CXI 17: Hamburger Kunsthalle: Vom Baustellenschild zum neuen Corporate Design
Herr Wortfeld empfahl mir Freitag ein Video, das ich bereits auf Twitter geteilt habe, aber ich lege euch das nochmal ans Herz – und gebe ein bisschen Senf dazu, denn für mich war das Video, in dem es um die werbische Begleitung des Umbaus der Hamburger Kunsthalle geht, auf verschiedenen Ebenen interessant. Ich fand mich beim Betrachten erstmals richtig im Spannungsfeld von Kunstgeschichte und Werbung wieder und dazu erinnerte ich mich an Dinge, die ich als schlichte Besucherin der Kunsthalle und als damalige Bewohnerin Hamburgs erlebt hatte.
Die ersten sieben Minuten sind ein bisschen Einführung zur betreffenden Agentur Heine/Lenz/Zizka sowie die Vorstellung des Marketingleiters der Kunsthalle Jan Metzler, aber dann geht’s in medias res.
CXI 17: Hamburger Kunsthalle: Vom Baustellenschild zum neuen Corporate Design. from CXI Konferenz on Vimeo.
Ab ca. 8.50 stellt Metzler die Kunsthalle vor und erwähnt die Situation vor dem Umbau: drei Gebäude aus drei unterschiedlichen Zeiten, die irgendwie zusammenhängen, ein total beknackter Eingang (endlich sagt’s mal wer), abgetretenes Linoleum, vergilbte Wände. Ich erinnere mich gut und weiß noch, wie es mir ging, als ich das erste Mal in der Alten Pinakothek in München war und über die bunte Wandbespannung und den schönen Holzfußboden staunte: Das geht also auch. Wieso nicht in Hamburch?
Was ich nicht wusste: Die Kunsthalle ist mit 12.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche das größte Kunstmuseum Deutschlands. So kam es mir nie vor (auch nach dem Umbau nicht), was aber vermutlich an den teilweise immer noch getrennten Standorten liegt – die Galerie der Gegenwart ist gefühlt immer noch ein Anhängsel, wenn auch nicht mehr so massiv wie vor dem Umbau. Die Kunsthalle hatte damals 380.000 bis 400.000 Besucher im Jahr und zählt zu den fünf meistbesuchten Häusern in Deutschland. Hätte ich auch nicht gedacht, immer wenn ich da war, war es angenehm leer. Wobei: Wenn man hier tagsüber in die Pinakotheken geht, wird man auch nicht überrannt, vielleicht unterschätze ich das Besucher*innenaufkommen überall. Metzler erwähnt dann noch die Sammlungshöhepunkte und was so alles im Depot oder in den Räumen ist; so werden von den 3.500 vorhandenen Gemälden meist um die 1.000 ausgestellt. Hätte ich auch nicht gedacht.
Hier hakt Achim Heine ein und meint, sie als Agentur seien völlig überrascht gewesen von dem, was die Kunsthalle an Material zu bieten hatte: „Da verkauft sich die Kunsthalle komplett unter Wert.“ Metzler: „Wir würden sagen: hanseatisch zurückhaltend.“ Nett, aber aus Werbersicht natürlich katastrophal. Ich überlegte, an was ich mich überhaupt noch erinnere an Werbeaktionen der Kunsthalle oder wie ich sie damals wahrgenommen hatte: Ich konnte mich an keine große Ausstellungspräsentation erinnern, aber an die olle dunkelblaue Website, auf der man nie was fand und die aussah, als wäre sie 1996 programmiert worden. Ich empfand die Kunsthalle immer als altmodisch. Klar hängt da tolles Zeug, aber man hatte in jedem Raum das Gefühl, als wäre man in einer Mehrzweckhalle.
So ähnlich dachte sich das Marketingteam das anscheinend auch; Metzler spricht sinngemäß davon, dass ein Grundgedanke bei der Renovierung war, den alten, großzügigen Eingang zur Alsterseite wieder zu öffnen und den kleinen zur Innenstadt hin endlich dichtzumachen. Ein Stichwort, das sehr oft fällt, ist „offen“, und mir ist eigentlich erst bei der Präsentation klargeworden, wie gut das sowohl bei den Werbemaßnahmen als auch bei der Renovierung des Hauses geklappt hat (ich war ja neulich endlich mal da und twitterte auch sehr gut gelaunt darüber).
Die Bauzeit von 22 Monaten sollte kommunikativ überbrückt werden: Wie sagt man den Leuten, dass die Kunsthalle weiterhin zugänglich ist, obwohl nur noch 4.000 von 12.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche übrig sind? (Die meiner damaligen Meinung nach großartig bespielt wurden.) Metzler erwähnt eine große Herausforderung heutiger Museen: Bilder sind dauernd und immer verfügbar, während man in einem Museum halt doch physisch vor Ort sein muss, um sie sich anzuschauen. Wobei ich ja inzwischen weiß, dass nichts das Erlebnis des Originals schlägt, einfach weil es eben ein Unterschied ist, ein Bild in Originalgröße zu sehen anstatt auf dem Laptop. Aber klar, man muss die Leute erstmal zum Original kriegen.
Das Ursprungsbriefing war: Entwicklung eines Störers, der auf Plakate gedruckt werden kann, der den Betrachter*innen sagt: Die Kunsthalle ist weiter geöffnet, kommt doch mal rum. Hier hakt Heine wieder ein und meint, das war quasi der kleine Finger, aus dem im Endeffekt etwas viel Größeres wurde. Er nennt viele Teams von Desigern und Kunden, die vertrauensvoll miteinander gearbeitet hätten und wo Kompetenz auf beiden Seiten zusammenkommt anstatt dass die Agentur einfach irgendwas verkaufen und der Kunde einfach irgendwas abnicken will, solange es nicht viel kostet. Was, wie wir Werber*innen wissen, grundsätzlich beschissene Werbung und Unzufriedenheit auf beiden Seiten zur Folge hat.
Dann leitet Heine auf die langsame Um- und Neugestaltung von Haus und Werbung über. Er beginnt mit dem alten Logo der Kunsthalle, das noch eine Serifenschrift hat. Und hier merkte ich peinlich berührt, dass mir der Logowechsel nicht mal aufgefallen ist. Das alte Logo war so egal, dass mir beim Relaunch der Website nicht auffiel, dass es jetzt anders aussieht. Dass die Website anders aussah, fiel mir sehr deutlich auf, aber das war auch nicht schwer. Heine zeigt alte Broschüren im alten Layout, wo das Logo kaum sichtbar ist und meint: „Die Marke war quasi nicht da.“ Das kann ich bestätigen. Nach der Eröffnung sollte eine neue Gestaltung zum Tragen kommen, die Kunsthalle sollte sich „häuten“, wie Heine es ausdrückt. Also: Die temporäre Kommunikation – wir sind geöffnet – sollte überblenden in ein moderneres Erscheinungsbild.
Dann stellt Heine Konzepte vor, die nicht umgesetzt wurden, was ich sehr souverän fand. Die Idee, dem Wanderer über dem Nebelmeer einen Bauhelm aufzusetzen, ist zwar für fünf Sekunden charmant, aber dann nur noch albern. Hier fühlte ich mich beim Betrachten des Videos erstmals als Kunsthistorikerin, die mürrisch den Mund verzog: HÄNDE WEG VON DER KUNST! Während die Werberin eben noch fünf Sekunden dachte, och lustig. Ich habe heute auch Schwierigkeiten mit den ganzen Kunstmemes, bei denen ugly Renaissance babies in gifs verwandelt werden. Genauso zerrissen bin ich bei klassischen Statuen, die moderne Kleidung tragen: irgendwie spannend als Hingucker, aber gleichzeitig total doof, weil die Skulpturen diesen Quatsch gar nicht nötig haben. Ich kann mich echt nie entscheiden, wann ich geremixte Kunst gut und wann ich sie doof finde.
Der Agentur war sehr schnell klar, dass sie mit Gelb arbeiten wollte als Baustellenfarbe. Auch hier kam für mich die interessante Erkenntnis: Alleine dieser Farbwahl hat die Kunsthalle für mich um Jahrzehnte nach vorne katapultiert, was ihre Modernität angeht, denn diese Farbe hätte ich nie erwartet von der grauen Maus mit der blaugrauen Website. Ich weiß noch, wie ich erstmals die Baustellenplakate sah und dachte, wow, fresh, was geht, Kunsthalle?! Was mir allerdings erst während der Präsentation auffiel, war, wie genial der Claim „Weiter offen“ ist. Die Doppeldeutigkeit zwischen „wir sind weiter geöffnet“ und „wir machen die Kunsthalle weiter, moderner, offener“ habe ich echt erst Freitag kapiert. Asche auf mein Werberinnenhaupt.
Metzler zitiert eine Kollegin, die meinte, das Haus sei durch die gelbe Beflaggung und den Pfeil, der den Besucher*innen den Weg zum neuen Eingang zeigt, offener als vorher. Das kann ich von Besucherinnenseite bestätigen; ich hatte oben schon meinen Blogeintrag über die komprimierte Sammlungspräsentation verlinkt – alleine die hat für mich gefühlt die Kunsthalle schon deutlich modernisiert. Es fühlte sich nicht mehr nach schulbuchmäßiger Ausstellungschronologie an, sondern, wie ich damals schrieb, hey, guckt mal, was wir alles Tolles haben.
Was ich noch gelernt habe: Es gibt die sogenannte Binnenalsterverordnung, die besagt, dass im Sichtfeld der Alster keine Werbung zu sehen sein darf. Ist mir noch nie aufgefallen. Da hat man endlich mal eine Ecke in der Stadt, in der man nicht mit Quatsch zugeballert wird, und dann merke ich das nicht mal.
Dann kommt kurz die Microsite zur Sprache mit dem Blog, das über die Renovierung informierte, das anscheinend deutlich weniger gut besucht war als erwartet. Metzler sah das als eine wichtige Info zur Innensicht: Man denkt immer, das müsste doch alle interessieren, tut’s aber nicht. Das wäre für mich ein wichtiger Hinweis für andere Museen, aus meiner sehr persönlichen Besucherinnenperspektive: Mir ist es echt egal, wo ihr gerade eure Unterlagen neu ordnet oder wer jetzt neu an der Garderobe arbeitet. Aber mich interessiert total, was mit eurer Kunst passiert: wie Ausstellungen entstehen, wie sie konzipiert werden, wie ihr Aufbau abläuft, was sich im Haus ändert, wenn Werke umgehängt werden etc. Wie eurer Depot aussieht, ist mir eher wurst. (Okay, das interessiert mich als Kunsthistorikerin, weil ich irre gerne mal im Depot der Bayerischen Staatsgemäldesammlung die ganzen NS-Dinger angucken wollen würde, aber das ist jetzt ein sehr persönliches Interesse.) Trotzdem finde ich es spannend, dass viele Museen sich anscheinend wieder auf Blogs zurückbesinnen anstatt weiter irre auf Social Media Zeug rauszublasen. Ich unterstütze das sehr.
Im Zuge des sich Öffnens kommen dann Dinge wie #emptymuseum zur Sprache, eine Aktion, in der Instagrammer nachts durchs Museum wandern dürfen, was intern große Diskussionen auslöste, denn damit gibt das Museum die Hoheit über die Bilder ab, die nach draußen gehen. Ich glaube, neben den ganzen beknackten Rechtediskussionen ist das auch immer noch der Punkt, mit dem Kurator*innen Schwierigkeiten haben: Da kommen Leute ohne Ahnung und knipsen einfach den Friedrich, wie’s ihnen passt. Lustigerweise knipsen wir ja eh immer alles das gleiche, insofern ist diese Angst vielleicht unbegründet.
Dann gibt’s noch viel zur Weiterentwicklung des „Weiter offen“ und zum neuen Erscheinungsbild, aber das guckt ihr euch bitte selbst an, das ist sehr spannend. Erwähnen möchte ich noch die Kampagne „Die Kunst ist zurück“ zur Wiedereröffnung, die flächendeckend in Hamburg plakatiert wurde und die ich damals als sehr souverän empfunden habe, weil kein Abbinder auf den Plakaten und Leuchttafeln zu sehen war. Aber von wem sollte das denn sonst kommen als von der Kunsthalle? Wie gesagt, souverän. Macht auch nicht jeder Kunde mit, einfach mal seinen Namen wegzulassen.
Ganz zum Schluss gibt’s Zahlen, die mich auch beeindruckt haben: Während der 22-monatigen Renovierung kamen 540.000 Besucher ins Haus, also gab es keinen großen Einbruch der Zahlen, was man mit einer deutlich verkleinerten Sammlung auch erstmal hinkriegen muss. Aber dann: Im ersten Monat nach der Eröffnung war der Eintritt frei (da war ich gerade nach München gezogen) und alleine in diesem Monat drängelten sich 200.000 Besucher*innen durch die Räume. Ein Irrsinn, aber wie toll! Da scheinen Agentur und Kunde wirklich sehr viel richtig gemacht zu haben. Falls das nach den gefühlt 500 Zeilen eben noch nicht deutlich geworden ist: Dieses Video ist eine klare Guckempfehlung.