Tagebuch Dienstag, 16. Juli 2019 – Die kleinen Kleinigkeiten
Morgens beim ersten Balkongang zum Ausputzen und Gießen und einfach nur Rumstehen und Gucken bemerkte ich, dass mein Koriander blühte. Ich wusste gar nicht, dass der blühen kann, ich Newbie, und guckte mir das genauer an. Dabei sah ich, dass das Basilikum nebenan auch sehr apart aussieht, bevor es nach oben sprießt.
Das Foto ist nicht ganz scharf, weil ich bei allem Angst habe, mein iPhone fallen zu lassen, und aus den oberen Stockwerken habe ich dazu noch weniger Lust als in der Wohnung. Daher: aus dem Handgelenk geknipst und schnell wieder an den sicheren Körper gezogen. Bonus: die blauen Papiermülltonnen im Hof.
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Tagsüber am Kapitel 1926 bis 1933 weitergeschraubt. Beim zehnten Jahr, für das ich Protzens Ausstellungsbeteiligungen und Einkünfte notiere, soweit ich sie kenne, fiel mir ein, dass ich mich vielleicht auch mal mit den Bildinhalten auseinandersetzen sollte sowie dem Stil, in dem sie gemalt wurden. Also ging ich nochmal über alles rüber, fischte mir besonders aussagekräfte Werke raus, klickte dazu mehrfach durch meinen liebevoll angelegten Fotoordner – und merkte im Laufe des Tages den Anfang des Flows, den ich bisher für alle Hausarbeiten und die Masterarbeit hatte (Bachelorarbeit war doof). Dieses Wissen, wo man sich bewegt, dieses Gefühl, allmählich den Kram geknackt zu haben, die Beruhigung darüber, auf dem richtigen Weg zu sein. Das war schön.
Und nebenbei ist dieses Kapitel jetzt schon länger als die Bachelorarbeit. Wie sehr ich mich damals mit dem Kram überanstrengt habe! Und jetzt ist die gleiche Textmenge nur ein Durchgangskapitel.
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Vorgestern hatte mich mein Doktorvater an eine andere Doktorandin verwiesen, in deren Arbeit auch ein bisschen Protzen vorkommt. Wir tauschten uns gestern per Mail aus (nachdem wir die andere gegoogelt hatten, hust) und treffen uns vermutlich in wenigen Wochen, um uns gegenseitig ein bisschen was zu erzählen, was der anderen gut ins Thema passen würde. Das war auch schön. Oder wie F. meinte: „Endlich hast du jemand, der auch so gerne über den Kram redet wie du.“
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Zum Mittag holte ich mir Kräuter vom Balkon. Weil sie da sind.
Ich weiß, das klingt für Leute mit (Schreber-)Garten oder für solche, die schon Bananen und Bambus auf ihren Balkonen züchten, total albern, wenn ich mich über Petersilie freue. Aber ich hatte bis auf wenige Kräutertöpfe auf Fensterbänken, die alle nach vier Wochen vor sich hinsiechten, noch nie frische Kräuter direkt vor meiner Nase. Also immer und sofort, wenn ich möchte. Ich muss dafür nur drei Meter weit gehen und nicht mal bis in den Supermarkt.
Ich habe auch jahrelang nicht verstanden, warum ich mir die Mühe machen sollte, wo ich doch eben nur in den Supermarkt gehen muss. Vielleicht hatte ich in Hamburg auch mehr Glück mit meiner Umgebung – der Edeka hier neben mir, den ich aus Bequemlichkeit dann doch viel zu oft ansteuere, hat eher mieses Gemüse, das sollte man essen, sobald man es aus dem Einkaufsbeutel zieht, denn einen Tag später ist es nur noch Matsch oder Schimmel. Bei Kräutern hat er mal diese, mal jene Sorte, keine Ahnung, wo da das System ist.
Aber gestern wollte ich nur Ottolenghis Kartoffeln und Erbsen mit Pesto und Minze machen und stellte überrascht fest, dass ich dafür alles im Haus oder auf dem Vorbau daran zur Verfügung hatte. Und ich genieße das warum auch immer so sehr, kurz ins Grüne zu gucken, auch wenn das Grün nur einen Balkonkasten groß ist, die Pflanzen anzufassen (ja, ich weiß, wie komisch sich das liest, ja, ich streichele manchmal meine Blumen, SCHON GUT), sie vorsichtig abzuzupfen und dann frisch zu verarbeiten. Im Moment schmeckt jedes Essen besser als vorher. Und, wie schon eine Million Mal erwähnt, es beruhigt mich immer wieder und immer wieder überraschend so sehr, beim Grün- und Buntzeug zu stehen und einfach nur draufzuschauen.
(Mal wieder länger darüber nachgedacht, über was man sich in verschiedenen Lebensabschnitten freut und was wichtig ist. Gedankengang noch nicht abgeschlossen. Erstmal was essen.)
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Und selbst der morgendliche Flat White wird so ganz langsam. Ich habe ewig die Milch geschäumt, bis ich das Metallkännchen nicht mehr anfassen kann. Wahrscheinlich habe ich memmige Finger, denn so war die Milch meist einen Hauch zu flüssig. Jetzt nehme ich den prüfenden Finger am Kännchenboden weg und schäume noch zwei, drei Sekunden weiter – und ta-daa, deutlich fluffigerer Schaum. Also manchmal. Reicht.
Vorgestern.
Gestern.
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Ich war geistig nach dem Tag sehr matschig, denn das strengt schon an, sich acht Stunden am Stück (mit Mittagspause) auf sinnvolles Zeug zu konzentrieren, und ich vergesse immer, wie sehr das anstrengt. Nur noch entspannt Mondfinsternis bei F. geguckt, Gin Tonic dazu getrunken und nach einer kurzen Radfahrt durch die sommerliche Nacht ins Bett gefallen. Guter Tag, gerne wieder.