Tagebuch Sonntag, 26. April 2020 – Sofatag

Fast. Ein paar Stündchen saß ich am Abbildungsverzeichnis, aber eher unkonzentriert.

Der Tag begann mit dem Nachschauen von Saturday Night Live.

SNL hatte vor zwei Wochen, nach der inzwischen überall eingetretenen Zwangspause, aus den Wohnungen und Häusern der Darstellenden gesendet. Das war alles eher Schülertheater bis auf wenige Sketche, die damit spielten, dass alle am Rechner saßen und Stress mit Zoom hatten. Aber ansonsten war das ein sehr anderes Niveau als das, was man sonst von der Show gewohnt ist. Daher war ich gestern etwas skeptisch, wie die zweite Corona-Ausgabe aussehen würde – und wurde positiv überrascht.

Anscheinend wurden per Kurier diverse Greenscreens zu den Darstellenden geschickt, so dass zum Beispiel die Weekend-Update-Nachrichten ihren ganz normalen grafischen Hintergrund hatten und man nicht mehr die geschickt drapierte Akustikgitarre von Colin Jost auf dem Sofa bewundern konnte. Meine Lieblinge Aidy Bryant und Kate McKinnon gaben ihre üblichen ungelenken Businesspartnerinnen, absichtlich so geschnitten, dass man deutlich sieht, dass sie nicht gemeinsam in einem Supermarkt stehen, und so nochmal extra komisch. Generell war das Graphics Department anscheinend wieder bei der Arbeit und es gab mehr Schnitte.

Auf den sonst üblichen Gastgeber, den vor zwei Wochen noch Tom Hanks aus seiner Küche gemimt hatte, verzichtete man, denn der ergibt bei diesem Setting überhaupt keinen Sinn. Normalerweise spielt der Host nach seinem Opening Monologue in mehreren Sketchen mit, aber das war nun ja nicht möglich. So durfte Brad Pitt den Reinkommer machen, der eigentlich mit „Live from New York, it’s Saturday Night“ endet und den er hier etwas abänderte. Sein einziger weiterer „Auftritt“ war die Ankündigung von Miley Cyrus als musikalischem Gast, die ausgerechnet Pink Floyds „Wish you were here“ bot und mich ein bisschen zum Weinen brachte. (Tolle Stimme.)

Zusammengefasst: kein uplifting Schülertheater mehr, sondern wieder eine engagierte TV-Produktion. Gefällt.

Zwei Instagrambilder von Christian Siriano vertwittert, weil ich es schick finde, dass er aus doofen Mundschutzen ein Fashion Statement macht. Der Tweet wurde von einem Aluhutträger retweetet – „SO GEHT VERSCHLEIERUNG BLABLABLA“ –, den ich schnellstmöglich blockte. Netterweise hat der Herr anscheinend kaum Follower, jedenfalls konnte ich Twitter weiter nutzen, ohne angekackt zu werden.

Ein Mann mit eigenem Kopf

Ein Nachruf auf Norbert Blüm.

„Norbert Blüm war 16 Jahre lang Arbeits- und Sozialminister, von 1982 bis 1998. Er war der Einzige, der den Kabinetten von Helmut Kohl vom ersten bis zum letzten Tag angehörte. Kurz danach zerbrach ihre Beziehung, Anfang des Jahres 2000. In Kohls Spendenaffäre kritisierte Blüm öffentlich, dass der langjährige Chef sein angebliches Ehrenwort, die Namen der Geldgeber nicht zu nennen, über Verfassung und Gesetz stellte. Solche Kritik war etwas, das Helmut Kohl für Verrat hielt, und wem der Mann übel nahm, dem nahm er übel für immer. Geißler, Süssmuth, Schäuble, Späth, Weizsäcker, seine beiden Söhne, sein Fahrer oder eben Blüm – mit vielen, die zuvor zu seinem Leben gehörten, sprach Kohl zeitlebens kein Wort mehr.

Norbert Blüm war ein vom Herzen gebildeter Mensch, auf keinen Fall einer, der unversöhnt mit jemandem bleiben wollte, der ihm einst etwas bedeutete, erst recht nicht im Alter. Also erzählte er bei jenem Mittagessen, dass er Kohl einige Zeit zuvor einen Brief geschrieben hatte, den Inhalt konnte er auswendig. Sie beide seien nun über 80, sie hätten so einen langen gemeinsamen Weg zurückgelegt, ob sie nicht ihr Zerwürfnis beilegen sollten, bevor einer von ihnen ins Grab geht. Blüm sagte: “Wenn er wenigstens zurückgeschrieben hätte: Du Arschloch, mit dir nie wieder.”

Aber von Kohl kam nichts. Einfach nichts. Zur Trauerfeier fuhr Blüm gerade deshalb, obwohl er eigentlich kein Beerdigungsgänger war; “ich kriege das Feierliche einfach nicht hin”, pflegte er zu sagen. Aber die Trauerfeier zu ignorieren hätte bedeutet, Gegnerschaft über den Tod hinaus zu dokumentieren.“

Igor Levit spielte gestern „Palais de Mari“ von Morton Feldman. Kannte ich noch nicht, hatte mich aber 23 Minuten im Griff. Ich kann verstehen, dass Levit weinen musste, wie er selbst twitterte. Das Stück wirft einen sehr auf sich selbst zurück und das ist derzeit gerade manchmal schwer erträglich.