Was schön war, Freitag, 27. Juli 2018 – Theatermond
Vormittags saß ich im ZI, um mich gebührend auf unseren neuen Podcast vorzubereiten (und weil die Bibliothek so perfekt klimatisiert ist). Wir nehmen heute auf, das heißt, vermutlich gibt es hier morgen schon was zu hören.
Ich hatte mir schon zuhause in der hauseigenen Suchmaschine ein paar Bücher rausgepickt und die Signaturen im Moleskine notiert, sammelte nun entspannt fünf, sechs Wälzer ein, ließ andere einfach stehen und las drei Stunden lang zum Spaß in der Gegend rum. Hat alles nichts mit der Dissertation zu tun, was auch mal ganz schön war.
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Gegen 12 war ich fertig und hatte genug zusätzliche Infos zu den Bildern, die ich besprechen möchte; ich bummelte über den Königsplatz zum Kunstbau des Lenbachhauses. Ich staunte darüber, dass das Gras auf dem Platz sich schon weitestgehend von den 25.000 Menschen erholt hat, die es letzten Sonntag bei der #ausgehetzt-Demo plattgetreten hatten, und bewunderte wie immer die Propyläen. Danach ging ich in den Kunstbau und schlenderte durch Dan Flavins Neonlichter, die übrigens umsonst zu sehen sind.
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Ich buk das zweite Brot in dieser Woche, weil das letzte nicht so richtig aufgegangen war. Das gestrige war auch nicht ganz so hübsch wie die bisherigen, vermutlich weil es der Hefe gerade zu warm ist. I feel you, Hefe!
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Abends war ich mit F. in den Kammerspielen verabredet. Wir sahen No Sex von Toshiki Okada. Im Stück treffen sich vier junge Männer in einer Karaokebar und singen Liebeslieder, um sie danach zu sezieren und zu überprüfen, ob diese Songs über Liebe etwas in ihnen hervorgerufen haben. Ich wollte das Stück gar nicht so lustig finden wie ich es dann doch fand, denn zwischen den absurden und gleichzeitig anrührenden Dialogen wurden Themen wie Lieblosigkeit, Selbstentfremdung, Zukunftsangst angerissen; bei einigen Sätzen musste ich an die Mistkerle der Incel-Bewegung denken. Ich haderte im Nachhinein damit, dass mal wieder nur Jungs über ihre Sexualität – oder was sie sich darunter vorstellen – reden dürfen. F. meinte im Nachhinein, dass eine Rolle der vier eigentlich mit einer Schauspielerin hätte besetzt werden sollen, die aber wegen Überarbeitung abgesagt hatte. Warum es dann doch vier Kerle auf der Bühne wurden, verstehe ich dann nicht. Die damit einzige Frau im Stück ist dann auch diejenige, die Sex und Körperkontakt deutlicher verbalisiert als die Herren: Sie sagt „vögeln“, wo die Jungs von „Inter-Treatment“ sprechen. Sie scheint auch ein deutlich gesünderes Verhältnis zu ihren Bedürfnissen zu haben, und das stieß mir ein bisschen auf, dass die Frau für die triebhafte Körperlichkeit und die Männer für die geistige Auseinandersetzung stehen.
Während des Stücks singen alle sechs Personen irgendwann mal Karaoke (mit deutschen Texten). Bei Benjamin Radjaipour und seiner „Wie ne Jungfrau“ von Madonna merkte man recht deutlich, dass er sich anstrengend musste, eher durchschnittlich zu singen; den Mann würde ich gerne mal hören, wenn er zeigt, was er kann. Und bei Franz Rogowskis „Eventuell“ musste ich konstant gackern, zu schön war die Übersetzung von „Maybe“ von Janis Joplin.
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Normalerweise kehren F. und ich nach Theater- oder anderen Veranstaltungsabenden irgendwo auf einen Wein oder ein Helles ein, aber gestern wollten wir natürlich die Mondfinsternis bestaunen. Auf dem Weg von den Kammerspielen durch den kühleren Hofgarten (Bäume my love!) bis zum Odeonsplatz konnten wir nirgends einen Mond entdeckten, und auch meine Timeline meckerte geschlossen, dass nichts zu sehen war. Von F.s Zauberbalkon runter konnten wir ihn aber sehen: direkt über dem Heizkraftwerk in der Maxvorstadt stand eine staubigrote Kugel im Himmel rum und rechts unter ihr ein sehr heller Planet, der Mars, wie ich im Vorfeld gelesen hatte. Ich winkte Spirit, Sojourner und Curiosity zu, wir köpften einen Prosecco, und wo wir eigentlich nur kurz mal hatten gucken wollen, blieben wir dann über zwei Stunden auf dem Balkon sitzen und starrten zu unserem Trabanten hoch.
Ich fand es spannend zu sehen, dass der Erdschatten den Mond anders aussehen ließ als wenn er teilweise von der Sonne angestrahlt wird; die Sichelform war die gleiche, aber er kam mir kugeliger vor als sonst. Irgendwann fand ich es sehr unheimlich, auf den Schatten eines Planeten zu gucken, auf dem ich gerade selber sitze. Das sind die Momente in der Astronomie, wo ich mit einem Teddybär unter mein Bett klettern will, dieses Merken, wie winzig man ist und wie irrwitzig, unbeschreiblich und für mich schlicht unverständlich groß alles andere.
In meinem Kopf stießen dann Sätze zusammen wie „Wow, wie großartig, es ist so toll, das zu erleben, what a time to be alive“ und „MeTwo in der Timeline, AfuckingD im Bundestag, Trump, Putin, Orban, die polnische Justiz, die Angst um Europa“. Genau deswegen versuche ich meine Zeit auf Twitter etwas einzudämmen, um nicht ständig daran zu erinnert werden, die scheiße wir als Menschheit uns derzeit mal wieder aufführen. Aber gleichzeitig fand ich es schön, mit meiner Timeline gemeinsam dieses Naturwunder zu bestaunen.
Ich finde das sehr rührend, wie wir zynischen, fiesmöppigen Interwebpeople gerade alle in den Himmel starren. #Mondfinsternis2018
— Anke Gröner (@ankegroener) 27. Juli 2018