Links von Mittwoch, 21. März 2018

Während ihr diese Zeilen lest, bin ich vermutlich auf dem Weg nach Nürnberg ins Kunstarchiv und wühle mich durch einen Nachlass. Wenn der Mann nicht Sütterlin geschrieben hat, vermutlich mit einem breiten, glücklichen Grinsen im Gesicht. Deswegen gibt’s heute Dinge zu lesen, die andere geschrieben haben. Gestern war ich zu vorfreudig, um groß was zu erleben. Aber lecker Kürbiskernbrötchen mit Putenbrust und Gurke gegessen. Und ewig am Mahlgrad meines Espressos rumgedreht, leider eher zum Schlechten. French Press ist irgendwie einfacher.

Und: KEINE ERKÄLTUNG! (Bis jetzt.)

She Was the Only Woman in a Photo of 38 Scientists, and Now She’s Been Identified

Die New York Times schreibt über den schönen Twitter-Thread, den ich vor ein paar Tagen erwähnte. Liest sich einfacher als die ganzen Twitter-Replys, daher hier noch mal hübsch im Blog.

„Candace Jean Andersen wanted to write a picture book about the Marine Mammal Protection Act of 1972, so she asked the National Oceanic and Atmospheric Administration for some information.

It sent her an article on the subject. There, buried in dozens of pages of dense text, was a photograph of attendees at the 1971 International Conference on the Biology of Whales in Virginia, a gathering of some of the most prominent experts in marine biology. The 38 people pictured appeared to be mostly white and all men, except for one: a young black woman wearing a bright headband, her face partly obscured by the man in front of her.

Ms. Andersen said the men were named in a caption but the woman was not. “My curiosity nagged at me, not knowing who the woman in the photo was, or perhaps what she may have contributed to the conference,” she said.

How do you identify a person when all you have is half of a smiling face in a 47-year-old black-and-white photo?

You turn to social media.“

Bonn – Berlin – Bannas

Günter Bannas hat 40 Jahre lang für die FAZ aus den Hauptstädten Deutschlands berichtet. Hier erzählt er ein paar Anekdoten zum Abschied. Man riecht teilweise fast die alte Bundesrepublik.

„Gewöhnlich sind Kanzlerreisen auf die Minute geplant. Landung um 22.15 Uhr heißt 22.15 Uhr und nicht etwa 22.35 Uhr. Eine Ausnahme: Merkels Tour an die amerikanische Westküste. Los Angeles, San Francisco, Arnold Schwarzenegger, Beverly Hills, Heidi Klum, Thomas Gottschalk. Für Freitag, den 16. April 2010, um 15.30 Uhr war die Landung in Berlin-Tegel annonciert. Ganz und gar anders sollte es kommen. In Island war der Vulkan Eyjafjallajökull ausgebrochen. Eine Aschewolke legte sich über Europa. Nicht in Berlin, sondern (vielleicht) in München, Nürnberg oder Mailand sei eine Landung noch möglich, hieß es bei Abflug. Vielleicht auch in Rom, hieß es bei der Zwischenlandung zwecks Kerosin-Aufnahme in Kanada. Als die Sonne aufging, war klar: Lissabon. Ein lauer Abend folgte. Niemand wusste so recht, wohin. „Wir bleiben beisammen“, versprach Merkel. Wider Erwarten ging es nach Rom. Sodann in einer Autokolonne hoch nach Bozen. Merkel vorne in einem Dienstwagen, den Michael Steiner, deutscher Botschafter in Rom und vormaliger Schröder-Berater, vom Fuhrpark des Vatikans überlassen bekam. Hinten in der Kolonne die Journalisten in einem Bus, einer ziemlichen Schrottmühle, weil in jenen Tagen die Busse in ganz Europa knapp geworden waren.

Reifenpanne auf der Autobahn nach Norden. Die BKA-Sicherheitsleute bestanden darauf, Merkel dürfe nicht am Standstreifen der Autostrada stehen bleiben. Ulrich Wilhelm, damals Sprecher Merkels und heute Intendant des Bayerischen Rundfunks, hatte den Leuten hinten mitzuteilen, Merkels „Keiner wird zurückgelassen“ sei nicht aufrechtzuerhalten. Dem AP-Reporter Stefan Lange gelang es, die eingerosteten Muttern an den Rädern zu lösen. Das Bus-Unternehmen musste versprechen, irgendwo bei Florenz einen Bus zu organisieren, der in Deutschland TÜV-tauglich war. Tief in der Nacht zum Sonntag Ankunft in Bozen. Sonntagnachmittag dann doch in Berlin, 48 Stunden später als geplant. Merkel schien es genossen zu haben: zwei Tage ohne die Mühen einer Kanzlerin und CDU-Vorsitzenden. In Nordrhein-Westfalen musste sie einen Wahlkampftermin mit dem Parteifreund Jürgen Rüttgers absagen. Rüttgers verlor die Landtagswahl.“

twenty

Jasons Kottkes Weblog ist am 14. März 20 Jahre alt geworden. Ich gratuliere – und freue mich über einen schönen Textschnipsel, den ich dem Texter*innennachwuchs am nächsten Montag in Hamburg auf Powerpoint vorlesen werde.

„I had a personal realization recently: kottke.org isn’t so much a thing I’m making but a process I’m going through. A journey. A journey towards knowledge, discovery, empathy, connection, and a better way of seeing the world. Along the way, I’ve found myself and all of you. I feel so so so lucky to have had this opportunity.“

von und mit Hartz 4 über.leben

Der bisher erfolgreichste Tweet, den ich in zehn Jahren abgesetzt habe, wenn man Retweets und Likes als Maßstab anlegt, besteht vollständig aus einem Text, der nicht von mir stammt. Scheint viele zu interessieren, dieser Text, daher kommt er auch nochmal ins Blog.

„Als mein Backofen kaputt ging, bot jemand bei Twitter an, mir einen neuen zu bezahlen. Die gleiche Person hat mir eine neue Matratze gekauft, als meine alte, die ich schon gebraucht hatte kaufen müssen, nach 8 Jahren nicht mehr nutzbar war. Ich vermeide es aktiv darüber nachzudenken, wie sich das für mich anfühlt. Weil ich weiß, dass es kein gutes Gefühl ist.

Wenn Freund_innen ihre Kleidung aussortieren, schicken sie mir das, was sie nicht mehr wollen. Seit Jahren sehe ich also überwiegend aus, wie andere Leute nicht mehr aussehen wollen und was würde besser zu einem Menschen passen, der so lebt, wie andere Leute nicht leben wollen?

Jens Spahn meint, mit Hartz 4 müsse man nicht hungern und ich kann ihm darin zustimmen. Mit Hartz 4 muss man nicht hungern. Man kann wählen, ob man hungern will oder lieber keinen Strom haben. Oder keinen Telefonanschluss. Oder keine Monatskarte für den ÖPNV. Oder keine Schulsachen. Oder keine kulturelle Teilhabe. Oder Möbel. Oder Kleidung.“