Tagebuch Samstag, 1. Februar 2020 – Studenten, die alles gendern
Ich weiß nicht, wie ich meinem Kopf beibringen kann, dass „Ausschlafen“ nicht „zwei Minuten vor dem Alltagswecker aufwachen“ bedeutet.
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Den Vormittag komplett auf dem Sofa bei einer Kanne Tee verdaddelt. Das war schön. Die Wohnung ist ungeputzt, aber ich war entspannt.
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Dann allmählich ins Stadion aufgemacht. Die schwierige Frage war die der Klamottenwahl. Vor zwei Wochen war klar: Alles, was ich tragen kann, wird mitgenommen, auch die Decke. Gestern waren es in München aber teilweise 15 Grad, was eigentlich mein geliebtes Frühling- und Herbsthoodie bedeutet. Es war allerdings Regen angesagt, und ich weiß auch, dass es dann doch irgendwann kühl wird, wenn man nur rumsitzt, selbst wenn man ab und zu das Glück haben sollte, wegen Torjubels aufspringen zu können. Also entschloss ich mich für einen Kompromiss: Jeans ja, aber keine Thermotights drunter, Winterjacke ja, aber nur Thermo-Longsleeve und Shirt drüber, nicht noch der dicke Pulli, Sneakers statt Winterstiefel, keine Mütze, keine Decke, aber vielleicht mal die Handschuhe in den Jackentaschen lassen. Und, ta-daa, es hat ungefähr gepasst.
Wenn mir jemand vor diesem ganzen Dauerkartengelump gesagt hätte, dass ich so viel Hirnschmalz auf meine Bekleidung aufwenden müsste, hätte ich das gelassen. Schließlich verwende ich im Alltag ungefähr eine Sekunde auf meine Bekleidung: Ist es sauber? Passt es? Dann ziehe ich es an.
PS: F. war im Bandshirt und Bandlongsleeve unter der Übergangsjacke ein bisschen zu kalt gekleidet. Aber dafür sah er top aus!
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Zum Spiel selbst ist nur zu sagen, dass ich kein Foto gemacht habe. In der ersten Halbzeit sah ich die Jungs meist von hinten, weil sie auf das Tor von mir weg spielten, und in der zweiten Halbzeit wollte ich die Hände nicht aus den Handschuhen nehmen. Es war seit längerem mal wieder ein richtiger mies anzusehender Grottenkick, aber netterweise hat Bremen noch grottiger gespielt, und Augsburg gewann 2:1.
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Auf der Tramfahrt vom Stadion zum Bahnhof lernte ich interessantes über die Stadt des gestrigen Gegners. Jetzt wo die Staumeldungen vom Deutschlandfunk Geschichte sind, muss ich mir die Infos über den Rest von Deutschland halt woanders herholen. In der Tram meinte ein Werder-Fan: „Ich komme aus Mannheim, das ist eine Arbeiterstadt, da wird noch ordentlich mit den Händen geschafft, nicht so wie Bremen, wo nur Studenten wohnen, die alles gendern!“ Ich wusste nicht, wie sehr das Ändern von Wortendungen Auskunft über Norddeutschland geben konnte und war einerseits fasziniert von dieser Aussage, kam aber gleichzeitig aus dem Augenrollen kaum noch raus. Kann auch daran gelegen haben, dass der Herr nicht müde wurde, das ortsansässig Bier zu preisen: „Riegele! Echt jetzt, Augsburg ist GESEGNET mit diesem Bier, echt jetzt!“
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Den Restabend wollten F. und ich eigentlich gemeinsam verbringen, aber wie das so ist, wenn jeder erstmal zu sich in die Wohnung geht und man dann zum Aufwärmen unter der Decke liegt … getrennt geschlafen. War auch okay, mit mir ist nach Fußballspielen meist nicht mehr viel anzufangen.
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Apropos Staumeldungen:
Sag zum Abschied leise Kamener Kreuz
„Und mehrmals täglich bändigten die bundesweiten Verkehrsmeldungen jene föderalistischen Zentrifugalkräfte, die in der Republik kulturelle Gräben zwischen Schwerin und München oder Dresden und Düsseldorf aufreißen. Wenn im Radio fortlaufend das deutsche Straßennetz ausgeworfen wurde, war das nicht nur immer eine gegenseitige Lektion in höherer Regionalkunde. Indem klar wurde, dass Menschen in Sachsen, Nordrhein-Westfalen und Bayern gleichzeitig im Stau stehen, vollzog sich auch die deutsche Einheit in ihrer vielleicht deutschesten Variante: geteiltes Bewusstsein in Form von geteilter Genervtheit.“
Der DLF hat aber ein Tondokument gegen die Entzugserscheinungen.
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I Asked 1,000+ People About Crying at Work and the Answers Are… Emotional
Hand hoch, wer noch nie auf der Arbeit geflennt hat. Ich war beim letzten regelmäßigen Arbeitgeber dankbar für die Einzelkabine auf dem Damenklo, da hatte man seine Ruhe. Als das Weinen regelmäßiger wurde, war mir allerdings auch klar, dass es wohl Zeit für die Kündigung wäre.
In der Uni habe ich nur einmal geheult: als mein Bachelorprüfer vor dem versammelten Kolloquium meine Idee verriss. Zu Recht, aber da ging kurzfristig nicht mehr viel. Da saß ich dann zwischen den ganzen Zwanzigjährigen und ließ die Tränen laufen.
„I’ve been thinking a lot about this image over the last week, because it’s been repeating in my mind in various iterations since I started researching the phenomenon of crying at work—an experience nearly as universal as crying itself, according to my unscientific polls.
As responses poured in about people weeping in their office bathrooms, holding back tears in meetings with their managers, and running to parking lots for good car cries, I couldn’t help but picture the entire Earth-bound workforce sniffling at the same time. And just like on the train, the result was strangely endearing and unspecifically distressing, but on a global scale. What I quickly learned is that crying at work is almost its own emotion—with distinct rules, norms, and idiosyncrasies. Below I’ve organized my research for your perusal. It covers where people are crying, from freezers to classrooms; who is crying—do men cry as much as women?; why we’re crying; and interestingly, how to cry at work with more panache (a skill I now possess).“
(via Chestnut and Sage)
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Thread eines Kurators über die Schwierigkeiten, digitale Kunst zu konservieren. Mit Appellen an Künstler*innen, wie sie Kurator*innen Hilfestellung geben könnten.
Ich erspare mir jetzt eine Abhandlung darüber, dass digitale Kunst vielleicht gar nicht für die Ewigkeit gemacht sein soll, sondern ein sehr spezifisches Zeitdokument ist, dessen Zeit dann eben irgendwann gekommen ist.
(via @wortfeld)