Tagebuch Freitag, 21. Juni 2019 – 121×200, 60×80, 35×27, 1943, nach 1946, 1950?
Liebes Tagebuch,
gestern habe ich morgens ein Paket aus dem Paketshop geholt, eingekauft und dann den ganzen Tag bis 19 Uhr am Schreibtisch gesessen, um Bilder auszuschneiden und korrekt zu betiteln.
Das war’s.
Deine Anke
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Okay, weil ihr’s seid:
Ein kleines Klamottenpäckchen hatte ich bewusst an einen Paketshop bestellt, weil da immer jemand ist, der es entgegennimmt und ich vorbeikommen kann, wann ich will. Das finde ich bei Nachbarn und Nachbarinnen im Haus immer ein bisschen schwierig, man dringt ja doch einen Hauch in die Privatspäre ein, und genau deswegen habe ich ja eine Packstation. Manche Läden versenden aber nicht an Packstationen, und so spazierte ich morgens um 8, mit Flat White im Bauch, gut gelaunt durch den herrlich frischen Morgen zu einem Kiosk, versorgte mich auf dem Rückweg im Supermarkt noch mit Milch, Müsli, Obst und Schokolade, holte die Zeitung aus dem Briefkasten, warf alles in die Küche und ging an den Schreibtisch.
Wie ich im eigenen Blog (so praktisch!) feststellen durfte, hatte ich genau vor einem Jahr sämtliche Fotos der Gemälde Protzens im Nachlass in Nürnberg abgelichtet. Die Fotos waren meist zu viert auf eine Albumseite geklebt, weswegen ich immer die komplette Seite fotografierte und daraus zuhause entspannt vier einzelne Bilder machen wollte. Das war dann natürlich doch mehr Arbeit als sich Spatzenhirn Gröner vorher überlegt hatte, dann kam die Grossberg-Sache dazwischen, wegen der ich sechs Monate lang stinkig war und nicht mehr promovieren wollte, aber jetzt will ich wieder und brauche dafür endlich mal alle Protzen-Gemälde. Also die, von denen es Fotos gibt.
Die sind in den Alben beschriftet, aber wie ich inzwischen vom Scan des Werkverzeichnisses gelernt habe, nicht immer mit den Titeln, die in eben diesem Verzeichnis stehen. Meine Vermutung ist, dass die Fotos nachträglich, vermutlich von Henny, der Gattin, die ihren Mann um elf Jahre überlebte, eingeklebt und beschriftet wurden, während das Werkverzeichnis von ihm selbst angelegt wurde. Das geht leider auch nur bis ca. 1947.
In den vergangenen Tagen hatte ich die Bilder, die ich im letzten Jahr schon ausgeschnitten und beschriftet hatte, alle umbenannt, so dass eine Datei jetzt so bezeichnet wird: Werkverzeichnisnummer Entstehungsjahr Titel aus dem WV Maße.jpg. Als Beispiel das Bild, um das sich meine ganze Arbeit dreht: 357 1939 Straßen des Führers 169×255.jpg. Die ganzen Autobahnbilder hatte ich natürlich als erstes ausgeschnitten, denn mit denen wollte ich mich ja hauptsächlich befassen; inzwischen weiß ich, dass mich noch viel mehr interessiert, also setzte ich mich endlich an die Pflichtaufgabe, alle Werke, die ich von ihm habe – denn der Mann hängt ja nirgends außer mit zwei Bildern in der Pinakothek der Moderne –, vernünftig aufzubereiten. Gestern kam ich bis 611 1952? Montmartre 120×67?.jpg; das letzte Bild im Album hat die Werknummer 685, weswegen ich mit der Arbeit heute vermutlich fertig werde.
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Ich trank wieder eine Kanne Cold-Brew-Ingwertee, irgendwann gab’s Nutellabrot und abends Risotto.
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Zwischendurch wartete ich auf den DHL-Mann, der mir auch ausnahmsweise was nach Hause bringen sollte und nicht in die Packstation, weil ich bei dem Format Angst hatte, dass es eh zur Post kommt und von dort wollte ich es nicht schleppen. Natürlich landete die Sendung bei einer Nachbarin, obwohl ich den ganzen Tag zuhause war, aber egal.
Ich habe mir ein bisschen Kunst gegönnt als Ausgleich zu den vielen anstrengenden Werken, auf die ich den ganzen Tag gucke, nämlich eine Gouche von Katia Kelm. Von der Dame hängt und steht hier ja eh schon einiges rum, und als ich das Motiv neulich bei ihr auf Instagram sah, musste ich zuschlagen. Sorry, Alex Katz, für deine Grafik habe ich jetzt kein Geld mehr, aber die hat auch ne Auflage von 500 und ich hab jetzt ein Unikat.
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Abends begann es zu regnen und zu gewittern, ich setzte mich auf das Sofa im Arbeitszimmer, von dem aus ich über den Balkon gucken kann und starrte meditativ in die blitzende Dämmerung, weil ich Regen als Geräusch so beruhigend finde. Meine Mutter informierte mich dann über Vaterns Reha, woraufhin ich wieder traurig wurde und einfach eine Stunde stumm sitzenblieb, in den Regen guckte und mich nicht mehr so richtig über Arbeitsfortschritt, Kunst und Balkon freuen konnte.