Tagebuch Donnerstag, 20. Februar 2020 – Vier statt fünf
Archiveinheiten, that is. Ich saß den halben Tag im Stadtarchiv, nachdem ich meinen Frühsport erledigt hatte: acht Kilo Bücher in Uni-Bibliothek und Stabi zurückschleppen. Ach, vermutlich waren es 20 KILO! *ächz*
Die eine fehlende Einheit betraf einen Nachlass, und ich weiß schon nicht mehr, warum ich sie haben wollte, aber ich bestelle sie einfach nochmal. Gestern las ich zunächst Zeitungsartikel über die Münchner Künstlergenossenschaft zwischen 1930 und 1950. Die hatte ich vor ungefähr einem Jahr schon mal in der Hand und habe als totale Diss-Anfängerin etwas schlampig notiert. Daher musste ich den ganzen Stapel nochmal durchblättern, um vernünftige Fußnoten zu haben.
Danach las ich Zeitungsartikel über die Münchner Künstlergenossenschaft zwischen 1950 und 1986, weiter ging die Sammlung nicht. Da war deutlich weniger drin als ich es erwartet hatte, da muss ich wohl nochmal nach anderen Stichworten suchen. Oder ich mache es mir selbst bequem und husche die letzten Lebensjahre Protzens nur noch so runter, die Autobahnbilder sind ja seit 1941 durch.
Die letzten beiden Sammlungen waren wieder Zeitungsartikel, einmal zum Haus der Kunst nach 45, einmal zur zweiten Münchner Künstlergenossenschaft: Die war nämlich mit allen anderen Künstlervereinigungen 1938 gezwungenermaßen in die sogenannte Kameradschaft der Künstler eingegliedert worden, mitsamt ihrem Vermögen und ihrer Kunstsammlung. Nach 1945 gründeten sich gleich zwei MKGs neu: eine unter Herrn Protzen und eine unter Herrn Gerhardinger und beide fanden sich so richtig scheiße. 1952 gewann Gerhardinger einen Prozess um den Namen und durfte seinen Laden jetzt „Münchner Künstlergenossenschaft königlich privilegiert 1868“ nennen, Protzen sein Häuflein „Neue Münchner Künstlergenossenschaft“. Die beiden gibt’s heute noch (MKG, NM). Aber auch in diesen beiden Sammlungen fand ich quasi nichts zu Herrn Protzen. Hm.
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Beim Lesen Hanau verdängt, dann bei den jüngeren Zeitungsartikeln plötzlich wieder im Kopf gehabt. Diese verdammte Egal-Haltung, diese verdammte Nichtaufarbeitung, dieses verdammte Aussitzen.
Dass die angebliche Stunde Null 1945 nie stattgefunden hatte, sollten inzwischen alle verstanden haben. Alte Seilschaften funktionierten weiter, kaum jemand schwärzte seinen Nachbarn an, weil der mal den rechten Arm gehoben hatte, weil der den Ankläger vermutlich genauso anklagen konnte. Und so blieb sehr vieles beim Alten, und das zieht sich bis heute durch.
Auch in der Kunst gab es auf lokaler Ebene, genauer gesagt in München, nur teilweise Umbrüche. Während recht früh die ehemals Verfemten wieder gezeigt wurden (Buchtipp, Inhaltsverzeichnis), schufen viele vom NS-System begünstigte Künstler einfach weiter das, was sie bis 1945 auch schon produziert hatten. Die Große Deutsche Kunstausstellung 1944 im Haus der Deutschen Kunst blieb bis ins Jahr 1945 geöffnet, der letzte Verkauf wurde im April 1945 getätigt. Danach schloss das Haus vorerst als Museum, um im September 1949 als Haus der Kunst neu zu öffnen. Die Münchner Künstlervereinigungen, die sich früher auch an der GDK beteiligt hatten, stellten wieder aus – und bis auf wenige Ausnahmen vorerst stilistisch und inhaltlich dieselben Bilder wie früher. Bereits 1947 hatte in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus die erste größere Münchner Kunstausstellung stattgefunden; Protzen zeigte, soweit ich das bisher beurteilen kann, dort fast nur Werke, die vor 1933 entstanden waren (eins war von 1934).
In einer Rezension von 1951 schrieb die Abendzeitung über die Ausstellung im Haus der Kunst: „Auch die sogenannte „Gerhardinger-Gruppe“ stellte im Haus der Kunst aus; zu ihr gehörten unter anderem Sepp Hilz, Fritz Bayerlein, Claus Bergen sowie Josef Thorak, „der sich, umständehalber, auf bürgerliche Formate zurückgezogen“ hatte. „Bekannt wie die Namen sind Stil, Auffassung und Motive der Kunstwerke. Seit 1937 hat sich hier nichts geändert. Paul Padua, Arno Breker und Werner Peiner sind allerdings nicht vertreten.“ (Abendzeitung, 20.10.1951)
1953 wurde der Ton etwas schärfer, anscheinend reichte es einigen Rezensenten jetzt wirklich, den alten Kram immer wieder großflächig an der Wand zu sehen: „Es muss einmal gesagt werden: Solche Veranstaltungen sind einfach im Haus der Kunst nicht mehr zu verantworten. Man darf diesen Konservativismus nicht als Bewegung sich selbst überlassen; man müßte ihn in die großen Ausstellungen aufnehmen, in denen er höchstens zwei Räume beanspruchen könnte.“ (Unbezeichnete Zeitung, 1953)
Allmählich änderte sich der Tonfall aber wieder; diese Kunst wurde nicht mehr verdammt, sondern eher nölig ertragen. 1963 meinte Reinhard Müller-Mehlis in der Abendzeitung, dass diese „überholte Salonkunst“ nicht an ihrer Rückständigkeit zugrunde gehen würde, „sondern am Überhandnehmen schierer Niveaulosigkeit.“ Und Müller-Mehlis selbst schien es spätestens 1986 dann auch eher egal zu sein, dass Künstler wie Arno Breker wieder im Haus der Kunst zu sehen waren, er war ihm keine besondere Erwähnung wert, sondern er zählte ihn und seine Werke schlicht auf wie die restlichen von ihm rezensierten Künstler. (Münchner Merkur, 17.3.1986.)
(Einschub: Der Wiki-Artikel zu Müller-Mehlis könnte auch mal dringend überarbeitet werden, der ist ja eine einzige Lobhudelei.)
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Nach der Archivarbeit eingekauft, Lieblingsbrot besorgt und frische Hefe. Da ich außer zwei Tweets keinerlei Reaktion auf mein Flehen um Franzbrötchenrezepte bekommen habe, gehe ich davon aus, dass ihr die auch alle nicht backen könnt. Das beruhigt mich etwas. Ich übe weiter.
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Zwei Folgen GLOW geguckt. Ich bin immer noch nicht ganz von der Serie überzeugt, weil ich Wrestling fürchterlich albern finde, liebe aber den 80er-Jahre-Soundtrack sehr. Und die Abspannmusik aus Exodus, die am Ende der 7. Folge läuft. Hier die Schmachtversion mit meinem Liebling Andy Williams, hier das Instrumental von Ernest Gold.
Die Buchvorlage von Leon Uris stand bei meinen Eltern im Bücherschrank. Es war dick, es war da, also habe ich es gelesen. Ich kann mich kaum an etwas erinnern und werde auch vieles nicht verstanden haben, aber: gelesen. Check!
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Wegen Hanau Twitter recht weiträumig umschifft. #fcknzs #fckafd