmlich von denjenigen verwendet wurde, die etwas dagegen hatten, auch wenn sie auf Nachfrage nicht genau zu sagen wussten, was und warum.

Verschiedentlich war die Sorge laut geworden, dass eine Ausweitung des Gegenstandsbereichs der Kunstgeschichte angestammte Gebiete verdrängen könne. Hielt aber die Kunstgeschichte nicht schon damals ein enormes Themenspektrum aus – von Denkmalpflege bis Diskursanalyse, von Kennerschaft bis Kunstphilosophie? Überdies lässt sich das Profil einer Disziplin wohl kaum normativ regulieren – als Bestandskatalog sanktionierter Forschungsgegenstände. Die Metapher des Rahmens, der je nach methodischer Präferenz ausgeweitet oder aber im Status quo konserviert werden soll, ist ohnehin problematisch, denn sie suggeriert, der augenblickliche Zuschnitt eines Fachs sei allein durch seine historische Gewordenheit bereits legitimiert.

Sauerländers Ansatz war da ungleich radikaler. Nachdem er die Reflexion der Populärkultur in der englischen und amerikanischen Pop Art in Erinnerung gerufen hatte, leitete er zur televisuellen Bildproduktion der Gegenwart und ihrer „Ästhetisierung von Information durch die Live-Übertragung“ über. Zugleich führte er aus, dass die „Ästhetisierung durch die autonome Kunstgeschichte“ wichtige Funktionen der Bilder ausgeblendet hatte.

„Damit verabschiede ich mich bewusst von der Einengung des Begriffes Bild auf das konventionellerweise als Kunstwerk angesehene Bild.“ Sauerländer zitierte den amerikanischen Kunsthistoriker Keith Moxey, der 1995 in der Zeitschrift „October“ über eine Wissenschaft vom Bild nachgedacht hatte, die den Unterschied zwischen künstlerischen und nichtkünstlerischen Bildern gar nicht mehr voraussetzen würde. Da konnte Sauerländer – zu Recht – nicht einstimmen, schrieb aber doch: „Das ist nicht einfach anzunehmen oder abzulehnen, aber es ist zu diskutieren.““

Und dann wollte ich noch Zweig lesen und einen schlaueren Blogeintrag verfassen als einen über Mayonnaise, aber auf einmal tat alles weh, wo vorher nur der Rücken wehgetan hatte, und ich fand es nach stundenlangem Schmerzwegatmenversuchen schon spannend, wie doof mein Gehirn wird, wenn der Körper weh tut: Ich mache diesen Scheiß jetzt mit, seit ich 13 bin, und trotzdem vergesse ich immer wieder, was mit mir passiert, wenn ich blute und was ich dagegen machen kann. Aber sobald alles weh tut, weiß ich nichts mehr und liege nur noch gekrümmt rum und atme und warte darauf, dass es nicht mehr wehtut anstatt verdammt nochmal sofort die Drogen einzuwerfen, an die ich mich gestern dann irgendwann erinnerte.

Je älter ich werde, desto schmerzhafter wird die Scheiße und ich behaupte, das ist ein schlauer Mechanismus meines Körpers, damit ich den Kram auch nicht vermisse, wenn er endlich mal aufhört. Wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass das irgendeine vermissen könnte. Ich definiere meine Weiblichkeit jedenfalls nicht über die Fähigkeit, unabsichtig Bettlaken vollzubluten, ganz egal, welche Vorsichtsmaßnahmen ich dagegen ergreife.

Menno, jetzt haben wir so schön mit Kochen, Comics und Kunst angefangen und dann so ein Ende. Hier nochmal zum Aufheitern für alle mein Schreibtischschneemann.

Tagebuch Freitag/Samstag, 18./19. Januar 2019 – Gute Laune, schlechte Laune, gute Laune

Es sei mir verziehen, dass ich Samstag nicht bloggte, denn Freitag kam F. nach gefühlt TAUSEND JAHREN von den Asien-Meisterschaften wieder und ich wollte mir erstmal alles vom Louvre Abu Dhabi erzählen lassen. Und von allem anderen da. Wir hatten ein paar Erzählinseln über den Tag verteilt, dann mussten wir beide Kram erledigen, dann trafen wir uns wieder. Abends saßen wir dann auf ein, zwei Bierchen im Obacht, und wenn nicht direkt neben uns eine fünfköpfige Damentruppe so irre Lärm gemacht hätte, wären wir auch noch auf die Biere drei und vier geblieben. Wir zogen also in meine Küche um – ich hatte immerhin noch zwei Biere im Kühlschrank –, ich hörte mir weiter Spannendes an, und ich konnte endlich mal wieder nicht nur mit meinem Kuscheltier einschlafen.

Das war ein sehr schöner Tag, den ich einfach zu faul war zu verbloggen – obwohl ich mir den Louvre-Katalog ausgeborgt habe, weil da doch Exponate waren, die mich sehr überrascht haben. Ich muss mal ins ZI, bevor ich darüber schreibe. Außerdem war ich geistig schon in Augschburg, wo die Rückrunde der Bundesliga des FCA mit dem Spiel gegen Düsseldorf begann. Wir als Publikum gaben wenigstens im Vorfeld alles – und ich möchte kurz darauf hinweisen, wie gelungen ich hier die Farbkombi aus gelbgold, silbergrau und türkis finde …

… aber während des Spiels hatten wir weitaus weniger gute Laune. Eher extrem schlechte. Das Spiel ging verloren, und dann hatten wir an der Tram auch noch die totalen Drängeldeppen, was mich immer irre macht. Ich hasse es so sehr, in einer Menschenmenge eingezwängt zu sein und nach vorne geschoben zu werden, ohne etwas dagegen machen zu können. Und gerade in Augsburg sind eigentlich alle normalerweise halbwegs entspannt, weil die Trams netterweise schon in einer ewig langen Schlange am Stadion warten. Man steht echt nie länger als drei Minuten, bis man einsteigen kann. Wozu dann das beschissene Drängeln? Hass. Ich war bedient. Und F. fuhr schon wieder weg, gleich von Augsburg aus, wenn auch nur kurz, aber ich memmte ein wenig rum, ich bin grad anhänglich. Immerhin konnte ich auf der Rückfahrt nach München, die ich dementsprechend alleine zurücklegte, ohne schlechtes Gewissen lesen. Ich komme mir immer so ungesellig vor, wenn wir zu zweit irgendwo sitzen und ich mein Buch raushole, weil ich gerade nichts zu sagen habe. Was doof ist, denn F. guckt auch gerne mal ins Handy und muss nicht dauernd rumquatschen. Trotzdem.

In München bekam ich dann netterweise noch kurz vor Feierabend mein Lieblingsbrot vom Bäcker am Hauptbahnhof und nahm mir zum seelischen Ausgleich für das Kackspiel noch zwei Krapfen mit. Ich war immer noch mies gelaunt und fragte mich zum wiederholten Male, warum man überhaupt Fußball guckt und sich vor allem darüber so aufregen muss – es hat nichts mit meinem eigentlichen Leben zu tun. Über schlechte Filme oder Bücher oder Tweets rege ich mich auch auf, aber nur für fünf Minuten und dann sind sie mir egal. Über Fußball kann ich stundenlang quengeln, und ich weiß immer noch nicht warum.

F. meinte halb im Scherz, er würde gerne nur noch Spiele gucken, in die er emotional nicht so involviert wäre. Ich ahne, dass das nicht klappen wird, aber ja, das wäre ein Plan.

Über den Fußballquatsch dachte ich noch länger nach: was ich davon habe, warum ich das mache. Warum ich das mache? Weil’s Spaß macht, ganz simpel. Auch wenn man derzeit mit Augsburg nicht viel Spaß haben kann, aber trotzdem: Ich mag das Stadion, ich freue mich immer noch über den Kaschperl, der das Spielergebnis (immer falsch) voraussagt, über den fähnchenschwingenden Kids Club, und ja, über die Stadionwurst, denn die ist echt gut. Ich gucke gerne Fußball, aber ich könnte zum Beispiel nicht emotional uninvolviert Fußball gucken. Das merke ich, wenn nicht „meine“ Mannschaft spielt, sondern irgendwer; da bin ich meist sehr schnell gelangweilt. Ich gucke Fußball also anscheinend nur, wenn ich irgendwie dabei bin, ob nun wirklich vor Ort oder wenn ich vor dem Laptop einer Mannschaft die Daumen drücken kann.

Auf die Frage, was ich davon habe, ist mir erst gestern eine Antwort eingefallen und sie hat mich selbst überrascht. Ich plane gerade eine winzige Feier, unter anderem, um mich endlich mal bei meinen Umzugselfen zu bedanken. Dafür habe ich eine nicht ganz so winzige Gästeliste geschrieben. Und dabei ist mir aufgefallen, dass mein Münchner Freundes- und Bekanntenkreis bis auf wenige Ausnahmen komplett aus einem Fußballstammtisch hervorgegangen ist, dem guten alten #tpmuc. Ich gehe inzwischen mit Menschen in Museen, Ausstellungen und Vorträge, ich podcaste mit ihnen, ich höre ihnen bei ihrer Arbeit für Orchester oder Chöre zu, ich verabrede mich mit ihnen in Lokalen oder bei ihnen zuhause auf Bier und Käsefondue, mit einer dieser Bekanntschaften schlafe ich seit ein paar Jahren gerne Arm in Arm ein – und so vielfältig das jetzt alles ist: Unsere allererste Gemeinsamkeit war der Fußball. Nicht mal der gleiche Verein, sondern ganz simpel der Sport, für den wir uns, weil wir alle zufällig in München wohnen, in München getroffen haben, um darüber zu reden. Und von da aus redeten wir dann plötzlich über andere Dinge, denn, total überraschend, Fußballfans haben auch noch ein Leben neben dem Fansein.

Das war sehr schön, das mal zu merken: dass Fußball eben nicht nur nervt oder schlechte Laune macht, sondern viel mehr sein kann.

Um den Tag wenigstens gut zu beenden, rührte ich mal wieder eine Majo an und gönnte mir mein übliches Essen, für das immer alles im Haus ist: Caesar Salad. Hat auch nur zwei Versuche gekostet! Der Rekord steht bei vier, bis aus Eigelb und Öl endlich ein Dressing geworden war.

Tagebuch Donnerstag, 17. Januar 2019 – Flugradar

Gearbeitet, Zeitung gelesen, Buch gelesen, Hay Day gespielt. Frisches Brot gekauft plus Eierlikörkrapfen, wenn sie schon da rumliegen. Gefühlt etwas beschwipst weitergearbeitet. Keine Lust auf Kochen gehabt, Salat plus Käsebrot. Käsebrot heißt bei mir neuerdings: drei Käsesorten grob raspeln, mit ein paar Spritzern Olivenöl und schwarzem Pfeffer aufs Brot schichten und alles kurz unter den Grill schieben. Es gibt wirklich nichts Tolleres als irgendetwas mit Käse zu überbacken.

Abends 20 Minuten vor dem Flugradar gesessen, um F.s Flieger dabei zuzusehen, wie er sich dem Erdinger Moos nähert. Man sieht da wirklich die einzelnen Landebahnen! War sehr beeindruckt. F. war leider total müde, weswegen wir eine weitere Nacht getrennt schliefen und ich ewig auf Twitter rumhing bzw. im Zweig weiterlas.

In der Welt von gestern stolperte ich über eine Stelle, die ich neulich schon ähnlich und vor allem viel ausführlicher bei Andreas Latzkos Menschen im Krieg gelesen hatte: dass die Männer sich nach dem Großen Krieg fragten, warum sie niemand vom Kämpfen abgehalten habe. Eine Zielgruppe dieses Zorns: die Frauen.

Latzko schrieb 1918 im ersten Kapitel seines Romans:

„Losgelöst vom Arzt, stand er wieder torkelnd da, und seine Stimme sank allmählich zu einem wehleidigen Klageton herab, der, aus gepresster Kehle, gröhlend, wie das Lallen eines Trunkenen klang.

– Die Meine war auch fesch; versteht sich. Keine Träne! Ich habe gewartet, immer gewartet, wann sie zu schreien anfangen wird, wann sie mich endlich bitten wird auszusteigen, nicht mitzufahren, feig zu sein, für sie! Aber sie haben nicht den Mut gehabt; – keine hat den Mut gehabt; nur fesch haben’s sein wollen. Meine auch! Meine auch! Mit dem Taschentuch gewinkt, wie die anderen.

Seine zuckenden Arme strebten, sich windend, in die Höhe, als wollte er den Himmel zum Zeugen anrufen.

– Was das Grässlichste war, willst du wissen? – stöhnte er leise, sich unvermittelt wieder an den Philosophen wendend, – die Enttäuschung war das Grässlichste, der Abmarsch. Der Krieg nicht! Der Krieg ist, wie er sein muss. Hat’s dich überrascht, dass er grausam ist? Nur der Abmarsch war eine Überraschung. Dass die Frauen grausam sind, das war die Überraschung! Dass sie lächeln können und Rosen werfen; dass sie ihre Männer hergeben, ihre Kinder hergeben, ihre Buben, die sie tausendmal ins Bett gelegt, tausendmal zugedeckt, gestreichelt, aus sich selbst aufgebaut haben, das war die Überraschung! Dass sie uns hergegeben haben – dass sie uns geschickt haben, geschickt! Weil jede sich geniert hätt’ ohne einen Helden dazustehen; das war die große Enttäuschung, mein Lieber. Oder glaubst du, wir wären gegangen, wenn sie uns nicht geschickt hätten? Glaubst du? So frag doch den dümmsten Bauernburschen draußen, warum er eine Medaille haben möchte, ehe er auf Urlaub geht. Weil ihn sein Mädel dann lieber hat, weil ihm die Frauenzimmer dann nachlaufen, weil er mit seiner Medaille den anderen die Weiber vor der Nase wegangeln kann; darum, nur darum. Die Frauen haben uns geschickt! Kein General hätt’ was machen können, wenn die Frauen uns nicht hätten in die Züge pfropfen lassen, wenn sie geschrien hätten, dass sie uns nicht mehr anschaun, wenn wir zu Mördern werden. Nicht Einer wär hinaus, wenn sie geschworen hätten, dass keine von ihnen ins Bett steigt mit einem Mann, der Schädel gespalten, Menschen erschossen, Menschen erstochen hat. Nicht Einer, sag ich euch! Ich hab’s ja nicht glauben wollen, dass sie’s so tragen können! Sie heucheln nur, hab ich gedacht; sie halten sich noch zurück; aber wenn erst der Pfiff kommt, dann werden sie aufschreien, werden uns herausreißen aus dem Zug, werden uns retten. Einmal hätten sie uns schützen können, und sie haben nur fesch sein wollen! Auf der ganzen Welt, nur fesch.

Wie zerbrochen saß er nun wieder auf der Bank, geschüttelt von einem sanften, kummervollen Weinen, den Kopf wehmütig hin- und herrollend auf der keuchenden Brust. […]

Nun hielt der Arzt den richtigen Augenblick für gekommen.

– Komm’, Herr Leutnant, geh’n wir schlafen, – sagte er mit tölpelhaft formierter Gemütlichkeit, – Die Weiber sind nun mal so. Da kann man nix mach’n.

Er wollte weiter reden, um den Kranken, im Gespräch, unbemerkt ins Haus zu locken; aber schon der nächste Satz blieb ihm vor Überraschung in der Kehle stecken. Das kraftlose, schlotternde Skelett, das sich von ihm und dem Philosophen eben noch wie ohnmächtig hatte aufrichten lassen, sprang ruckartig hoch, schnellte die Arme auseinander, dass die beiden, die ihn hatten stützen wollen, strauchelnd in den Kreis der Zuschauer flogen. Er duckte sich, in den Knien wippend, wie ein Lastträger mit schwerer Fracht im Nacken, und so hockend, mit schwellenden Adern, wiederholte er, keifend vor Wut, die Worte des Doktors.

– Sind nun mal so? … Sind nun mal so? Seit wann denn, he? Hast du nie was von Suffragetten gehört, die Minister geohrfeigt, Museen in Brand gesteckt, sich an Laternenpfähle haben anketten lassen für das Stimmrecht? Für das Stimmrecht, hörst du? Und für ihre Männer nicht? Nicht einen Laut, nicht einen Schrei!

Einen Augenblick hielt er inne, atemholend; übermannt von wilder, würgender Verzweiflung. Dann raffte er sich noch einmal auf und schrie, mühsam gegen das Schluchzen ankämpfend, das ihn immer wieder gurgelnd erfasste, aus tiefster Not, wie ein gehetztes Tier:

– Hast du von einer gehört, die sich für ihren Mann vor den Zug geworfen hat? Hat eine für uns Minister geohrfeigt, sich an die Schienen gebunden? Keine einzige hat man wegreißen müssen. Nicht eine hat gekämpft, nicht eine hat uns verteidigt. Nicht eine hat sich gerührt, in der ganzen Welt. Hinausgejagt haben sie uns! Den Mund verstopft haben sie uns! Die Sporen haben sie uns gegeben, wie dem armen Dill. Morden haben sie uns geschickt, sterben haben sie uns geschickt, für ihre Eitelkeit. Willst du sie verteidigen? Ausgerissen müssen sie werden! Ausgerissen wie Unkraut, mit der Wurzel! Zu viert müsst ihr zieh’n, wie beim Dill. Zu viert, dann muss sie raus. Bist du der Doktor? Da! Mach ihn aus meinen Kopf! Ich will keine Frau. Zieh, – zieh sie raus …

Weit ausholend sauste seine Faust, wie ein Hammer, auf den eigenen Schädel, griffen seine gekrümmten Finger erbarmungslos in den spärlichen Haarwuchs am Hinterkopf, bis er, aufbrüllend vor Schmerz, einen ganzen Büschel ausgerissen in die Höhe hielt.“

In Zweigs 1942 posthum veröffentlichen Buch stand eine Rückschau über die Zeit vor dem Krieg:

„Es war noch keine Panik, aber doch eine ständige schwelende Unruhe; immer fühlten wir ein leises Unbehagen, wenn vom Balkan her die Schüsse knatterten. Sollte wirklich der Krieg uns überfallen, ohne daß wir es wußten, warum und wozu? Langsam – allzu langsam, allzu zaghaft, wie wir heute wissen! – sammelten sich die Gegenkräfte. Da war die sozialistische Partei, Millionen von Menschen hüben und Millionen drüben, die in ihrem Programm den Krieg verneinten, da waren die mächtigen katholischen Gruppen unter der Führung des Papstes und einige international verquickte Konzerne, da waren einige wenige verständige Politiker, die gegen jene unterirdischen Treibereien sich auflehnten. Und auch wir standen in der Reihe gegen den Krieg, die Schriftsteller, allerdings wie immer individualistisch isoliert, statt geschlossen und entschlossen. Die Haltung der meisten Intellektuellen war leider eine gleichgültig passive, denn dank unserem Optimismus war das Problem des Krieges mit all seinen moralischen Konsequenzen noch gar nicht in unseren inneren Gesichtskreis getreten – in keiner der wesentlichen Schriften der Prominenten jener Zeit findet sich eine einzige prinzipielle Auseinandersetzung oder leidenschaftliche Warnung. Wir glaubten genug zu tun, wenn wir europäisch dachten und international uns verbrüderten, wenn wir in unserer – auf das Zeitliche doch nur auf Umwegen einwirkenden – Sphäre uns zum Ideal friedlicher Verständigung und geistiger Verbrüderung über die Sprachen und Länder hinweg bekannten. Und gerade die neue Generation war es, die am stärksten dieser europäischen Idee anhing. In Paris fand ich um meinen Freund Bazalgette eine Gruppe junger Menschen geschart, die im Gegensatz zur früheren Generation jedem engen Nationalismus und aggressiven Imperialismus Absage geleistet hatten. Jules Romains, der dann das große Gedicht an Europa im Kriege schrieb, Georges Duhamel, Charles Vildrac, Durtain, René Arcos, Jean Richard Bloch, zusammengeschlossen erst in der ›Abbaye‹, dann im ›Effort libre‹, waren passionierte Vorkämpfer eines kommenden Europäertums und unerschütterlich, wie es die Feuerprobe des Krieges gezeigt hat, in ihrem Abscheu gegen jeden Militarismus – eine Jugend, wie sie tapferer, begabter, moralisch entschlossener Frankreich nur selten gezeugt hatte. In Deutschland war es Werfel mit seinem ›Weltfreund‹, der der Welt Verbrüderung die stärksten lyrischen Akzente gab, René Schickele, als Elsässer schicksalhaft zwischen die beiden Nationen gestellt, arbeitete leidenschaftlich für eine Verständigung, von Italien grüßte uns G. A. Borgese als Kamerad, aus den skandinavischen, den slawischen Ländern kam Ermutigung. »Kommt doch einmal zu uns!« schrieb mir ein großer russischer Schriftsteller. »Zeigt den Panslawisten, die uns in den Krieg hetzen wollen, daß Ihr in Österreich ihn nicht wollt.« Ach, wir liebten alle unsere Zeit, die uns auf ihren Flügeln trug, wir liebten Europa! Aber dieser vertrauensselige Glaube an die Vernunft, daß sie den Irrwitz in letzter Stunde verhindern würde, war zugleich unsere einzige Schuld. Gewiß, wir haben die Zeichen an der Wand nicht mit genug Mißtrauen betrachtet, aber ist es nicht Sinn einer richtigen Jugend, nicht mißtrauisch, sondern gläubig zu sein? Wir vertrauten auf Jaurès, auf die sozialistische Internationale, wir glaubten, die Eisenbahner würden eher die Schienen sprengen als ihre Kameraden als Schlachtvieh an die Front verladen lassen, wir zählten auf die Frauen, die ihre Kinder, ihre Gatten dem Moloch verweigern würden, wir waren überzeugt, daß die geistige, die moralische Kraft Europas sich triumphierend bekunden würde im letzten kritischen Augenblick. Unser gemeinsamer Idealismus, unser im Fortschritt bedingter Optimismus ließ uns die gemeinsame Gefahr verkennen und verachten.“

Tagebuch Dienstag/Mittwoch, 15./16. Januar 2019 – Viel Lesestoff

My precious! Im miesen Flurlicht morgens, wenn Frau Gröner noch nicht wach genug ist, das Briefkastentürchen anständig weit zu öffnen. Oder das iPhone scharfzustellen. Und die einzig lesbare Headlines ist natürlich auch nicht wirklich gute Laune. Egal. Ich habe morgens wieder Lesestoff im Haus! Und ihr kriegt deshalb heute auch eine richtig dicke Portion davon. Leider keinen Artikel aus der FAZ, denn die, die ich gerne empfohlen hätte, sind (noch) nicht online. Mpf.

Bei Year of Wonder hatte ich am Dienstag nach 14 Musikstücken endlich mal eins, das mir nicht gefallen hat. Für Olivier Messiaens Quatuor pour la fin du temps hatte ich irgendwie keine Geduld, und auch die anderen Teile des Werks, die ich neben dem 5. Satz bei Spotify anhörte, habe ich nicht beendet. Die Entstehungsgeschichte ist allerdings (leider) beeindruckend.

Gestern stand dann der Dreiminüter Etüde in cis-moll, op. 2, Nr. 1 von Alexander Skrjabin auf dem Programm. Der komplette Buchtext dazu lautet: „Look, sometimes what we just really need in the middle of January is music that feels like a large glass of red wine. You’re welcome.“

Ich höre die Stücke immer zuerst und lese dann, was Burton-Hill dazu geschrieben hat; ihre Interpretation fand ich spannend, denn wenn ich an irgendwas nicht gedacht habe, dann an einen anständigen Rotwein. Ich empfand das Stück als melancholisch, suchend, fast flehend. Im Mittelteil kippt es kurz ins Dur und umpuschelt einen für gefühlt zehn Takte, und dann ist man wieder alleine mit sich und dem Klavier.

Das hatte für mich rein gar nichts mit Rotwein zu tun. Wenn ich böse wäre, würde ich das Stück im Sinne Burton-Hills interpretieren in: mieser Tag, Flasche auf, kurze Besserung, dann wieder Rückfall in Traurigkeit. So gehe ich aber nicht mit Wein um. Wein ist Genuss, Hochstimmung, Innehalten, Staunen, Duft, wenn’s gut läuft Tiefe und große Erkenntnisse morgens um 2, wenn’s eine eher billige Abfüllung war, immerhin ein netter Beerencocktail, der keinen Kopf macht, weil er so wenig Körper hat. Im Rotwein ist für mich sehr selten Melancholie. Im Wodka schon eher, aber darüber schreibt anscheinend niemand klassische Musik.

Der Maßstab der Wirklichkeit – Zur Kontroverse um Takis Würgers Roman Stella

Ich habe das Buch nicht gelesen, in dem Würger sich auf Stella Goldschlag bezieht, aber die vielen Verrisse dazu, danke, Perlentaucher. Johannes Franzen schreibt im Merkur über Geschichten, die auf historischen Begebenheiten beruhen und weist auf den Unterschied zwischen Mittelalterschmonzetten aus der Bahnhofsbuchhandlung und Romanen über die NS-Zeit hin. (via @niggi)

Ich zitiere recht viel, weil ich eigentlich alles zitieren will:

„Sollte eine Autor*in nicht in der Lage sein, in einer fiktionalen Erzählung über alles schreiben zu können, was sie möchte? Sollte sie nicht alle historischen Orte bereisen, alle Personen verkörpern, alle Stimmen einnehmen dürfen? Diese Einstellung gehört zu den einflussreichen literaturtheoretischen Dogmen unserer Zeit und wird gerne verwendet, wenn einem literarischen Werk oder einem Literaten ein reales Fehlverhalten vorgeworfen wird. […]

Dieser Einwand erscheint zunächst plausibel, vor allem, da er an eine eingeübte Hochschätzung all dessen appelliert, was mit der Freiheit der Kunst zusammenhängt. Kontroversen wie die um Stella zeigen allerdings, dass der routinierte Verweis auf die Lizenzen der Fiktion nicht ausreicht, um die reale Wut und Irritation, die fiktionale Werke auslösen können, zu domestizieren. Literarische Texte stehen fast immer in einem engen dialogischen Verhältnis zu einer gegenwärtigen oder historischen Wirklichkeit; ihre Fiktionalität kann sie niemals vollständig gegen Kritik, die sich auf den Maßstab der Realität bezieht, immunisieren. Und das will sie auch nicht, denn sonst wäre sie kraftlos, wirkungslos, leblos. Literarische Werke, die den Anspruch haben, eine Wirkung auf die Wirklichkeit zu haben, müssen sich auch an der Wirklichkeit messen lassen. […]

Es stimmt sicherlich, dass der Schutzraum des Romans den Autor gegen den Vorwurf, die realen Ereignisse falsch dargestellt zu haben, immunisiert, aber eben nur bis zu einem bestimmten Grad. Denn in dem Moment, in dem man reale Personen zum Gegenstand literarischer Texte macht, unterwirft man diese Texte auch den Maßstäben, die an faktuale Texte – wie journalistische und historiografische Erzählungen – angelegt werden. In dem Moment, in dem der Autor seinen Roman Stella genannt hat und reale Personen dort wiedererkennbar auftreten lässt, behauptet er natürlich auch, dass man es mit einer „Annäherung“ an diese Person zu tun hat. Die Vorstellung, man müsste nur „Roman“ auf einen Text schreiben, und könnte dann die Realität nach Gutdünken formen, ohne dafür belangt zu werden, erscheint absurd, wenn man sie zu Ende denkt: Die Leser*innen können ja kaum darauf verzichten, eine reale Person, die sie aufgrund ihres Weltwissens erkennen, auch als real zu lesen. Es gibt im Kopf der Rezipient*innen keinen Schalter, der die Mechanismen der faktualen Lektüre einfach ausschaltet, wenn der Autor nur laut genug „Dies ist Fiktion!“ brüllt. […]

Während es naheliegend erscheint, dass die Freiheit der Fiktion im Fall der Verarbeitung lebender Personen eine Einschränkung findet, ist der Fall Stella vor allem deshalb interessant, da er auf die Grenzen der Verarbeitung im Fall von mehr oder weniger historischen Ereignissen verweist. Denn diese Grenzen sind kulturell variabel; wie streng sie gezogen werden, ist von der politischen und ethischen Bedeutung abhängig, die eine Gesellschaft einem Ereignis zuweist. So werden sich wohl kaum Menschen finden, die die Freiheiten verurteilen, die sich Hilary Mantel in Wolf Hall mit der historischen Person Heinrichs VIII. genommen hat, oder die das Bild Caligulas kritisieren, das Robert Graves in I, Claudius entworfen hat. In beiden Fällen wird die Kritik an den historischen Abweichungen sich auf ein paar schlecht gelaunte Historiker*innen beschränken (wenn überhaupt). Dagegen fordert das historische Faktum der Schoah – das zeigt der Großverriss von Stella – eine viel rigidere Wahrheitstreue, auch in der fiktionalen Verarbeitung. […]

Schließlich verweist der Fall auch auf das Problem der Autorisierung, auf die Frage nach dem narrativen Eigentumsrecht. Der Titel eines buchlangen Essays von Norbert Gstrein bringt diese Frage auf den Punkt: Wem gehört eine Geschichte? [Link zum Perlentaucher] Die Kontroverse um dieses Eigentumsrecht wird nicht nur virulent im Fall einer literarischen Verarbeitung der Schoah, sondern spielt gerade im Umfeld der Debatte um die politische Bedeutung des Konzepts einer cultural appropriation eine wichtige Rolle. […]

Der Großverriss von Stella ist jedenfalls nicht, wie es im Tagesspiegel heißt, Ausdruck von feuilletonistischer „Hysterie“, die durch die Fälle ‚Relotius‘ und ‚Menasse‘ ausgelöst wurde, sondern vor allem ein Anzeichen für die gesteigerte Bedeutung literarischer Maßstäbe, die Ethik und Ästhetik miteinander verbinden.“

Ich musste bei dieser Aufarbeitung an die weiße Künstlerin Dana Schutz denken, der cultural appropriation und Unsensibilität vorgeworfen wurde, weil sie ein Bild des offenen Sargs von Emmett Till malte. Die New York Times schreibt:

„Now, Ms. Schutz admits that she is “guarded” about the controversy and is most wary discussing her motivations for painting the scene in the first place, saying only that it was an attempt to “register this monstrous act and this tragic loss.” But she acknowledged that may have been an “impossible” task.“

When asked if she regretted making the work, she paused and said, “No, I don’t wish I hadn’t painted it.”

The long-term effect of the controversy, she said, is that she has internalized the viewpoints of the protesters even when making new work.

“I’ve had so many conversations with people who were upset by the painting,” Ms. Schutz said, adding that she has included them in “my imagined audience when I’m painting. It’s good those voices were heard.”“

Ich glaube, das ist der Knackpunkt an diesen Kontroversen und das Neue in der Diskussion um Freiheit der Kunst. Es werden auf einmal Stimmen laut und gehört, denen jahrzehnte-, jahrhundertelang keine Beachtung geschenkt wurde. Schwarze, Frauen und viele andere. Diese neuen Stimmen tragen zu einer neuen Sensibilität bei, und die scheint sich ganz langsam niederzuschlagen, siehe bildende Kunst, siehe Literatur.

(Edit: Ich sehe gerade in den Kommentaren zu Franzens Artikel, dass der Merkur sich auch schon mal mit Open Casket auseinandergesetzt hatte.)

A 4-Year-Old Trapped in a Teenager’s Body

Von einer Krankheit namens Testotoxikose hatte ich noch nie gehört, es gibt auch keinen deutschsprachigen Wikipediaeintrag (hier der englische). Kurz gesagt, sorgt eine genetische Mutation in männlichen Kindern dafür, dass diese viel zu früh in die Pubertät kommen – sie fühlen sich (und sehen so aus) wie 13, sind aber erst 2. So beschreibt es jedenfalls der von der Krankheit betroffene Patrick Burleigh, der heute 34 ist und vor wenigen Jahren vor einer schwierigen Entscheidung stand. Der Teaser klingt hier wie ein Essay über pränatale Diagnostik, es ist aber viel mehr eine biografische Abhandlung. Und zwar nicht nur über die Lebensgeschichte des Verfassers, sondern auch über die vorheriger Generationen.

„I got my first pubic hair when I was 2 years old.

I couldn’t talk, I could barely walk, but I started growing a bush. Or so they tell me. I have no recollection of a time before puberty, before the carnal cravings, the impulses, the angst and anger and violence. There was no prelapsarian age of innocence for me; I was born, I took a huge bite of the apple, and, by 2 years old, I was pretty much ready to get busy with Eve.

It was the same for my father, and for his father, and for his father, and for the men in my family going back as far as we have records. We’ve all carried the same hereditary genetic mutation. […]

Having a mutant LHCGR gene leads to what doctors now call familial male-limited precocious puberty, an extremely rare disease that affects only men because you have to have testicles, which is why it’s also called testotoxicosis. The condition tricks the testicles into thinking the body is ready to go through puberty — so wham, the floodgates open and the body is saturated with testosterone. The result is premature everything: bone growth, muscle development, body hair, the full menu of dramatic physical changes that accompany puberty. Only instead of being 13, you’re 2. […]

This feeling of freakishness, of being strange and different, persisted well into adulthood, such that I refused to talk about it with anyone other than close friends and family. Until a little over four years ago, when my wife and I were trying to have a baby of our own, an endeavor that took two years and countless episodes of joyless appointment sex before we finally decided to do in vitro fertilization. I came in a cup, my wife pumped her body full of hormones, scientists fertilized the eggs, and we ended up with five viable embryos. Everything looked great. And then I was faced with the hardest decision of my life.

We learned that we could biopsy the embryos to find out if any of them carried the mutant LHCGR gene: the mutant responsible for a childhood rife with shame, embarrassment, and bullying; the mutant responsible for my violent, antisocial behavior as a boy; the mutant responsible for the troubled adolescence that my father, grandfather, great-grandfather, and I all endured, an adolescence that nearly delivered each of us to jail or worse. If one of our embryos tested positive for a mutation of the LHCGR gene, we could eliminate it. My body would be the final destination of the disease that had defined my family for generations.

There was no reason not to do this. But I hesitated.“

(via @emilynussbaum)

Shut up and write

Und noch ein Essay, den ich komplett copypasten möchte. Eine meiner liebsten Autorinnen Chimamanda Ngozi Adichie schreibt im New Statesman darüber, warum sie sich nicht als afrikanische Autorin bezeichnet. Sie entwickelt eine Antwort auf genau diese Frage, indem sie über das Schreiben als private Übung nachdenkt, über das Autorinnen-Ich und das Staatsbürgerinnen-Ich, über ihre feministischen Positionen und über die immer noch vorhandenen Vorurteile vom „Westen“ (so bezeichnet sie die nicht-afrikanischen Länder) über den Kontinent, von dem sie stammt.

Es ist schwierig, einen Teil aus den entwickelten Gedanken herauszureißen, um sie hier als Teaser zu nutzen, also lest doch bitte einfach alles.

„It is in some ways true that art is a thing apart, because unlike politics art functions in grey spaces, it humanises, it goes below the surface.

But we also live in a world in which the nation-state dominates, in which the value the world gives us as human beings can be determined by the passports we carry.

I cannot imagine what it is like today to be a writer who has a Syrian passport, or who is a citizen of Yemen, or El Salvador, or the Democratic Republic of Congo, countries in which an artist’s freedom of movement, and perhaps freedom to create, is constrained by political realities.

For me, travelling with a Nigerian passport means carrying the weight of assumptions. It means to be, at many ports of entry, automatically suspect. To travel with a Nigerian passport is to constantly confront the sneering disbelief of immigration officers when I say I am a writer, it is to be asked to step aside for more questions, it is to feel that you are guilty of something. […]

We are a people conditioned by our history and by our place in the world to look towards somewhere else for validation. We are conditioned to learn a lot of untruths and half-truths about who we are, and some of us make the choice to consciously unlearn these, but even the very act of unlearning takes on a colonial colouration and feeds into our nervous condition. We are conditioned by the knowledge that we come from a place that has long been derided.“

(via @aldaily)

Blumenkohlsalat mit Granatapfel und Pistazien

Das erste Rezept aus Ottolenghis Simple, aber da kommen garantiert noch mehr. Vor allem, wenn’s so gut schmeckt wie dieser Salat hier. #blumenkohlultras

Für vier Personen.

1 großen Blumenkohl (ca. 800 g) dritteln. Das eine Drittel mit einer groben Reibe in eine Schüssel raspeln. Aus den anderen zwei Dritteln hübsche Röschen schneiden, so um die 3 Zentimeterchen groß. Wer mag, nutzt auch die Blumenkohlblätter, ganz oder grob gehackt; die hatte ich nicht mehr, deswegen sind sie auch nicht auf dem Bild. (Ach was.)

Die Röschen mit
1 Zwiebel, in Ringe geschnitten,
2 EL Olivenöl und
1/4 TL Salz mischen. Bei mir war’s mindestens das Doppelte an Salz, und ich mache Samin Nosrat dafür verantwortlich. Alles auf ein Backblech kippen und im auf 200° Umluft (!) vorgeheizten Ofen für ungefähr 20 Minuten backen, bis die Röschen schön angebräunt sind.

Das Buch möchte, dass man das alles abkühlen lässt, aber das habe ich gnadenlos ignoriert. Während der Backzeit der Röschen habe ich nämlich zu den Blumenkohlraspeln in der Schüssel noch folgendes geworfen:
25 g gehackte Petersilie,
10 g gehackte Minze,
10 g gehackten Estragon,
80 g Granatapfelkerne (ungefähr ein halber Granatapfel),
40 g geröstete und grob gehackte Pistazienkerne (bei mir ungeröstet und ungehackt),
1 TL gemahlener Kreuzkümmel,
3 EL Olivenöl und
1,5 EL Zitronensaft. Das wäre jedenfalls die Mengenangabe aus dem Buch, ich habe freihändig Öl, Zitronensaft und Salz dazugeworfen, bis es geschmeckt hat.

Und dann habe ich die ofenheiße Blumenkohlzwiebelmischung in die Schüssel mit den kalten Zutaten gekippt, ordentlich umgerührt, alles hübsch auf einem Tellerchen drapiert, zwei, drei Fotos fürs Blog und Instagram gemacht, und dann war die ganze Schüssel lauwarm und damit perfekt. Abkühlen. Pffft.

Übrigens ist mir erst beim Tippen aufgefallen, dass ich den Kreuzkümmel vergessen habe. Schmeckt auch so super. Das nächste Mal noch mehr Estragon, das Zeug ist großartig. #estragonultras

Das Fiese an diesem Kochbuch ist allerdings, dass ich, seitdem ich es besitze, einen nervigen Ohrwurm habe. Im Musical Nine gibt es ein Lied namens, genau, Simple, das ich in meinem ersten Gesangsunterricht auch mal gesungen habe, allerdings, noch fieser, auf Deutsch. Ich meine, ich habe auch mal darüber gebloggt und gequengelt, dass die hohe Note nicht so schön auf Sky (also gesungen: Skaaaaaaiii), sondern auf Höh kommt (also gesungen: hier Emoji mit Zitronenmund vorstellen), aber ich finde den Eintrag auch mit Google nicht mehr wieder. Aber falls ihr mitsingen wollt, so wie ich seit Tagen im Bad, hier die erste Notenseite.