Cidade de Deus
Cidade de Deus (City of God): hm. Vielleicht habe ich zuviel erwartet nach den ganzen Vorschusslorbeeren, die der Film gekriegt hat. Mir ging er jedenfalls irgendwann nur noch auf die Nerven. Circa 30 Minuten vor Schluss hab ich mich dabei erwischt zu denken, jetzt bringt euch doch bitte alle endlich um, damit ich nach Hause gehen kann. Natürlich ist die Geschichte wichtig, natürlich sollte sie erzählt werden, aber ich hab mich gefragt, ob eine Dokumentation nicht besser geeignet gewesen wäre als ein Spielfilm.
Ich habe generell Probleme mit Filmen, die Gewalt glorifizieren. Daher habe ich auch Schwierigkeiten, Mafia-Filme gut zu finden. Denn obwohl zum Schluss meistens alle ins Gras beißen, guckt man sich doch zwei Stunden lang ziemliche Gewaltorgien an, die den Darstellern ein gutes Leben ermöglichen. Bei solchen Filmen bleibt bei mir nie hängen: „Schau an, Gewalt sät Gegengewalt, lassen wir das doch gleich sein, arbeiten wir lieber und kommen ehrlich an unser Geld.“ Bei mir bleibt stattdessen hängen: „Ich darf mich nur nicht erwischen lassen.“
So auch bei City of God. Der Film hatte einige Momente, die ihn besser gemacht haben als Mafia-Filme, zum Beispiel die Szenen, in denen Kinder, die offensichtlich nicht älter als 5 sind, mit Knarren in den Händen ihre Konkurrenten erledigen, die auch nicht älter sind. Mir hat gefallen, dass die Handlungsstränge besonders im letzten Teil des Films sehr elegant ineinander verwoben wurden, so dass aus dem ganzen gewaltsamen Chaos immer einige Figuren herausstachen, denen man folgen konnte.
Was mir nicht gefallen hat, war die blöde grobkörnige Wackelkamera-Optik. Wenn das Authentizität erzeugen sollte, warum dann nicht gleich eine Doku drehen? Ich fand den Film zu lang und, wie gesagt, mir ging das ganze Sujet auf die Nerven. Ich wusste zwar ungefähr, was mich erwartet, aber dann anscheinend doch nicht genug.
Ich kann einfach diese Geisteshaltung nicht verstehen, dieses „Wer die Waffen hat, kann sich alles erlauben“, dieses „Ich nehm mir einfach, was mir passt“ und die Faszination, die von Menschen dieses Schlags ausgeht. Das mag jetzt typisch verwöhntes Wohlstandskind-Genöle sein, klar. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, in einem Slum groß zu werden. Aber ich behaupte mal, dass es überall auf der Welt möglich sein sollte, sich seine Menschlichkeit zu bewahren.
Das will ich jedenfalls glauben. Vielleicht hat mir City of God deshalb nicht gefallen: weil er eine wahre Geschichte erzählt und nicht nur ein Script ist. Weil alles wirklich passiert ist. Und weil er mir damit eine meiner Illusionen geraubt hat.
Liebe Anke,
ich weiß nicht, welche Version Du gesehen hast, ich habe den Film soeben in O-Fassung auf DVD angesehen und kann Dein Wohlstandskind-Genöle nur als solches klassifizieren.
Gewaltverherrlichende Momente konnte ich nur dahingehend entdecken, dass eben Minderjährige von der Faszination einer Schusswaffe elektrisiert werden… hast Du nicht selbst einen (oder mehrere?) Jungen in Deinem Verwandten- oder Bekanntenkreis, der eine Spielzeugpistole besitzt?! Na bitte! Nimm sie ihm weg und wirf sie in den Müll!
Ein Spielfilm ist allemal besser geeignet, die Zuschauer gefangen zu nehmen und die fürchterliche und grausame Wirklichkeit in Rios Elendsvierteln darzustellen als eine Doku – auch daher war die Wahl richtig.
Und wenn er Dir Deine Illusionen geraubt hat, dann war der Film goldrichtig für Dich und widerlegt allein dadurch schon alles was Du an ihm kritisierst… in welcher Watte-gebauschten Welt lebst Du eigentlich, dass Du Dich über ein bisschen mehr Realität beklagst?! Nur weil Du das Glück der “edlen Geburt” hast? Diese Einstellung ist unbarmherzig und menschenverachtend und Deine Kritik schockt mich fast mehr, als der Film!
lg, R.
Roman Felk am 03. December 2004
Ich lebe in keiner wattegebauschten Welt. Ich lebe in einer Welt, die mir des Öfteren einfach zuviel wird in ihrer Gewalt, ihrer Sinnlosigkeit, ihres Elends. Aber ich hoffe trotzdem jeden Tag, dass diese Welt vielleicht noch die Chance hat, ein besserer Ort zu werden. Und Filme wie Cidade de Deus machen es mir persönlich sehr schwer, diese Hoffnung aufrecht zu erhalten, denn sie zeigen mir, wie dämlich wir Menschen eben doch sind. Im Endeffekt geht es eben um Fressen oder Gefressen werden, und das vergesse ich manchmal einfach oder willl es vergessen.
Ich glaube nicht, dass es menschenverachtend ist, sich seine Hoffnung auf eine bessere Welt zu behalten. Es wäre menschenverachtend, wenn ich mich hinstellen würde und sagen, ja, selbst schuld, wieso habt ihr kleinen Slumkids nicht mein Glück, in einen gewissen Wohlstand hineingeboren worden zu sein. Das tue ich nicht. Alles, was ich beklagt habe, ist, dass es mir der Film schwerer gemacht hat, an das generell Gute im Menschen zu glauben.
(Und ich bin immer noch der Meinung, dass auch eine Doku diesen Effekt hätte erzielen können, aber das war sicherlich nicht der Hauptpunkt deiner Kritik.)
Anke am 03. December 2004
Natürlich ist es wichtig, sich seine Hoffnung auf eine bessere Welt zu bewahren. Natürlich ist es auch in Cidade de Deus möglich, sich seine Menschlichkeit zu bewahren, wie du es beschreibst. Es ist möglich, aus diesem Kreislauf der Gewalt (und das es einer ist, wird ja durch die letzten Szenen deutlich) auszubrechen. Das ist nämlich genau das, was der Hauptcharakter tut. Für mich ist das das Stückchen Hoffnung in dem Film.
Glorifizierung von Gewalt habe ich nicht feststellen können (im Gegensatz zu Mafiafilmen, mit denen du City of God in dieser Hinsicht ja vergleichst). Sie kommt in rauen Mengen vor, wird aber entweder schlicht nicht gewertet oder es wird wie bei dem Bandenkrieg am Schluss mehr als deutlich, wie sinnfrei und falsch das alles ist.
Eine Doku hätte all das erzählen, aber sie hätte es nicht zeigen können. Nicht so gut wie dieser Film. Da die meisten Darsteller in den Slums um Rio aufgewachsen sind, ihr Leben dort verbracht haben, hat der Film schon eine gewisse Authenzität. Nur meine Meinung…
Aber ich geb zu, die Kamera und der Schnitt können belastend sein. Man muss es nicht mögen, mich hat es schlicht beeindruckt.
Christoph am 08. December 2004
Ich kenne den Film sehr gut.Aussedem habe ich einige Zeit in Brasilien(Rio d.J.) gelebt, mit den Einheimischen, sowie mit ihnen gearbeitet. Und der Film spiegelt tatsächlich die Situation wieder, die v.a. in den 70er herrschte. Leider ist es heutzutage nicht viel besser. Aber ab und zu gibt es Lichtblicke. Man sollte also nie die Hoffnung und den Glauben verlieren!Und das ist auch die”background”-Message des Filmes. Vielleciht muss man bei einigen Filmen sich zuerst das Hintergrundwissen aneignen, um ihn richtig verstehen zu können.
Martina am 17. May 2005