Was schön war, Montag, 19. August 2019 – E-Mail aus Bern
Seit einer Woche liegt meine korrigierte Diss hier rum, und es fällt mir irre schwer, mich dazu aufzuraffen, die handschriftlich angemerkten Korrekturen im Ausdruck digital einzupflegen bzw. die aufgezeigten Lücken alle brav hintereinander zu schließen. Im Moment beschäftige ich mich lieber mit Baustellen, die vermutlich nichts mit meiner Diss-These oder deren Bestätigung zu tun haben, die mich aber seit Monaten nerven.
Es geht dabei vor allem um Protzens grafische Arbeiten. Im Nachlass befindet sich ein einziger Brief, der mir einen Verkauf bestätigt, den er netterweise auch im Werkverzeichnis notiert hat, den kann ich also als gegeben ansehen. Aber was sonstige geschäftliche Korrespondenz angeht: nix is. Ich habe mehrere Fotoalben mit Fotos seiner gebrauchsgrafischen Werke, und manche kann ich auch zuordnen wie zum Beispiel die Titelbilder für die Ausstellungen der Kameradschaft der Künstler im Münchner Maximilianeum (letztes Bild in diesem Blogeintrag). Die Kameradschaft war ein zwangsweiser Zusammenschluss aller Müncher Künstlervereine, die nun dem Gauleiter Adolf Wagner unterstand; er fand 1938 statt. Bei diesen Titelbildern kann ich also sagen: Die kann ich datieren, die wurden gedruckt, das sind keine Entwürfe aus Spaß in seinem Nachlass, und ich gehe mal davon aus, dass er dafür auch ein bisschen Geld gesehen hat. Wieviel, weiß ich allerdings schon wieder nicht. Geld interessiert mich, weil ich so aufzeigen kann, dass er mit seiner Kunst mehr verdient hat als mit den Grafiken. Momentan ist mein Wissensstand, dass er Mitte, Ende der 1920er Jahre wieder verstärkt als Gebrauchsgrafiker arbeitete, weil die Kunst nicht genug einbrachte; das änderte sich – auch momentaner Wissensstand – so ab 1935, 1936.
Im Nachlass befinden sich aber auch diverse Fotos von Grafiken, Wandbildern, teilweise auch in den Ausstellungsräumen fotografiert, Schautafeln etc., von denen ich nicht weiß, wer sie beauftragt hat oder von wann sie sind. Manchmal finden sich in den Grafiken Jahreszahlen (yay), meistens aber nicht (hmpf). Manchmal gibt Protzen selbst Tipps: Im Spruchkammerbogen hatte er unter „Reisen und Wohnsitz im Ausland“ auch die Schweiz angegeben: „Zur Hyspa in Bern hatte ich einen Auftrag für die Schweizer Brauereien zu erledigen. Ebenfalls in Turin einen ähnlichen Auftrag für die italienischen Brauereien.“ Hyspa gegoogelt und herausgefunden, dass die Erste Schweizerische Ausstellung für Gesundheitspflege und Sport 1931 stattgefunden hatte. Sehr schön. Also schrieb ich gestern eine Mail ans Stadtarchiv Bern, in deren Beständen ich online gesehen hatte, dass über die Hyspa ein paar Akten da waren, und bat um eventuell vorhandene Verträge, eine Auftragsbestätigung, Rechnungen, irgendwas, was mir sagt: Der Mann hat da ausgestellt. Nur wenige Stunden später kam leider eine Absage: Genau diesen Beleg könne man nicht bieten. In der Mail wurde aber ein Ausstellungskatalog erwähnt, und nach dem suchte ich jetzt.
Wenn ich richtig geguckt habe, steht er nur in der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig und der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, aber was mir der Karlsruher Verbundkatalog noch als Suchergebnis ausspuckte, waren diverse digitalisierte Zeitschriften und Zeitungen aus der Schweiz, die 1931 und 1932 über die Hyspa berichtet hatten. Darunter war auch Das Werk von 1931, das eine Innenansicht aus dem Pavillon des Bierbrauerverbands zeigte. Und genau da kann man Protzens Wandbild mit ein bisschen Mühe erkennen:
Damit habe ich zwar noch immer kein offizielles Schriftstück und weiß nicht, wie der Mann an diesen Auftrag gekommen ist bzw. wieviel er damit verdient hat, aber immerhin habe ich eine Bestätigung, dass seine Arbeit wirklich zu sehen gewesen ist und sich im Nachlass nicht nur Fingerübungen befinden.
Diese Sucherei hat mich so ziemlich den ganzen Tag gekostet. Zwischendurch gab’s noch Kundentelefonate und einen fürchterlichen vegetarischen Burger, dessen Patty ich nach zwei Bissen verklappte und dann ein nettes Käsebrot mit Ketchup und Salat hatte, aber im Prinzip war das mein Tagwerk. Nein, das hat mit meiner großen Forschungsfrage nichts zu tun, nein, das wird meine These weder bestätigen noch widerlegen, aber ich habe wieder eine winzige Lücke geschlossen, und deswegen war das gestern ein guter Tag.
Jetzt muss ich nur noch irgendwie rauskriegen, wo, wann und für wen er seine Tafeln in Turin gezeigt hat. Haha. Alles auf Anfang.
PS: Die Schweizerische Lehrerinnen-Zeitung erkannte die geschickte Werbung der Genussmittel auf der Ausstellung unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit, gab aber trotzdem die Empfehlung ab, sich die Ausstellung anzuschauen: „Zur Beruhigung ihres weitmaschigen Gewissens versichern und beteuern das Bier, dass es auf absolut hygienische Weise gebraut werde und dass es einen gewissen Nährgehalt habe; der Schnaps, dass er die Nieren reinige und zu vermehrter Tätigkeit anrege; der Wein, dass er nach wie vor eine Gottesgabe sei, und die Zigaretten, dass sie trotz allem und ohne weitern Grund eben angenehm zu rauchen seien.“