Tagebuch Dienstag, 17. März 2020 – Tortellini-ähnliches
Kein guter Tag. Ich konnte mich nicht wirklich konzentrieren, hüpfte im Diss-Dokument von vorne nach hinten, ergänzte, korrigierte, aber so recht war ich nicht bei der Sache. Auch weil mir bei so ziemlich jedem Kapitel klar wurde, dass ich ohne Bibliotheken dort nicht weiterkomme bzw. sie nicht finalisieren kann.
Das ZI instagrammte die drei leeren Lesesäle – ich sitze am liebsten im großen –, ich vertwitterte das Geisterhaus, und eine Minute später sah ich diese Erwähnung, die mich freute und traurig machte.
Ich hielt das im ersten Moment für einen Reply an @ankegroener. https://t.co/14wqg57kmt
— David Naujeck (@DavidNaujeck) March 17, 2020
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Um mich abzulenken, ging ich in die Küche, immer der beste Ort für Ablenkung. Dort bastelte ich Pastateig aus Mehl (ich habe noch Mehl!) und zwei Eiern, ließ ihn ruhen und rollte ihn anschließend schön dünn aus (Pastamaschine FTW!). Ravioli mache ich recht gern, aber an Tortellini hatte ich mich noch nie versucht. Wann, wenn nicht jetzt? Ich guckte mir auf YouTube ein paar Tutorials an, wie man die kleinen Racker formt und bastelte fröhlich nach. Sie sahen eher aus wie kleine Papstmützen, weil ich mir nie merken konnte, wo jetzt die lustige Spitze eigentlich hinsoll, bevor man sie eindreht, keine Ahnung, warum ich bei manchen mechanischen Bewegungen zur absoluten Idiotin verkomme. Macht nichts, mit Frischkäse-Schnittlauch-Parmesan gefüllt waren sie ratzfatz fertig, ich kam kaum damit hinterher, noch schnell ein Weißwein-Sahnesößchen zu zaubern. Sah alles völlig unfotogen aus, schmeckte aber immerhin hervorragend. Und da ich nicht den ganzen Teig verarbeitet habe, mache ich das heute einfach nochmal. Vorher noch ein paar Tutorials gucken.
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Mein Lieblingsweingut bietet ein #StayAtHome-Paket an. Wenn ich gerade keine Panik vor Liefermenschen hätte, würde ich es sofort ordern.
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Das 5. Akademiekonzert der Bayerischen Staatsoper ist für zwei Wochen online abrufbar. Herr Levit musste ja sein gewohntes Hauskonzert aus Berlin ausfallen lassen, um in einem fast völlig leeren Saal in München zu spielen. Falls ihr ihn also mal in guter Tonqualität und mehreren Kameraperspektiven erleben wollte: bitteschön. (Danke an alle Kulturschaffenden für alles gerade. Sowieso immer.)
Die SZ schrieb gestern schön über Levit: Chaconne in Turnschuhen.
„Seit vier Tagen spielt der Pianist jeden Abend, pünktlich um 19 Uhr, kurz nach Einbruch der Dunkelheit ein “Hauskonzert”. Mal aus seinem Wohnzimmer. Mal aus einem Münchner Bühnenraum. Mal strumpfsockig, mal in klobigen Sneakers, Pulli und Jeans. Jedes mal eine Komposition. Live auf Twitter. […]
Ja, und jetzt würde normalerweise irgendwas Geschmäcklerisches kommen über die Interpretation oder den Klang. Der ist tatsächlich eher so mittel, das Ganze wird ja in irgendeinem vollgekruschten Probenraum mit dem Iphone aufgenommen, und man selbst hört am Schreibtisch zu, am Rechner, was am Ende streckenweise zu einem Klang führt, als würde einem einer durch ein mehrfach gebogenes Ofenrohr vorspielen.
Aber das ist egal. Worauf es ankommt, ist, dass da einer Kunst macht, um zu trösten. […] Am Ende steht Igor Levit jeweils auf, ein fast schüchternes Lächeln im Gesicht und verschwindet seitwärts aus dem Bild. Es bleiben ein leerer Stuhl und Stille. Aber die ist so viel besser zu ertragen als noch eine halbe Stunde zuvor.“
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Fill your ears with art: the top culture podcasts to listen to during the coronavirus lockdown
Alle noch nicht durchgehört, geb ich einfach mal weiter.
Eventuell fange ich mit „The Way I See It“ an, einem Podcast, in dem Menschen sich ein Bild aus dem MoMA aussuchen und darüber sprechen. Das wäre für mich eine gute Ergänzung für die Bitte von Frau @novemberregen, die sich gerne was über Kunst erzählen lassen möchte. Ich denke seit Tagen über Margarethe von Anselm Kiefer nach, über das ich vermutlich irgendwann was schreiben werde, aber momentan bin ich noch zu traurig für dieses Bild.
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Ich komme nicht darüber weg, wie ordentlich ausgerechnet Spahn und Söder gerade ihre Jobs machen, bin aber sehr dankbar dafür. Seit gestern ist der bayerische Soforthilfefonds für Betriebe und Freiberufler verfügbar. (via Manuel Braun)
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„Für jede Filiale wird eine individuelle Abverkaufsprognose errechnet, die berücksichtigen soll, wie Kund:innen wahrscheinlich in den nächsten Tagen einkaufen. Danach richtet sich die Marktbestellung. Eine Direktbelieferung von Produzenten an die Märkte ist inzwischen eher selten; stattdessen wird die Ware über Regional- und Zentrallager verteilt. Je nach Marktgröße und Entfernung zum Lager gibt es pro Filiale einen definierten Belieferungsrhythmus.
Ein – stark vereinfachtes – Beispiel: In Filiale X kaufen pro Tag üblicherweise drei Kund:innen eine Dose Kidneybohnen, das macht bei sechs Öffnungstagen (Mo bis Sa) 18 Dosen in der Woche. Um mindestens einen möglichen Ausfall einer Lieferung zu kompensieren, werden im Lager 36 Dosen bestellt. Wenn aber statt drei plötzlich dreißig Dosen am Tag verkauft werden, ist das, was sonst für zwei Wochen gereicht hätte, im Markt nach einem Tag schon wieder weg. Genau das ist zuletzt passiert.
Unter regulären Bedingungen halten Händler Bestände für ein bis drei Wochen in ihren Lagern vor, ohne dass Nachlieferungen vom Lieferanten nötig sind, sagt ein Mitarbeiter einer großen Handelskette. […]
In der Branche heißt der Effekt, der sich jetzt ergibt, „Bullwhip“- bzw. Peitscheneffekt: Kund:innen kaufen viel mehr als gedacht, Märkte bestellen mehr (als sie evtl. benötigen), Lager laufen leer und merken: der Bedarf ist riesig, sie bestellen mehr beim Lieferanten – und der kriegt diese unerwarteten Mehrbestellungen plötzlich von allen Händlern gleichzeitig.
Welche Herausforderungen müssen die Hersteller noch bewerkstelligen? Sie müssen die Ware so verteilen, dass nicht in den Lagern in Berlin das ganze Toilettenpapier steht, während die in München leer ausgehen. Deshalb unterstützen Händler gerade vor allem kleinere Lieferanten bei der Koordination.“
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Münchner Kammerspiele on demand
Die Kammerspiele stellen ab heute, 18 Uhr, jeweils eine Inszenierung für 24 Stunden online. Heute geht’s mit „No Sex“ los, das mir live ganz gut gefallen hatte.