Tagebuch Sonntag/Montag, 12./13. Juli 2020 – Maske auf

Etwas mulmig war mir vor der Zugfahrt in den Norden, wo ich diese Woche bin, um meine Mutter mal wieder zu unterstützen. Das letzte Mal war ich im Februar hier, dann sollte ich eigentlich im April kommen und im Mai hätte das Mütterlein ein paar Tage bei uns im Süden geweilt, unter anderem für den Besuch der Passionsspiele in Oberammergau. Aber ihr wisst ja.

Seit März vermeide ich Menschen, vor allen in größeren Ansammlungen und engen Räumen. Die Archiv- und Bibliotheksbesuche, die für die Diss noch nötig waren, fand ich alle erträglich, vor allem, weil in diesen Räumen recht wenig bis gar nicht gesprochen wird, was mein persönlicher Angstgegner derzeit ist. Die eine Stunde Zug nach Nürnberg ins Kunstarchiv war okay, wenn ich auch gefühlt sehr flach geatmet habe. Nun standen mir insgesamt fünf Stunden bevor, und ich war doch etwas nervös.

Ich weiß nicht, ob es an den Infiziertenzahlen in Bayern liegt, die, auf Bundesländer gesehen, am höchsten war und ist, dass sich hier, meiner anekdotischen Beobachtung nach, der überwiegende Teil der Menschen an die Maskenpflicht hält. Bei meinen wenigen U-Bahn- und Tramfahrten in den letzten Wochen habe ich nur zwei Personen gesehen, die keinen Mundschutz trugen; genau die quatschten dann auch die ganze Zeit miteinander bzw. telefonierten. Abstand halten klappt auf den engen Bahnsteigen manchmal nur so mittel, aber auch da habe ich das Gefühl, dass die meisten sich wenigstens bemühen. So auch am Sonntag am Hauptbahnhof in München: alle mit Maske, bei einigen (ausnahmslos Männer) hing die Maske unter der Nase. Im Zug saß ich in der 1. Klasse (mehr Abstand möglich) und obwohl ich keinen Ruhebereich mehr erwischt hatte, saßen alle stumm in der Gegend, niemand telefonierte, alle trugen Maske. Ich hatte einen Zug später als gewohnt gebucht, weil der als „nicht ganz so fies frequentiert“ markiert war, und das passte auch gut. Ich fühlte mich ziemlich sicher und erleichtert, las und hörte weiterhin „Hamilton“.

Am Hauptbahnhof Hannover sah ich deutlich weniger Masken, daher mein Verdacht, dass die Zahlen in Bayern mehr dazu verleiten, das Ding zu tragen, auch wenn man oben auf dem Bahnsteig, wo man ja in frischer Luft steht, vermutlich keine Maske tragen müsste.

Schwesterchen holte mich im Auto vom Bahnhof ab, sie trug Maske, wir ließen die Fenster geöffnet. Auch der Schwager wurde nicht wie üblich mit Körperkontakt begrüßt, sondern mit Abstand. Ich bewunderte eine kleine Bauarbeit der beiden am Häuschen und war neidisch auf die dicken Tomaten.

Bei meinen Eltern trage ich seitdem die ganze Zeit Maske, außer wenn wir essen, aber dann versuche ich Abstand zu halten, was nicht immer funktioniert. Immerhin weiß ich, dass die beiden negativ sind, das haben sie seit letzter Woche schriftlich. Das Mütterchen rief den Hausarzt an, weil mein Vater seit einigen Tagen etwas hustete. Beim Wort „Husten“ wurde anscheinend alles aktiviert, was ging, wenige Tage später standen zwei, O-Ton Mama, „Marsmenschen“ vor der Tür, also komplett in Schutzkleidung gehüllte Tester*innen, nahmen einen Abstrich im Rachen, und jetzt wissen wir, dass ich mich schon mal nicht anstecken kann. Wobei ich mir auch deutlich mehr Sorgen um den umgekehrten Fall mache. Auch das besprachen wir natürlich, was jetzt das sinnvollere, risikoärmere, bessere Vorgehen sei, und es endete damit, dass ich mich in den Zug setzte anstatt weiter in München rumzusitzen und Zukunftsangst zu schieben und das Mütterchen ein paar Außer-Haus-Termine wahrnehmen kann, ohne ständig auf die Uhr gucken zu müssen, und bekocht wird.

Die Putzfrau, die hier einmal die Woche arbeitet, meinte zu mir, das sei immer wie Urlaub für meine Mutter, wenn ich käme. Das Gefühl habe ich noch nicht: Die ganzen schönen Automatismen, die ich im letzten Jahr gelernt hatte, sind nach fünf Monaten Pause in den Abstellkammern meins Hirns verschwunden. Momentan fühle ich mich wieder wie eine Praktikantin, die dauernd was fragen muss: Wie ging nochmal der Geschirrspüler? Wann soll das Mittagessen fertig sein? Welche Tabletten wann? Und wo ist eigentlich das Paniermehl? Immerhin kenne ich die Namen der Pflegenden noch, die natürlich auch alle mit Mund-Nasen-Schutz auflaufen.

Schwester und Schwager haben meinen Eltern ein Hochbeet in den Garten gesetzt, aus dem ich gestern erntete. Das war schön, trotz DER GESAMTSITUATION. Wenn das für Mama wie Urlaub ist, ist es für mich wie eine Studienreise: So sieht also Rucola aus, wenn er nicht in Plastik im Supermarkt liegt. Und endlich hatte ich mal richtig große Radieschenblätter, aus denen ich Pesto machen konnte, was mir noch nie gelungen ist. Und zack, wieder ein Mittagessen fürs Mütterchen vorbereitet, das sie nächste Woche entspannt abrufen kann.

Das Bild sieht aus wie für Insta hingedengelt, der Prozess lief aber eher andersrum. Ich sah den malerischen Pestoklecks auf dem Brettchen und stellte nur das Pestoglas zwischen alles, ansonsten sah so meine Kocharbeit aus. Dass die olle Arbeitsplatte aus den 70er-Jahren nochmal so schick sein könnte. (Finde ich jedenfalls.)

Zum Mittag gab’s Schnitzel und mir gelang eine perfekte Panade. Dusseliger Gedankengang beim Teller für meinen Vater: Verdammt, ich muss das ja kleinschneiden, dann hat Papa gar nichts von der perfekten Panade. Scheiß Schlaganfall.

Abends bat mich Mama, etwas Pfefferminz aus dem Garten zu holen für den Tee. Dem Geschmack des Gebräus nach zu urteilen, kann ich Pfefferminz nicht von Zitronenmelisse unterscheiden. Sehr schmackhaft. Und ich habe immerhin keinen Salat aufgebrüht.

Man guckt hier aus fast allen Fenstern ins Grüne, der Garten blüht und sprießt gerade wie irre. Auch wenn die Woche anstrengend wird, ist das wirklich schön, hier zu sein.