Tagebuch Mittwoch, 18. März 2020 – Einkaufen gehen

Seit Tagen habe ich mir keinen Wecker gestellt und werde immer früher wach als noch zu den Zeiten, als man noch in Bibliotheken gehen konnte (aka vor einer Woche). Das ist einerseits nett, weil ich mehr vom Tag habe, das ist andererseits doof, weil ich mehr vom Tag habe, der im Moment nicht mit dem gefüllt werden kann, mit dem ich ihn gerne füllen würde.

Was ich nach lächerlichen fünf Tagen Selbstisolierung zuhause schon merke: wie sehr es mich anfrisst, kaum noch etwas für mich selbst entscheiden zu können. Letzte Woche war es noch unklar, ob ich die zwei vereinbarten Archivtermine sowie mein Geburtstagsessen im Lieblingsrestaurant wahrnehmen werde können. Den Restaurantbesuch hatte F. auf meine Bitte hin abgesagt, die eine Archivarin hatte mir abgesagt, aber die Bibliotheken und das zweite Archiv wären theoretisch noch eine Möglichkeit gewesen. Es fühlt sich irritierenderweise anders an, wenn man selbst auf etwas verzichtet als wenn die Entscheidung für einen gefällt wird und man keine Chance hat, daran etwas zu ändern.

Als ich Montag (Montag! Fühlt sich schon ewig her an) noch lustige Tipps fürs Home Office gab, war mir noch nicht klar, wie wenig ich selbst davon umsetzen kann. Denn im Moment brauche ich gerade kein Home Office, ich brauche Orte wie Bibliotheken und Archive. Und ab und zu ein Bierchen bei der Kneipe um die Ecke, wie ich gestern bei den ersten guten Temperaturen für Biergärten wimmernd merkte.

Apropos wimmern: Das Österreichische Staatsarchiv streamte gestern einfach mal eine geöffnete Kiste. Das reichte schon, um mich traurig zu machen und mir meine derzeitige Hilflosigkeit dem akademischen Schreiben gegenüber zu verdeutlichen.

Ich habe es gar nicht erst mit der Diss versucht, sondern stattdessen die Wohnung geputzt. Das lag vermutlich auch an einem Tweet, den ich gerade nicht wiederfinde, aber er hatte ein gif von Monica Geller und dem Text: „Not just clean – Monica clean.“ Das ist meine Wohnung nicht, aber jetzt immerhin wieder staubfrei.

Wäsche gewaschen. Mich darüber gefreut, dass es warm genug dafür ist, die Wäsche wieder auf dem Balkon trocknen zu können.

Einen Sauerteig angesetzt. Da ich gerade kein Instrument im Haus habe, das ich lernen könnte, und ich es versäumt habe, mir eine billige Nähmaschine auf Ebay zu schießen – danach hatte ich letzte Woche geguckt –, um mich mal am Nähen zu versuchen, lerne ich jetzt halt, Sauerteigbrot zu backen.

Eine DM von F. bekommen, der meinte, dass die meisten sich anscheinend an die halbe Ausgangssperre halten: weniger Leute unterwegs, Menschen halten Abstand beim Einkaufen. Bis auf die „laut eigener Aussage 92-jährige Dame hinter mir an der Kasse, die ganz normal aufgeschlossen hat und als erstes mal zwei Flaschen Augustiner aufs Band gepackt hat. Good on her.“

Daraufhin traute ich mich auch nach draußen. Ich radelte zum Karstadt, in dessen Lebensmittelabteilung ich noch auf 550er Mehl hoffte, das mein oller Nachbar-Edeka auch zu normalen Zeiten eher selten im Regal hat. Die Türen des Kaufhauses waren weit geöffnet, so dass man keine Griffe berühren musste, aber alles war mit Absperrbändern gesichert, man konnte nur direkt vom Eingang die Rolltreppe hinunter in die Lebensmittelabteilung gehen. Darauf wies auch ein Schild hin, wobei ich nicht auf die Öffnungszeiten geachtet habe, die hier in Bayern ja jetzt auch auf Sonntag ausgedehnt wurden. Neben den Flatterbändern stand eine Dame als Wachpersonal, die ich erstmal freundlich grüßte, als ich mit großem Abstand an ihr vorbeiging.

Es waren wirklich deutlich weniger Menschen unterwegs, und ich war nicht die einzige, die mit Einweghandschuhen rumlief. Die habe ich übrigens nicht erst vor drei Tagen armen Pflegebedürftigen weggekauft; der 100er-Pack ist bereits zweimal mit mir umgezogen, mit den Dingern schneide ich normalerweise Chili oder Rote Bete. Und weil ich den Kram anscheinend irre selten verwende bzw. bei Chili inzwischen weniger memmig bin, habe ich noch ein paar in der Küche rumliegen. Wie ich gestern feststellte, ist es gar nicht so einfach, sich damit Einkaufszettel und Schüsselbund aus den Hosentaschen zu friemeln. Oder den Reißverschluss am Rucksack aufzumachen, daran bin ich gleich zweimal hängengeblieben.

Ein Kilo meines Lieblingsbrots gekauft, das ich zuhause, wie immer, in Einzelteilen eingefroren habe. Pastrami und Fenchelsalami besorgt, weil ich Lust darauf hatte, obwohl sie in meinem finanziellen Rahmen derzeit eigentlich nicht vorgesehen sind (sonst eher Lidl statt Feinkost). Und dann nach Mehl und Hefe geguckt, die komplett leergeräumt waren. Nicht mal das olle 405er war noch da. Mit Abstand an der Kasse angestellt, mit Karte bezahlt – auch die Kassiererin trug Handschuhe, wenn ich mich richtig erinnere – und zum Edeka geradelt. Auch dort weder Mehl noch Hefe, aber jetzt hatte ich ja einen Berg Brot. Viel frisches Obst und Gemüse gekauft, frische Milch, die ich literweise verbrauche, Spülmittel und Schokolade. Wundert mich, dass die keiner hamstert. Auch beim Edeka: sehr wenig los, Menschen halten Abstand, keinen Mundschutz gesehen.

Zuhause festgestellt, dass man unglaublich schwitzt unter den blöden Handschuhen. Noch mehr Respekt für Pflegekräfte bekommen.

Ich hatte gestern in der NYT gelesen, dass Handschuhe eher egal sind. Mag sein, aber für mich sind sie eine simple Erinnerung daran, mir nicht im Gesicht rumzuwuscheln.

Pastateig vom Dienstag in formschönere Tortellinis verwandelt und eingefroren, denn aus meinem eigentlichen Abendessenplan (Pasta) wurde Spargel, der beim Karstadt überraschenderweise schon aus Deutschland vorrätig war. Der tat gut. Wenn ich schon nicht vernünftig arbeiten kann, möchte ich mir wenigstens so etwas Gutes tun. Sonst tut mir meine Arbeit immer sehr gut, wie ich mal wieder merkte. Auch deswegen fühle ich mich gerade ein bisschen verzagt.

Den Rest des Tages Serien geguckt und Tee getrunken. Mache ich halt notgedrungen ein bisschen Urlaub. Mich weiterhin über die Osterglocken der Nachbarin vom Montag gefreut; ich habe sie auf drei Zimmer verteilt und freue mich immer, wenn ich sie sehe. Momentan trotz finanzieller Lage auch sehr glücklich über die größere Wohnung. In meiner alten 1-Zimmer-Butze würde ich vermutlich schlechter mit der Situation umgehen können.

Ich traue uns noch nicht so recht zu, aus der Pandemie so viel zu lernen, dass die Gesellschaft Pflegende besser bezahlt und wir allesamt netter zueinander sind (auch wenn ich die Sprach- und Themenlosigkeit der AfD-Deppen gerade sehr genieße), aber so ganz will ich die Hoffnung noch nicht aufgeben. Georg Diez auch nicht:

Corona und die Kommunikations-Revolution

Im Text geht es auch um Igor Levit und Christian Drosten, aber vor allem um das schöne Wort der Zugewandtheit.

„Igor Levit zeigt damit, wie diese Krise genutzt werden kann, alte Mechanismen etwa der Kommunikation oder der Information zu verändern und zum Teil radikal neu zu denken. Er wendet sich direkt an die Menschen, ohne mediale Vermittlung, und die Menschen danken es ihm. So entsteht eine Verbundenheit, eine Intimität fast, eine Offenheit und Authentizität, die nur auf scheinbar widersprüchliche Weise technologisch hergestellt ist. Tatsächlich zeigt Levits Beispiel, wie sehr die Digitalität, richtig angewendet, zu mehr Empathie und echtem Trost führen kann. […]

Die neuen Kommunikationsmöglichkeiten, das zeigt diese Krise, bieten eine viel umfassendere Möglichkeit, sich zu informieren, und zwar auf eine Art und Weise, die an Tiefe, Kontinuität und Genauigkeit in keinem Vergleich steht zu dem, was die traditionellen Medien in gefiltertem Maß tun; wobei der Filter genau das Problem ist, denn zwischen Absender und Adressat schaltet sich jemand, der oder die im Zweifelsfall deutlich weniger weiß als etwa Christian Drosten, Professor an der Berliner Charité und für viele die Stimme der Vernunft, ein Leuchtturm in diesen viralen Zeiten.

Auch Drosten kommuniziert sehr viel und sehr effektiv über Twitter, die Zahl seiner Follower ist explodiert, und für alle, die sich über den aktuellen Stand der Corona-Situation in Deutschland informieren wollen, macht es absolut keinen Sinn, darauf zu warten, was Journalist*innen vermelden, wenn sie sich direkt und dauernd bei Drosten den neusten Nachrichtenstand holen können. Bei ihm ist eine Verlässlichkeit und ein Vertrauen gegeben, das den traditionellen Medien, manchmal aus gutem Grund, inzwischen abgeht.“