Tagebuch Montag, 16. März 2020 – Happy birthday to me
Ich hatte gestern Geburtstag und habe ihn komplett alleine verbracht.
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Als ersten Gratulanten hatte ich morgens Papa am Ohr; er rief aus seinem Hirn die üblichen Floskeln für Geburtstage ab, die er in seinem Leben schon tausendmal verwendet hatte („Ehrentag“, „gutes Wetter“, „hab einen schönen Tag“, „Gesundheit ist das Wichtigste“) und fragte mich viermal, wie es mir geht, weil er vergessen hatte, dass er mich das schon dreimal gefragt hatte. Er beendete das Gespräch mit der Floskel, mit der er schon vor dem Schlaganfall unsere Gespräche beendete: „Ich geb dir mal Mama.“
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Das Mütterchen habe ich hoffentlich davon abgehalten, heute zum Friseur zu gehen. „Aber wenn ich als erste morgens hingehe? Da ist doch das Virus noch nirgends.“ – „Du musst doch grad eh nicht raus, da ist es auch egal, wie deine Haare aussehen.“ – „Aber einkaufen geht doch? Wenn ich Mundschutz und Handschuhe mitnehme?“ – „Das können doch auch andere für dich übernehmen. Aber ja, wenn du unbedingt selbst für ein Brot rauswillst, dann nimm Mundschutz und Handschuhe mit und halte Abstand zu allen Leuten.“
Zehn Minuten später rief Schwesterherz an: „DU HAST MAMA GESAGT, SIE KANN EINKAUFEN GEHEN?!?“
Seufz. Eine paar interne Kommunikationen später meldete sich Schwesterherz wieder per WhatsApp: „Ich darf für sie einkaufen. Happy Birthday!“ Dazu schickte sie mir ein Arrangement aus ihren ganzen auf Ebay ersteigerten Mainzelmännchen mit einer Glückwunschkarte. (Mein Det war ein Geschenk von ihr.)
Mama noch so beim morgendlichen Telefonat, als ich meinte, dass ich F. nicht sehe und nicht im Lieblingsrestaurant Crémant trinken werde: „Aber das ist immerhin ein Geburtstag, den du deinen Lebtag nicht vergessen wirst.“
Pep Talks von Menschen, die Weltkriege überstanden haben, sind in US-Katastrophenfilmen irgendwie immer besser.
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Zur Mittagspausenzeit – wir sind ja schließlich alle brav im Home Office – F. wenigstens per Facetime gesehen. Das war schön. Doof, aber schön.
Die Nachbarin legte Osterglocken vor meine Tür, das war auch schön. Habe vergessen, mir die Hände zu waschen, nachdem ich das Einwickelpapier entfernt hatte und bin seitdem panisch.
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Apropos Home Office. Auf Insta sah ich gestern sehr viele neue zeitweilige Büros meiner Timeline, viele Küchen- und Esstische, auf denen plötzlich ein Laptop stand. Hier ein paar Tipps von jemandem, die ihr Studium bis zur Masterarbeit und ihren Brotberuf jahrelang vom Küchentisch aus erledigen musste.
1.) Zieht euch was Anständiges an. Büro ist Büro, ganz egal, ob ihr im Großraum oder in eurem Schlafzimmer hockt. Setzt euch so an den häuslichen Schreibtisch, wie ihr auch an eurer normalen Arbeitsstelle auflaufen würdet. Anke-Tipp: Die Leggings statt der Jeans tun’s aber auch.
2.) Steht zu euren gewohnten Zeiten auf. Jedenfalls ungefähr. Wenn euer Arbeitsweg von 30 Minuten jetzt wegfällt – yay! 30 Minuten länger schlafen. Seid ab dem Zeitpunkt am Schreibtisch, an dem ihr sonst auch im Büro anfangen würdet zu arbeiten. Strukturen sind wichtig. Anke-Tipp: Endlich aus dem guten Kaffeeservice trinken und nicht aus der ollen Bürotasse.
3.) Macht Mittagspause zu den gewohnten Zeiten. Erneut und immer wieder: Strukturen sind wichtig. Und da eure Kolleg*innen vermutlich auch alle irgendwann Mittag machen, macht das halt auch. Nebenbei am Rechner was wegzufuttern, ist albern. Nehmt euch eine Stunde Pause. Anke-Tipp: In der Mittagspause zuhause kochen ist super und man kann nebenbei eine Serienfolge gucken, zu der man sonst erst abends gekommen wäre.
4.) Schafft euch einen echten Arbeitsplatz. Und wenn der Esstisch eben auch weiterhin Esstisch sein muss, dann funktioniert ihn tagsüber wirklich richtig um und nicht so halbherzig. Alles wegräumen, was nichts mit Arbeit zu tun hat, denn das ist jetzt euer Büro. Abends alles wegräumen, was nichts mit Freizeit zu tun hat, denn jetzt habt ihr Feierabend. Trennt beruflich verbrachte Zeit und Freizeit soweit wie möglich. Anke-Tipp: Am Esstisch eine Tischseite für Freizeit und eine für Beruf benutzen, hilft auch. Klingt erstmal bescheuert, aber der Kopf gewöhnt sich nach ein paar Tagen daran: Wenn ich auf dieser Seite sitze, bin ich im Büro, wenn ich auf dieser Seite sitze, bin ich zuhause.
5.) Blumen auf dem Tisch machen gute Laune. Ein Mainzelmännchen geht auch.
(Edit: Christian und Thomas geben ähnliche Tipps. Wir alte Homeworker-Bande, wir.)
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Nachmittags meldete sich auch das Lektorgirl aus dem Home Office und las mir ihr Yogi-Tee-Etikett vor, das meine Geburtstagsbotschaft sein sollte: „Du bist schön, voller Gaben und Seligkeit.“ Und mies gelaunt, weil ich nicht in die Bibliothek kann! „Das hätten wir dir auch vorher sagen können.“ Mich überrascht das schon, WIE genervt ich davon bin, gerade nirgendwo hingehen zu können, um Bücher aus Regalen zu ziehen.
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Weiter im eigenen Home Office (sieht aus wie immer) an der Diss gepuschelt, soweit das eben gerade ohne externe Bücher geht. Geht so mittel. Das ist für mich ebenfalls etwas überraschend: zu sehen, wie weit ich schon mit dem Text bin. Ich brauche jetzt dooferweise noch ein paar Archive und eben das ZI, um die letzten Lücken zu füllen und meinen Maler vernünftig einordnen zu können, aber ohne die kann ich gerade wirklich nichts machen außer Korrektur zu lesen.
Ich bin allerdings dankbar für die vielen Datenbanken und digitalisierten Bücher, die mir zwar gerade nur bedingt weiterhelfen, aber immerhin. Ach, hey, falls jemand von der Süddeutschen mitliest: Wieso sehe ich mit meinem tollen Uni-Zugang auf alle Ausgaben die Vorschau auf den Nachruf des Herrn Protzen vom 15. September 1956 (Seite 7), kann sie aber nicht anklicken? Falls irgendjemand mir davon ein pdf schicken könnte, wäre ich sehr dankbar. Dafür wollte ich eigentlich in die Stabi, die alle Zeitungen vor Ort hat, aber das geht momentan ja leider nicht.
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Nicht mehr ganz so alleine gefühlt wie Sonntag, obwohl ich es genauso war. Doch abends bedauert, dass ich zu faul gewesen war, mir selber einen Geburtstagskuchen zu backen. Dafür habe ich Geburtstagsbrot gebacken und wollte danach natürlich viel lieber eine Brezn vom Bäcker, der ich aber tapfer widerstanden habe.
Werde mir jetzt nachträglichen Apfelkuchen machen. Kuchen im Home Office ist auch immer ein Motivationsschub.