Das Leben der Anderen
Das Leben der Anderen (D 2006, 132 min)
Darsteller: Ulrich Mühe, Ulrich Tukur, Sebastian Koch, Martina Gedeck, Thomas Thieme, Hans-Uwe Bauer, Herbert Knaup
Musik: Stéphane Moucha, Gabriel Yared
Kamera: Hagen Bogdanski
Drehbuch: Florian Henckel von Donnersmarck
Regie: Florian Henckel von Donnersmarck
Es fällt mir schwer, über Das Leben der Anderen zu schreiben. Wahrscheinlich, weil sich der Film so nahe anfühlt, so echt, so „noch nicht lange genug her“. Er erzählt immerhin eine Geschichte aus einem Land, das heute meine Heimat ist – das wiedervereinigte Deutschland. Dass dieses Land einmal zwei Länder war, vergesse ich manchmal schon, denn für mich persönlich hat sich nicht viel geändert. Ich bin im Westen aufgewachsen und kenne die DDR nur aus Verwandtenbesuchen und einigen Jugendfreizeiten. Wobei „kennen“ schon zu hoch gegriffen ist. Ich weiß eher, wie es sich anfühlt, in Amerika zu leben als wie es sich angefühlt haben muss, in der DDR zu leben. Das Ende dieses Staates habe ich im Fernsehen mitbekommen und nicht am eigenen Leib. Und mit Kuschelfilmen à la Good-bye, Lenin oder Sonnenallee wurde ein Bild der DDR transportiert, das im Prinzip zeigte: War alles halb so wild. Dass dem nicht ganz so war, zeigt dagegen Das Leben der Anderen.
Der Film beginnt gleich damit, uns die Gangart klarzumachen: Wir erleben ein Verhör, das über Stunden dauert und mit dem Geständnis des Verdächtigen endet. Auf Tonband, das Stasi-Hauptmann Gerd Wiesler (Ulrich Mühe) seinen Studenten an der Stasi-Hochschule vorspielt. Wir lernen etwas über die Geruchsprobe, die jedem Verdächtigen abgenommen wurde, genau wie wir später erfahren, dass die Stasi von jeder verkauften Schreibmaschine in der DDR eine Schriftprobe hatte, um staatsfeindliche Texte sofort zuordnen zu können. Von Anfang an fühlt man sich als Kinozuschauer sehr unwohl – unwohl nicht nur deshalb, weil die Geschichte unappetitlich ist, sondern weil sich die gesamte Organisation der Stasi, das Mauscheln der Mitarbeiter, das Sich-nie-sicher-sein-Können so fürchterlich absurd anfühlt. Wie in der Szene, in der ein Vorgesetzter (Ulrich Tukur) einen Untergebenen einen staatsfeindlichen Witz erzählen lässt, so nach dem Motto, ach, da stehen wir doch drüber – um ihn dann direkt nach der Pointe nach Name und Abteilung zu fragen.
Ulrich Tukur ist der Vorgesetzte von Gerd Wiesler, der sich quasi freiwillig auf eine Zielperson ansetzt: die Schauspielerin Christa (Martina Gedeck), die er verehrt. Sie lebt mit dem Theaterautor Georg Dreymann (Sebastian Koch) zusammen, hat allerdings nebenbei noch ein nicht ganz freiwilliges Verhältnis mit einem Minister, wie Wiesler bei der Überwachung feststellt. Alle vier Hauptpersonen gestalten ihre Figuren sehr persönlich und überzeugend. Tukur ist unnahbar und man kann ihn überhaupt nicht einschätzen, Koch wirkt stets gehemmt in seinem Bemühen, nicht aufzufallen, denn er ist einer der wenigen Dichter, die im Osten publizieren und auch im Westen gelesen werden. Aber auch er gerät irgendwann an seine Grenze, als ihm nämlich klar wird, dass seine geliebte Christa ein Verhältnis hat. Martina Gedeck kann nicht mal blauer Lidschatten entstellen; sie ist wie immer wunderbar lebendig, warm, greifbar, und es fällt einem besonders zum Schluss fürchterlich schwer, ihr dabei zuzusehen, wie sie aus einer ausweglosen Situation beharrlich den Ausweg sucht.
Der Film lebt allerdings von Ulrich Mühe. Ganz beherrscht und überzeugt von dem, was er tut, beginnt er den Film und die Überwachung des Pärchens. Aber je mehr er den beiden und deren freigeistigen Freunden zuhört, auf dem Dachboden über der Wohnung, wo er Tag um Tag und Nacht um Nacht sitzt, je mehr er sie und ihr Leben kennenlernt, desto mehr fragt er sich, ob es richtig ist, was er tut. Der Film erspart uns eine hollywood-reife Wandlung, bei der er seine Vorgesetzten konfrontiert und sehenden Auges zum Märtyrer wird. Nein, Wieslers Verwandlung läuft subtiler ab. Sie beginnt mit einem Musikstück: der Sonate vom guten Menschen, ein Stück, das für den Film komponiert wurde, von dem aber so getan wird, als wäre es klassische Musikliteratur. Angeblich habe Lenin gesagt, wann immer er diese Musik höre, würde er daran zweifeln, die Revolution fortsetzen zu können. So geht es auch Wiesler, der Dreymann beim Spiel zuhört, der damit einen Trauerfall verarbeiten will, an dem die Stasi nicht ganz unschuldig ist. Anscheinend zum ersten Mal überdenkt Wiesler, was er tut und wem er damit vielleicht etwas antut. Mühe bleibt dabei aber sehr spärlich im Ausdruck, überhaupt ist er sehr beherrscht in dem, was er tut und was er von sich preisgibt. Vielleicht eine Reminiszenz an die Stimmung in der DDR: nie zuviel von sich preisgeben – wer weiß, wer mithört oder mitschneidet.
Ich will die Geschichte gar nicht weiter erzählen; es reicht zu wissen, dass die Story zwar erfunden ist, sie sich aber leider sehr wahr anfühlt, was es eben so schwer macht, dem Film zu folgen. Das Leben der Anderen vermittelt einen Eindruck davon, welcher Irrsinn im „anderen“ Deutschland geherrscht haben muss, wenn selbst die Flucht ins Privatleben nicht mehr garantiert war, denn auch der eigene Partner konnte ein IM sein. Das Leben der Anderen vermittelt aber gleichzeitig auch einen Eindruck von der Borniertheit der Führer dieses Staates. Der Minister sagt es großkotzig zu Beginn des Films: „Menschen ändern sich nicht.“ Wenn dem so wäre, hätten wir immer noch zwei deutsche Staaten, denn anscheinend können sich Menschen ändern und auch Veränderungen fordern. Wiesler ändert sich; nicht genug, um den Lauf der Geschichte zu beeinflussen, aber genug, um ein Leben zu schützen, das sonst vielleicht gefährdet gewesen wäre. Sein eigenes Leben ändert sich durch seine Tat ebenfalls, und erst in der letzten Szene erhält er dafür einen gerechten Lohn. Das Leben der Anderen ist ein bisschen sein eigenes geworden.