Tagebuch Freitag bis Sonntag, 26. bis 28. April 2019 – Traurig, aber mit Hefeteig
Freitag mittag erwartete ich endlich Feedback auf meine Texte von vor Ostern, weswegen ich die ganze Woche so halb auf Standby rumgewurstelt hatte – keine Archivzeit ausgemacht, zwar am Schreibtisch gearbeitet, aber auch immer nur stundenweise, irgendwie stets auf Abruf. Das war eher unbefriedigend. Das Feedback war dann die Ankündigung fürs Feedback für Montag vormittag und zwar auch erst, als ich schon im Zug nach Augsburg saß. Dafür kann meine Kontaktperson natürlich nichts, dass die Kundin so lange braucht, aber am Freitagabend kam mir die ganze Woche sehr rausgeschmissen vor. Ich war eh angeknockt wegen der Zahnschmerzen, die mal mehr, mal weniger spürbar waren, missgelaunt war ich auch, weil ich seit zwei Wochen nichts Vernünftiges essen kann und sprechen anscheinend auch nicht unbedingt gut ist, weswegen ich fast das ganze Wochenende lang latent traurig war und hier mal kurz Ruhe einkehrte. Denn wenn irgendwas auf mein Gemüt schlägt, dann die Tatsache, nicht essen und nicht sprechen zu können, meine zwei privaten Hauptbeschäftigungen.
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Der Freitagvormittag war aber schön, denn den verbrachte ich endlich mal wieder im Historicum bzw. in dessen Bibliothek, in der ich nun seit geschätzt drei Semestern nicht mehr war. Ich erwähnte es bereits: Durch die Lektüre der Speer-Biografie wurde ich in die Richtung von Goebbels’ Tagebüchern geschubst. Ich bestellte zwei der, keine Ahnung, 20 Bände in der Stabi vor, und erst danach fiel mir die Historicumsbibliothek ein, wo sie garantiert frei zugänglich im Regal stehen. Standen sie natürlich, also fuhr ich hin und stellte als eine Änderung mit dem neuen Plastikstudiausweis fest: Man muss ihn nicht mehr an der Pforte abgeben wie früher, wo man im Austausch dafür ein Nümmerchen bekommen hatte, damit die Pforte einen Ãœberblick darüber hat, wieviele Menschen schon im Gebäude sind und ab wann sie die ganzen BWLer und Medizinerinnen abweisen darf, die gefälligst in ihren eigenen Bibliotheken lernen sollen. Ich durfte meinen Ausweis behalten und bekam statt der Nummer eine Parkscheibe, die ich schon aus der kunsthistorischen Bibliothek kenne: Damit markiert man seinen Platz, wenn man kurz Mittag macht, und wenn man einen Platz sucht und eine abgelaufene Parkscheibe findet, darf man sich dort hinsetzen. Musste ich noch nie, ich fange immer morgens an, arbeite, bis ich nicht mehr denken kann und gehe dann nach Hause, soweit es der Brotberuf erlaubt.
Da ich aber auf Feedback mittags wartete, hatte ich nur wenige Stunden. Die reichten aber auch, um bei den Tagebüchern schlechte Laune zu kriegen. Mein Sprachgefühl war nach der Lektüre für den Rest des Tages jedenfalls im Eimer. Konnte nur noch Telegrammstil schreiben. (Beispiel-Tweets.)
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Zuhause wartete ich sinnlos, bis ich mich fürs Stadion feinmachen musste. Es war zu kalt für Hoodie und Trikot, aber zu warm für die dicke Winterwolljacke. Ich kombinierte total clever mein Hoodie mit einer Regenjacke darüber, die tollerweise eine irre große Innentasche hatte: Statt des schmalen Taschenbuchs fanden darin 900 Seiten Speer Platz. Auf die Thermotights unter der Jeans verzichtete ich, und das war der einzige Fehler: kalte Knie, wie immer. Rest war aber warm genug.
Ich fuhr ausnahmsweise alleine in Stadion, der Herr F. war letzte Woche unterwegs, was ich aber ganz nett finde, alleine zum Fuppes. Ich kann in meinem eigenen Tempo gehen und muss mich nicht dauernd innerlich dafür entschuldigen, langsamer zu sein als die anderen, ich kann die ganze Zeit lesen und muss im Zug nicht reden, ich kann einfach stumm alleine vor mich hinpuscheln. Mir fehlte allerdings ein Schluck Spezi auf der Hinfahrt; F. hat immer eine Weg-Spezi dabei. Eine ganze will ich nie trinken, aber ich vermisse inzwischen ernsthaft ein, zwei Schlückchen Spezi auf dem Weg nach Augschburg.
Es waren kaum Leverkusen-Fans unterwegs, auf der Hinfahrt sah ich keinen einzigen, aber bei einem Spiel am Freitagabend kann ich das sehr verstehen. Die Fahrt zum Stadion sowie der Fußweg waren ereignislos, der Einlass auch – ich hatte keine scheiß Handtasche dabei, konnte daher in die schnellen Schlangen, wo mein Buch zwar wieder eine hochgezogene Augenbraue verursachte, aber anstandslos durchgewunken wurde. Statt der üblichen Stadionwurst gab’s eine Portion Pommes, die ich als kaufreundlich empfand.
Als Nebenmann hatte ich dieses Mal einen Herrn in ungefähr meinem Alter, der 90 Minuten lang halblaut die Kurvengesänge mitsang und dauernd klatschte. Auf der anderen Seite, auf F.s Platz, saß die Ehefrau des Herren, der rechts von F. sitzt. Sie war erst das zweite Mal im Stadion dabei und fand alles toll. Bis auf das Endergebnis von 1:4, nehme ich an.
Das Spiel war fürchterlich, was aber nicht unbedingt daran lag, dass Augsburg so scheiße war, sondern Leverkusen so gut. Der FCA hat noch nie gegen LEV gewonnen, soweit ich weiß, und ich ahne langsam warum. Die SZ fasst gut zusammen:
„Augsburg ging früh in Führung, durch einen Kopfball von Kevin Danso nach einem Eckball in der 12. Minute. Doch schon bald darauf musste man an einen berühmten Dialog aus Tarantinos Pulp Fiction denken, obwohl es darin nicht um Fußball, sondern um die Bedeutung von Fußmassagen geht: “Es ist nicht dieselbe Liga, es ist noch nicht mal derselbe verdammte Sport”, sagt Samuel L. Jackson als Jules Winnfield zu John Travolta als Vincent Vega. Und war es wirklich derselbe Sport, den Augsburg und Leverkusen ausübten?
“Sie haben uns sehr früh unter Druck gesetzt, sehr gut unter Druck gesetzt”, sagte Augsburgs Torwart Gregor Kobel, “eine herausragende Truppe”, das müsse man einfach mal anerkennen. In Zahlen hatte Bayer 04 am Ende exakt 578 Pässe mehr gespielt als Augsburg, 91 Prozent der insgesamt 867 Pässe zum Mitspieler gebracht und 74 Prozent Ballbesitz gehabt. Der FCA kam manchmal gefühlte Minuten nicht an den Ball, Bayer 04 verteilte sich kurze Pässe spielend über das ganze Feld. Augsburgs Trainer Schmidt lobte: “champions-league-mäßig”.“
Ich kann Fußball immer noch nicht analytisch gucken, ganz egal, wieviele Taktikbücher ich noch lese (hier mein Favorit). Ich habe es mir zwar inzwischen angewöhnt, nicht mehr nur auf den Ball zu gucken, sondern das gesamte Feld zu erfassen, aber bei diesem Spiel ist mir vermutlich das gleiche passiert wie der Augsburger Verteidigung: Ich dachte mehrfach: „Huch, wo kommen denn da auf einmal drei Leverkusener her?“ Eben war der Strafraum noch leer, jetzt war der Gegner mit gefühlt 20 Mann da und das Spiel hätte locker noch schlimmer ausfallen können. Ich quengelte innerlich des Öfteren, wo denn die gerühmte Zweikampfstärke der Augsburger bliebe, aber die Jungs kamen gar nicht in diese Zweikämpfe, weil der Ball so schnell wieder weg war. Das war ein sehr ungewohntes Spiel, und ich musste irgendwann schlicht zugeben, dass am Freitag gegen diese Truppe nichts, absolut nichts auszurichten war.
Deswegen überlegte ich auch, etwas früher zu gehen, um den Zug um 22.45 nach München zu kriegen. Aber mir wurde von allen Fußballmenschen dieser Welt in den letzten Jahren eingebleut, dass man das nicht macht, man bleibt bis zum Ende, fertig, aus. Also blieb ich bis zum Ende, verpasste den Zug um fünf Minuten, fuhr daher bis zum Hauptbahnhof weiter und las noch ein Stündchen, bis ich um 23.41 endlich im warmen Regionalzug saß. Gegen ein Uhr war ich leicht verfroren und sehr müde wieder zuhause, fiel sofort ins Bett – und wurde um 3 mit Zahnschmerzen wach. Ich – habe – keine – Lust – mehr.
Ach, was mir während des Spiels noch auffiel: Erstmals – jedenfalls habe ich es zum ersten Mal mitgekriegt – wurde auf der Leinwand eingeblendet, wenn der Video-Schiedsrichter sich meldete. Sonst hatte man als Stadiongänger einfach immer die Arschkarte: Man sah, dass der Schiri die Hand am Ohr hatte, wusste aber nie, über welche Entscheidung gerade in Köln nachgedacht wurde. Dieses Mal wurde eingeblendet, worum es ging, und auch wie die Entscheidung ausfiel. Zwar erst, nachdem der Schiedsrichter schon angezeigt hatte, wie’s weitergeht, aber immerhin. Gute Sache.
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Samstag morgen musste ich Zeug erledigen, was nicht ganz planmäßig klappte, ich war mal wieder genervt, ich hatte Zahnschmerzen, der Job ging mir auf den Keks, ich vermisste die Archivarbeit, die ich theoretisch die ganze Woche lang entspannt hätte machen können, ich war also innerlich ein unbefriedigtes Quengelkind und musste dazu auch noch durch die ganzen Tourist*innen navigieren, die gefühlt alle auf einmal am Samstag in der Stadt waren. Wie gut, dass hier überall Kirchen rumstehen, in denen man sich kurz eine Auszeit nehmen kann. Ich ging wie schon so oft in St. Michael, setzte mich in eine Bank und guckte auf den Hochaltar. Das Praktische an katholischen Kirchen ist ja, dass in ihnen SO VIEL ZEUG ist, dass der Kopf total beschäftigt wird und die innere Quengelnase nicht mehr zu Wort kommt. Ich blieb bestimmt 20 Minuten einfach nur sitzen und versuchte, an nichts anderes zu denken als „alles so schön gold hier“.
Dann setzte sich ein Touristenpärchen direkt hinter mich und probierte Tastentöne aus und ich flüchtete, immerhin halbwegs ausgequengelt. Meine Münze in der riesigen Spendendose machte irre viel Krach.
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Den Rest des Wochenendes verbrachte ich quasi regungslos auf der Couch, sah Serien, las, schlief natürlich bei der Samstagskonferenz ein, wie sich’s gehört und war traurig über die gefühlt vertane Woche. Erst Sonntag nachmittag kam ich ein bisschen aus meinem Loch raus, denn ein neues Rezept für Zitronenschnecken mit Frischkäseglasur entpuppte sich als sehr schmackhaft. Noch nicht perfekt, aber schon sehr gut.
Und noch eine weitere Sache erfreute mich sehr, und es freut mich, dass sie auch auf Twitter so wohlwollend angenommen wurde: Eine Bibliothekarin des Deutschen Museums hatte hier im Blog gelesen, dass ich dort demnächst mal vorbeikommen wollte und bot mir einen Blick hinter die Kulissen an. Darauf bin ich schon sehr gespannt. Danke für das Angebot! Büchermenschen saving the day again!