Links vom 17. April 2014

Heute mal wieder ein bisschen kunsthistorischer. Zunächst was zum Spielen:

Bestimmungsübung

Die Bestimmungsübung von artefakt versammelt 2.400 Kunstwerke, darunter auch Architektur, und man darf ganz simpel raten, was es ist, von wem es ist und von wann es ist. Oder man studiert Kunstgeschichte und rät dann nicht, sondern denkt kurz nach. Oder lang. Ich muss gestehen, dass ich viele der Werke nicht kenne, aber ich habe überrascht festgestellt, dass ich ziemlich gut darin bin, das Herkunftsland zu erkennen und so ungefähr die Zeit – meist liege ich nur 20 bis 30 Jahre daneben (einer meiner Professoren würde mir jetzt für das „nur“ gleich eine ganze Note abziehen). Okay, einmal lag ich auch satte 200 Jahre daneben, aber dafür kann ich ja nichts, dass der olle Velázquez manchmal sehr fortschrittlich gemalt hat.

The Female Body and Horizontal Images

Eines meiner liebsten Kunsthistorikerinnenblogs, Alberti’s Window, über Abbildungen von Frauen und warum sie gerne horizontal angelegt sind.

„So, why would a horizontal format be preferred by some artists of the female form? I approached this topic through the lens of feminist analysis (in relation to female objectification and the “male gaze”), and here are some ideas which I came up with:

– The horizontal orientation the medium implies rest and repose. The image is “at rest” – as emphasized by the horizontal lines on the top and bottom of the canvas or medium itself. This suggestion of repose can perhaps suggest a contrast between the active viewer and the image itself.

– Repose and rest is emphasized in the horizontal orientation of the subject matter. In this way, the object can be interpreted as passive as well, which draws a contrast with the active viewer. (…)

– A thought: Could it be that the female form is more predisposed to horizontal orientations because females are traditionally associated with the land and earth? I’m reminded of the horizon lines of landscapes and wonder if there might be some parallel. In contrast, I often think vertical lines often are associated more with masculinity (e.g. phallic imagery, skyscrapers, etc.).“

Die Venus von Ann Arbor

Ich zitiere das NZZ Folio: „Früher benutzte die amerikanische Künstlerin Brenda Oelbaum Diätbücher, um abzunehmen. Heute macht sie Kunst daraus.“ Es geht in dem Artikel hauptsächlich um die Biografie Oelbaums, die leider der von vielen Frauen ähnelt, die irgendwann mal mit dem Diäten angefangen haben und erst nach Jahrzehnten merken, wieviel Energie und Lebenszeit man damit verschwenden kann.

„Ich habe in der Kunst meine Stimme gefunden – mit diesen humorvollen, konzeptionellen Arbeiten. Naomi Wolf hat vollkommen recht. In ihrem Buch Der Mythos Schönheit schreibt sie: «Eine Kultur, die einem weiblichen Schlankheitswahn huldigt, ist nicht besessen von weiblicher Schönheit, sondern von weiblichem Gehorsam. Diäten sind das machtvollste politische Sedativum in der Geschichte der Frauen.» Genauso ist es.

Eines Tages sah ich im Fernsehen eine Werbung für ein Diätpräparat, das die Venus von Willendorf zeigt, dazu die Worte: «So willst du ja wohl nicht aussehen!» Die wagten es, dieses Symbol weiblicher Fruchtbarkeit, diese Ikone des Feminismus, zu missbrauchen! Da wurde ich wütend. Es war die Geburtsstunde des Venus-von-Willendorf-Projekts. Seitdem sammle ich alle Diätbücher, deren ich habhaft werden kann, und mache daraus eine Venus um die andere. Bitte spendet mir eure alten Diätbücher! Die Adresse findet ihr auf www.brendaoelbaum.me. Seite für Seite mache ich aus den Taschenbüchern mit Wasser und Zucker Papiermaché und forme üppige Frauenleiber. Genau wie ich damals wird eine Venus mit jeder Diät dicker. Von manchen Büchern, wie zum Beispiel der Atkins-Diät, habe ich so viele, dass ich mehrere Skulpturen daraus machen könnte. Eine andere Venus trägt Stulpen – die Leute erkennen sie sofort: Jane Fonda, die essgestörte Fitnesskönigin der 1980er Jahre, der wir so lange nachgehüpft sind.“

Lorenzo Lotto: Die mystische Vermählung der hl. Katharina

Wir hatten gestern unseren ersten Seminartermin vor Ort im Kurs „Spaces of Experience“, in dem wir uns verschiedene Arten der Kunstpräsentation anschauen, dieses Mal in der Alten Pinakothek. Ich fand so viele Aspekte spannend, dass ich mich im Nachhinein ärgere, mir nicht wenigstens Stichworte aufgeschrieben zu haben. Einige meiner KommilitonInnen protokollierten mit, aber das bringt mir für meinen heutigen Blogeintrag natürlich gar nichts.

Wir sprachen unter anderem über die verschiedenfarbig bespannten Wände in den vier Hauptsälen, in denen wir waren – sie waren entweder kirschrot oder blässlichgrün, was klassische Farben für Alte Meister sind; im Louvre oder im Kunsthistorischen Museum in Wien sieht es ähnlich aus. Wir beschäftigten uns ausnahmsweise also nicht mit den Bildern und ihren Inhalten, sondern: Wie wirken sie auf unterschiedlichem Grund. In den Kabinetten findet sich noch eine silbrige Wandbespannung, auf der zum Beispiel die Goldgrundbilder aus dem Mittelalter unglaublich strahlen. Auf Rot sieht Gold sehr edel aus, was zur langen Historie und den meist biblischen oder anderweitig beeindruckenden Inhalten der Alten Meister passt. Das Grün lässt die Bilder allerdings manchmal ein wenig verblassen, die dunklen Bilder wirken noch dunkler, die Brauntöne kippen ins Gräuliche. Das hat uns schon gewundert, warum man sich trotzdem für diese Art der Präsentation entscheidet. Was mir auch noch nie aufgefallen ist: Selbst die Stahlseile, an denen die Bilder hängen, sind grün oder rot gestrichen worden.

Wir sprachen über die Lichtwirkung von Kunst- oder Tageslicht (die Kabinette haben ganz wunderbares Nordlicht – viele Ateliers in Schwabing sind auch bewusst nach Norden ausgerichtet), wir achteten auf knarzendes Parkett, entdeckten peinlicherweise ein Spinnweben an einem Veronese, sprachen über die Hängung von Stillleben oben in der zweiten Reihe unter der Decke im Gegensatz zu den als wichtiger erachteten Porträts auf Augenhöhe, bemerkten, wie sehr sich das Wachpersonal im Hintergrund hielt und hatten sogar das Glück, einen Gemäldefahrstuhl zu bestaunen, der zufällig gerade geöffnet war. Das habe ich mich ja auch schon öfter gefragt, wie man die zum Teil sehr großformatigen Werke in den ersten Stock der Pinakothek kriegt. Apropos erster Stock: das Treppenhaus (runterscrollen), von dem so ziemlich jeder Besucher (m/w) beeindruckt ist, stammt nicht aus der Originalbauzeit von Leo von Klenze, sondern von Hans Döllgast und ist ein Kind des Wiederaufbaus in den 1950er Jahren. Wer hätte gedacht, dass die piefigen Fünfziger so majestätisch sein können.

Mein Lieblingsbild in der Pinakothek ist das im Titel dieses Absatzes erwähnte: Die mystische Vermählung der heiligen Katharina von Lorenzo Lotto (1505–08). Bei meinem ersten Besuch in der Alten Pinakothek wollte ich nur zu den Raffaels und hatte keine Ahnung, was hier noch alles hing. Und dann kam der Lotto. Ich verweise auf meinen alten Blogeintrag vom Juni 2011, der schon ahnen lässt, warum ich heute Kunstgeschichte studiere.

Und der Lotto hängt inzwischen als Kunstdruck über meinem Münchner Küchentisch.

lotto