Tagebuch 11./12. Februar – MUC

Morgens ins Taxi geklettert, das mich zum Flughafen bringt. Das wirklich allererste Mal eine Fahrerin gehabt (hier könnte auch „ein Fahrer“ stehen, war aber eine Dame), die mich null volltextet nach „Wo soll’s denn hingehen“ und zum Schluss „Das wärn dann 18 Euro, guten Flug.“ Kein einziges Wort. Gerne wieder.

Mein übliches inneres Gequengele am Pier 2 im Terminal: „Sieben Mark für ein Fläschchen Wasser?“

Bordverpflegung der Lufthansa: Corny Erdbeer, Kaffee mit Milch und Zucker.

Hinter mir im Flieger jemand, der offensichtlich noch nie geflogen ist. Jedenfalls erzählt er seinen beiden Freunden genau, was er sieht, während sie ihm die Geräusche erklären und was so an Bord passiert. Ich kann mich nicht an meinen ersten Flug erinnern, aber ich hoffe, ich klang genau so wie er. Diese begeisterte Fassungslosigkeit, wenn man plötzlich die Welt, die man gewohnt ist, aus ganz anderer Perspektive sieht.

S-Bahn Flughafen München bis Marienplatz, dann umsteigen. Ich beschalle mich per iPhone anstatt zu lesen, wie immer auf der S-Bahn-Fahrt, die ich jedesmal genieße, weil sie sich anfühlt wie ein langsames Hochfahren der eigenen Betriebstemperatur. Vom Hamburger Alltag in die Münchener Ferien. Mit Musike. In der S-Bahn sitzt mir jemand gegenüber, der sich plötzlich die Ohren zuhält. Ich klicke die Lautstärke herunter, merke dann aber in der nächsten unterirdischen S-Bahn-Station, dass er das jedesmal macht, wenn wir unter die Erde fahren bzw. wieder nach oben. Druckausgleich von 30 Höhenmetern.

In München ist es wie immer gefühlt 20 Grad kälter als in Hamburg. Ich bin dankbar für meine dicke Bayernjacke, die ich ausnahmsweise (wie die letzten Tage in Hamburg) nicht nur anziehe, weil es arschkalt ist, sondern weil ich eine Karte für das Spiel FCB-Kaiserslautern habe. Am Marienplatz bekomme ich ein „Scheiß FC Bayern“ hinterhergezischt, was ich zwar aus Hamburg gewohnt bin, mich in München aber doch erstaunt. (Scheiß Sechziger.) (Klammer 2: Verstehe allmählich den rauen Umgangston von Fußballfans.)

Herr Probek, meine ewige Übernachtungsgelegenheit, lässt mich endlich mal dafür arbeiten, dass ich dauernd Hotelkosten spare. Ich trockne Geschirr ab, während er in 20 Minuten eine Lauchsuppe fabriziert. Die Zutat Hackfleisch überrascht mich bei dem Gericht zwar etwas, das Ergebnis kann aber sehr überzeugen. Der zweite Essensgast und Stadionbegleitung @abspann ist auch schon da. Am Tisch zwei Bayerntrikots, ein schwarzer Mann, gefräßiges Schlürfen in Eile, denn wir müssen losloslos.

Drei Paar Socken, gerade mal zwei Shirts (die dicke Jacke ist eine wirklich dicke Jacke, wie ich beim Spiel im Volksparkstadion feststellen durfte), zwei Paar Leggings, eine Jeans, Decke, die dicken Stadionschuhe und zum ersten Mal Zehenwärmer, die ein puscheliges Fußgefühl erzeugen.

In der U-Bahn zum Stadion die alte Dame, praktische Omaschuhe, Rock, violetter Mantel, graue Handtasche, gepflegt frisiert, Bayernschal.

2:0. Gomez, Müller. Bei jedem „Ping“ der Anzeigetafel, die uns über das Ergebnis in Stuttgart informiert, wird das Gelächter in der Arena lauter.

Ab Minuten 75 waren die Füße genauso kalt wie in Hamburg. Aber bis dahin eben puschelig. -10 Grad sind deutlich kälter als -5, aber: Keiner wirft mit Bier, alle brüllen für das richtige Team, die Sitze sind bequemer, und ich mag die Arena einfach sehr. Mit dem Abpfiff traben 69.000 Menschen den zwei U-Bahn-Gleisen entgegen, und das Gedrängele hält sich in Grenzen. Ich kriege sogar einen Sitzplatz und diskutiere mit Probek das Thema Piratenpartei aus. Wir vergessen, unsere Wette schriftlich niederzulegen, in wievielen Parlamenten die Partei in zehn Jahren wohl sitzen wird. Ich behaupte: in keinem, argumentiere mir das aber fast selber wieder weg. „Mir fehlt die Kompetenz, die Berufserfahrung als Politiker.“ – „Dafür haben sie ja noch zehn Jahre.“ – „Ähm. Richtig. TROTZDEM.“ Wetteverlieren aus Bockigkeit. Werde in zehn Jahren eventuell eine Kiste Astra kaufen müssen.

Sofa, Glühwein, Sportschau. Mal gucken, was die Konkurrenz so macht. Der blöde BVB schlägt das blöde Leverkusen. Immer noch Platz 2 in der Tabelle.

Abends ins Lindwurmstüberl, Fleisch essen und Bier trinken, danach weiteres Biertrinken auf dem Sofa und nebenbei erst das Sportstudio, dann arte laufen lassen (fürs Karma). Gesprächsthemen: Beziehungen, Emanzipation, Wagner, der Holocaust (kein Zusammenhang), eigene und fremde Lebensentwürfe, die Schnelllebigkeit und Erwartungshaltung der Moderne, Karriereplanungen, die Frau und der Mann so an sich so, und irgendwann ist es 3 Uhr morgens und das Bier alle. Schnell noch betrunken twittern.

Ich glaube, ich habe meine benutzten Abschminkpads auf dem Waschbecken liegengelassen. Sorry, Probek! Und danke fürs Wegräumen. (In diesem Zusammenhang: Jungswohnungen erkennt man am miesen Schminklicht.)

Frühstück. „Kaffee?“ – „Erstmal einen halben Liter Wasser, bitte.“ Probek hat Monchichi-Haare, und ich versichere ihm, dass Monchichis die total kerligen Holzfäller unter den Stofftieren sind.

S-Bahn-Fahrt. Sonne, blauester Blauhimmel, Glitzerschnee, der Shuffle schmeißt mir Beethovens Neunte auf die Ohren. Freude. System langsam wieder auf Alltag vorbereiten.

Bordverpflegung der Lufthansa: Milka Nussini, schwarzer Tee ohne alles.

Am Terminal 2 wartet der Kerl.
Zuhause.