Links vom 10. September 2014

Felix hat ja recht. Wir sollten alle wieder mehr teilen.

Creativity Creep

Joshua Rothman erklärt im New Yorker, woher der Begriff Kreativität kommt, was wir früher unter ihm verstanden haben und warum er heute total verdorben ist.

„How did we come to care so much about creativity? The language surrounding it, of unleashing, unlocking, awakening, developing, flowing, and so on, makes it sound like an organic and primordial part of ourselves which we must set free—something with which it’s natural to be preoccupied. But it wasn’t always so; people didn’t always care so much about, or even think in terms of, creativity. In the ancient world, good ideas were thought to come from the gods, or, at any rate, from outside of the self. During the Enlightenment, rationality was the guiding principle, and philosophers sought out procedures for thinking, such as the scientific method, that might result in new knowledge. People back then talked about “imagination,” but their idea of it was less exalted than ours. They saw imagination as a kind of mental scratch pad: a system for calling facts and images to the mind’s eye and for comparing and making connections between them. They didn’t think of the imagination as “creative.” In fact, they saw it as a poor substitute for reality; Hobbes called it “decayed sense.”

It was Romanticism, in the late eighteenth and early nineteenth centuries, which took the imagination and elevated it, giving us the “creative imagination.” (That’s the title of a classic intellectual history of this period, by the literary scholar James Engell.) People like Samuel Taylor Coleridge argued that we don’t just store things in our imaginations; we transform them. Coleridge made a useful distinction, largely lost today, between two kinds of imagining. All of us, he thought, have a workaday imagination, which we use to recall memories, make plans, and solve problems; he called this practical imagination “fancy.” But we also have a nobler kind of imagination, which operates, as Engell puts it, like “a human reflex of God’s creative energy.” The first kind of imagination understands the world; the second kind cares about it and brings it to life.“

Das fand ich schon spannend genug, aber dann kommt er zum Punkt, der mich als Quasi-Ex-Werberin zu genau dieser gemacht hat: dass Kreativität auf einmal mit Produktivität gleichgesetzt wurde. Dass man nicht mehr rumspinnen konnte um des Rumspinnens willen, sondern dass auf einmal am Ende irgendwas Geldwertes dabei rumkommen muss. Deswegen durchforsten in den Agenturen viele nette Praktis den gerade heißen Scheiß auf YouTube und Tumblr und gucken, welche Mechaniken man für Werbespots klauen kann. Und schon ist aus einer Idee, die jemand hatte, weil er Zeit für sie hatte und Lust darauf, sie umzusetzen, etwas geworden, das man Kunden verkaufen kann.

Ich merke gerade, dass ich vielleicht nicht nur werbemüde, sondern kapitalismusmüde geworden bin, aber das macht jetzt ein anderes Fass auf. Zurück zu Rothman:

„From this point of view, creativity is really just a fancy kind of productivity. In fact, you can produce a very ingenious policy memo, a very clever invention, or even a very good book by using just your regular, thinking mind; much of the “creative” work undertaken by “creatives” today—and I include my own work in this category—is actually fanciful, in the Coleridgian sense. By the same token, the unconstrained curiosity and organic, natural emotionalism of the “creative imagination” are unlikely to be felt within the strictures of work. Work is demanding, structured, and rewarding. But if you yearn for the sense of imaginative transcendence and openness to the world that Wordsworth described in the “Prelude,” you’re not very likely to find it in front of your computer or in a conference room.“

How playing an instrument benefits your brain

Mein Lieblingssatz aus dem Video: „Playing music is the brain’s equivalent of a full-body workout.“ Merke ich bei jeder Gesangsstunde. Und allmählich verstehe ich auch meine Lehrerin, die mich manchmal ausbremst und sagt: „Vielleicht reicht’s für heute, du hast heute viel gemacht.“ Im ersten Moment denke ich dann, was, wieso, ich tiriliere doch hier gerade ganz oben in meinem Register rum und habe davor Musicals geschmettert und davor eine Ballade durchgeheult und jetzt knallen die Endorphine gerade so schön, ich will noch nicht aufhören. Aber dann gehe ich und fünf Minuten später an der Bushaltestelle könnte ich im Stehen einschlafen, weil mein Körper so viel geleistet hat, ohne dass ich es bemerkt habe.

(YouTube-Direktlink, via @doppelhorn)

Wie kaputt ein Teil dieses Landes sein muss

Anna Prizkau von der FAZ liest den NSU-Untersuchungs-
ausschussbericht wie einen Roman. Es ist kein guter.

„Das Roewer-Kapitel liest sich zuerst wie eine bizarre Behördenkomödie. Auf einmal ist da dieser Leiter, der vielleicht mit sechs oder sieben Frauen bei Kerzenschein im Verfassungsschutzamt die Nächte durchfeiert, der seine Kollegen schikaniert, der abends Rotwein aus seinem Büro-Rotweinfässchen trinkt. Roewer leugnet das alles, hat gegen zwei geschwätzige Ex-Kollegen sogar Strafanzeige gestellt. Doch auch wenn die Geschichten nicht stimmen, sind sie doch mitreißend genug, um weiterzulesen. Und dabei muss man immer wieder kurz lachen: über die Intrigen in dieser deutschen Behörde, über die Kleinbürgerlichkeit, über das alberne Büro-Rotweinfässchen.

Doch dann kommt wieder, worum es eigentlich geht: der Rechtsextremismus. Eine Zeugin berichtet, wie Roewer einmal erklärte, dass „das ,Dritte Reich‘ nicht nur schlechte Seiten gehabt habe“. Und sofort fragt man sich, warum so ein Mensch ein so wichtiges Amt leiten darf? Das erklärt sich damit, dass diese Behörde schon von Anfang an so obskur funktionierte wie das Steueramt in David Foster Wallace’ Roman „The Pale King“.“

(via mediumflows Facebook)

Okay, brüsker Themenwechsel, aber ich lache immer noch über diesen Tweet von Ikechi Anya:

Bildschirmfoto 2014-09-09 um 22.09.48

(Für Frau Kaltmamsell: Das ist ein schottischer Fußballspieler, der beim EM-Qualifikationsspiel am Sonntag das 1:2 für Schottland gegen die deutsche Mannschaft geschossen hat. Manuel Neuer heißt der Torwart der DFB-Auswahl. DFB steht für Deutscher Fußballbund.)

Der Schrecken der Raumfahrtrückstände

Andrea Diener hat in der FAZ über ihren ESA-Besuch geschrieben. Deutlich weniger launig als ich, aber dafür viel informativer.

„Es gibt viel zu sehen außerhalb des Planeten, eigentlich möchte man sich als neugieriger Mensch das alles einmal genau anschauen. Und natürlich riechen, diese Mischung aus Walnuss und Bremsbelägen. Denn eine genaue Vorstellung von einem Ort bekommt man ja erst dann, wenn man einmal dort gewesen ist. Doch vermutlich werden wir die Ära des Weltraumtourismus nicht mehr miterleben, was wirklich sehr schade ist. Wir stehen vor den Berichten von Planeten und Kometen wie Dorfbewohner des siebzehnten Jahrhunderts, denen man von den Kopffüßlern der Terra Australis erzählt und phantastische Bildertafeln dazu zeigt. Uns bleibt nichts anderes übrig, als erst einmal alles zu glauben, was diese klugen Menschen aus dem Darmstädter Gewerbegebiet uns erzählen.“

Marcus Wiebusch: Der Tag wird kommen

Und dann natürlich noch der Clip, der in den letzten Tagen durch meine gesamte Timeline ging. Zu recht.

(YouTube-Direktlink)