Was schön war, Sonntag, 30. Oktober 2016 – „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“
Der Twitter-Account des Residenztheaters spülte mir gefühlt tausendmal das großartige Bühnenbild von Die bitteren Tränen der Petra von Kant in meine Timeline, und obwohl Fassbinder großes Potenzial hat, mir total auf die Nerven zu gehen, wollte ich das Stück sehr gerne sehen – wegen des Bühnenbilds.
Hat sich auch gelohnt, nicht nur wegen des Bühnenbilds (aber das war wirklich toll). Wir saßen im Marstall (hello, Leo von Klenze!) nicht auf den üblichen nach oben ansteigenden Bänken, sondern diese waren um einen Guckkasten herum aufgestellt, der zunächst nicht einsehbar war; die Wände waren verspiegelt, man sah sich selbst und auch die Zuschauer*innen rund um den Kasten, aber nicht sein Inneres. Man war so eher Voyeurin als Zuschauerin und das wurde im Laufe des Stücks immer unangenehmer, je mehr Petra von Kant mit sich und ihrem Schmerz kämpfte.
Ich mochte an dem Bühnenbild seine strenge Ordnung, die von den sechs Darstellerinnen teilweise aus Frust, teilweise aus Ignoranz langsam in Unordnung gebracht wurde, mehr und mehr Flaschen wurden umgestoßen, zerbrochen, zerschmissen, und während gerade von Kant anfangs militärisch präzise zwischen den Flaschenreihen schritt, ohne sie auch nur zu berühren, war zum Schluss alles egal, je mehr kaputtging, desto besser. Mein üblicher Residenztheatercrush Andrea Wenzl hat mit Bibiana Beglau eine sehr beeindruckende Konkurrentin bekommen. Muss ich mir wohl doch noch den Faust angucken, in dem die beiden Damen das Gretchen sowie Mephisto spielen.
Das Stück war sehr intensiv, es geht um Liebe, die mit Macht verwechselt wird, die Grausamkeit des Verlassenwerdens genau wie die Grausamkeit der unerwiderten Zuneigung, und obwohl die Szenen deutlich voneinander getrennt wurden – das Saallicht ging an, man sah sich wieder selbst im Spiegel, bevor wieder der Kasten von innen leuchtete und man die Darstellerinnen sehen konnte –, blieb die Spannung immer da, man konnte sich nie erholen und litt zwei Stunden mit von Kant mit. (Ich glaube, die lautmalerische Gleichheit zum englischen cunt ist gewollt – und billig.) Eine einzige Szene hat mich allerdings völlig rausgerissen und sehr wütend gemacht. Von Kant hat die junge Karin Thimm bei sich aufgenommen, sie als Model groß gemacht und sich in sie verliebt, während Thimm schnell von ihr gelangweilt ist und von Kant nun bewusst quält. In einer Szene beschreibt sie, wie sie letzte Nacht mit einem Mann geschlafen hatte. Sie benutzt das N-Wort, beschreibt den großen Schwanz ihres Liebhabers und seine schwarzen Hände auf ihrer weißen Haut. Und das hat mich sehr geärgert.
Die „schwarzen Hände auf weißer Haut“ ließen mich sofort an die ganzen unsäglichen Titelbilder nach der Kölner Silvesternacht denken, und alleine das Heraufbeschwören des legendär gut augestatteten schwarzen Mannes ist ein fürchterlich rassistisches Klischee, genau wie es die Angst der Weißen ist, „ihre“ Frauen an Schwarze zu verlieren. Mir ist schon klar, dass es besonders demütigend für von Kant sein soll, das anzuhören, und mir ist auch klar, dass in den 1970er derartige Sensibilitäten vielleicht noch nicht so ganz ausgeprägt waren, aber heute sind sie es, und ich hätte hier eine winzige Kürzung erwartet. Alleine die Tatsache, dass Thimm mit einem Mann anstatt mit einer Frau schläft, sollte Demütigung genug sein, und auch weiße Herren sind ab und zu mal außerordentlich gut bestückt, das hätte also auch funktioniert. Und das N-Wort muss ich echt nicht mehr hören.
Andererseits sind solche Sensibilitäten eben gerade noch nicht überall vorhanden, wenn man sich die unsägliche Scheiße von Verstehen Sie Spaß anschaut, über die in den letzten Tagen schon genug geschrieben wurde. Es reicht anscheinend nicht, wenn die Interessenvertretung Schwarzer Menschen in Deutschland darauf hinweist, dass ein öffentlich-rechtlicher Sender gerade so richtig Mist baut – solange weiße Menschen entscheiden, was rassistisch ist und was nicht, ist das egal. Auch die Rede von Herrn Oettinger war mir natürlich im Hinterkopf, der allen Ernstes meinte, dass „Schlitzaugen“ nicht rassistisch sei; was denn dann? Nee, sag’s nicht, ich will es gar nicht hören. Und dann das Gejammer der Arschlöcher, denen auf einmal alles zu politisch korrekt ist, was für mich schlicht bedeutet, dass sie in Ruhe weiter rassistisch sein wollen dürfen. Meiner Meinung nach dürfen sie das nicht, und je mehr Menschen sie darauf hinweisen, desto eher sind wir die Scheiße los. Vielleicht streicht dann auch mal jemand äußerst veraltete Ausdrucksweisen von Fassbinder.