Was schön war, Samstag/Sonntag, 10./11. Februar 2018 – Zeit für mich und Weltuntergang
Seit ich wieder 40 Stunden die Woche werbe, merke ich erst, wie anders mein Leben während des Studiums war. Dort hatte ich zwar auch Deadlines – Referatstermine, Klausuren, Hausarbeiten, die bis zu einem bestimmten Tag fertig sein mussten –, aber wie genau ich meine Zeit verbringe, war komplett mir überlassen. Wenn ich morgens um 8 in der Stabi sitzen und dort sechs Stunden arbeiten wollte – kein Problem. Wenn ich das lieber abends und in kleineren Einheiten erledigen wollte – auch kein Problem. Ich war bis auf Pflichttermine wie Seminare oder Vorlesungen die totale Herrin meiner Zeit, und ich merke erst jetzt, wie großartig das war.
Denn jetzt habe ich wieder Kunden bzw. Agenturen, die mich mit Briefings bewerfen und das zurzeit auch gerne im Stundentakt. Meistens habe ich nicht mal Zeit, Dinge einen Tag liegen zu lassen, um am nächsten Morgen noch mal frisch drüberzulesen. Ich reagiere nur noch, ich kann kaum selbstgestalten, was vermutlich auch der Grund war, warum ich mich Freitag so ewig aufgeregt habe. Diese Hektik liegt nicht an der Agentur, sondern an einem völlig irrwitzigen Zeitplan des Kunden, den ich ihm gerne um die Ohren hauen würde mit der Bemerkung „HEKTISCHE WERBUNG IST MIESE WERBUNG!“, aber dazu wird es vermutlich nicht kommen. Dazu kommt mein Status als Freelancer, der nicht in der Agentur sitzt. Das ist zwar einerseits nett – ich kann auf Socken arbeiten und muss mich nicht schminken –, mir entgeht aber der wichtige Flurfunk, den man hat, wenn man mitten zwischen den Kolleginnen sitzt und Denk- und Abstimmungsprozesse mitbekommt und sie im besten Fall sogar mitgestalten kann. Das ist im Moment ein eher unbefriedigendes Arbeiten für mich, und ich wusste gar nicht mehr, wie sich das anfühlt. Denn in den vergangen fünf Jahren war auch jede Schleife, die ich vielleicht sinnloserweise in der Bibliothek gedreht habe, weil sich meine Fragestellung veränderte oder sogar das ganze Thema, im Endeffekt dann doch sinnvoll, denn ich habe immer, immer, immer etwas gelernt. Das habe ich oft nicht gebraucht im Sinne von „das stand irgendwann in meiner Arbeit“ oder „das kam in der Klausur dran“, aber mir ist schon sehr oft aufgefallen, dass plötzlich irgendein Puzzleteil der Kunstgeschichte präsent war, mit dem ich gar nicht gerechnet hatte, weil ich es nie irgendwo „gebaucht“ habe. Aber dann stehe ich vor irgendeinem Bild oder lese irgendeinen Text und schon ist es da. Dafür bekomme ich keine ECTS-Punkte mehr, aber es fühlt sich jedesmal toll an, wenn ich merke, dass ich nicht nur doof auf die Prüfungsziele hingelernt habe, sondern meinen eigenen Horizont schön weit aufschrauben konnte.
Das mache ich gerade nicht, ich texte stattdessen hysterisch auf einem Projekt, das meiner Meinung nach von vornherein schlecht wird, weil wir eben alle so hysterisch sind, aber da muss ich jetzt durch. Immerhin sind die Kolleginnen nett, aber das sind sie ja immer. Sonst würde ich den Job nicht mehr machen.
Samstag war daher der erste Tag der Woche, an dem ich wieder das Gefühl hatte, eigenbestimmt denken zu können. Das habe ich total ausgenutzt, indem ich uralte Masterchef-Australia-Folgen weggeguckt und viel geschlafen habe.
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Sonntag wartete dann die letzte Oper des Rings auf F. und mich, die Götterdämmerung. Diese Aufführung hatte ich bereits im Fernsehen oder im Livestream gesehen (ich vermute letzteres) und fand sie so okay irgendwie. Ich bin sehr froh, sie nochmal live gesehen zu haben, denn wenn man nicht ständig sinnlose Close-ups von den Akteur*innen hat, sondern immer die ganze Bühne sehen kann, war sie großartig und ein sehr würdiger Abschluss der Tetralogie.
Mein Husten hatte sich eigentlich in den letzten Tagen verabschiedet, ich nahm aber trotzdem die üblichen Lutschbonbons mit und dazu eine Flasche Wasser; endlich zahlen sich die großen Damenhandtaschen mal aus. Leider musste ich im zweiten Aufzug dann auch möglichst leise die Wasserflasche aufschrauben, nachdem ich zuvor gefühlt 30 Sekunden lang mit 80 Dezibel gehustet hatte. Logischerweise an einer Piano-Stelle, sonst bringt das ja nix. Danach hielt ich die Flasche in den Händen und das hat mich anscheinend beruhigt, kein weiterer Hustenanfall bis zum Schluss. Immerhin weiß ich jetzt, dass die Entscheidung, auf den Siegfried zu verzichten, die richtige gewesen war; ich wäre vermutlich schon Mitte des ersten Aufzugs mit Mistgabeln aus dem Saal vertrieben worden, ich Hustinettchen.
In der Pause orderte ich erstmals einen Schnittchenteller zum üblichen Glas Sekt, denn ich hatte nur gefrühstückt und danach noch keinen Hunger, aber sechseinhalb Stunden ganz ohne Futter wollte ich dann auch nicht haben – womöglich hätte ich mein Husten noch mit Magenknurren vervollständigt. Das ist meist mein Signal in Bibliotheken, nach Hause zu gehen: Wenn der Rest des Saals deinen Magen hört, ist Schluss. An unseren Stehtisch gesellten sich noch andere Menschen und die zogen entspannt eine Tüte mit Gemüsesticks sowie ein Butterbrot aus der Tasche. Das mache ich nächstes Mal auch. Schön mit dem Mettbrötchen zu Madame Butterfly.
Das Publikum schaffte es übrigens erstmals, nicht sofort in den Schlussakkord reinzujubeln. Es war wirklich ein winziger Augenblick Ruhe, bevor der Beifall losging. Dafür war ich sehr dankbar, denn obwohl ich den Kram schon so oft gesehen habe, hat es mich gestern kurz vor Schluss doch erwischt. Ich empfand das Schlussbild als überaus hoffnungsvoll, was nicht einfach ist bei einer Oper, in der gerade die Welt untergegangen ist. Und so weinte ich hemmungslos im Dunkel vor mich hin und freute mich gleichzeitig darüber, dass mich auch bekannte Musik noch so kriegen kann.
Dirigent Kirill Petrenko musste übrigens an seinem Geburtstag arbeiten. So ein Ständchen hätte ich auch gerne mal.
Könnte ich das bitte jeden Monat einmal haben? #BSOGötterdämmerung mit der fantastischen Nina Stemme. Und zu Petrenko fehlen mir freilich die Worte, aber: happy Birthday, Maestro! @bay_staatsoper pic.twitter.com/rGVTtGv5rP
— Simone Theilacker (@dauertrotzer) 11. Februar 2018