Was schön war, Donnerstag bis Sonntag, 16. bis 19. Juli 2020 – Heimat, Heimfahrt, heimelig

Bei den Eltern gibt es gnadenlos, komme die Hölle oder Hochwasser, nachmittags Kaffee und Kuchen. Da ich die ganze letzte Woche mit Maske rumgelaufen bin, habe ich gelernt: Wenn man ein Stück Sahnetorte, das etwas instabil ist, mit dem Finger abstützt, bis es heile auf dem Teller ist und dann den Finger instinktiv ablecken will, fühlt man sich mit Maske ein bisschen wie ein Trottel.

Wie jedesmal sehr gerne den Vögeln im Vogelbad zugeguckt, wie sie das Wasser einen halben Meter weit rausspritzen können, die Racker.

Auch gelernt: Sommerflieder ist Katzenminze für Schmetterlinge. Falls ihr gerade eine Lücke im Garten habt und gerne Schmetterlingen zuguckt, pflanzt von dem Zeug mal einen dicken Strauch. Sehr unterhaltsam.

In der Woche, in der ich nicht da war, kümmerte sich F. liebevoll um meine Arbeitszimmertomaten, die seit Samstag Balkontomaten sind. In den sechs Tagen, in denen ich sie nicht sah, sind sie ungefähr um 30 Zentimeter gewachsen und haben drei kleine Tomatengrünlinge produziert. Meine Hauswand ist jetzt mit Paketband und Tesakrepp verunziert, weil meine Bambusstäbe viel zu kurz für diese riesigen Monster geworden sind. Keine Ahnung, was ich da gekauft habe. Lidl-Samen. Das kann doch keiner ahnen, was aus diesen in Ausgangssperre-Hyperaktivität ausgesäten Samen in Eierkartons so wird!

Jedenfalls schickte mir F. am Freitagnachmittag ein Foto der ersten zwei Tomätchen, ich kreischte hysterisch rum, und meine Eltern aka The Gardeners, lachten sich tot. Selbst mein Papa verstand, worum es ging.

Die Schiebehilfe für den Rollstuhl, die zwei Monate lang kaputt war, kam Freitag wieder, weswegen wir ihn auf den Rasen hinter dem Haus schieben und dort Kaffee trinken konnten. Er sah quasi zum ersten Mal nach ungefähr einem Jahr sein Haus von der Rückseite wieder und fragte: „Und wer wohnt hier?“ Snif.

Ich machte ein Foto für Schwester und Schwager von den Eltern vor den von ersteren eingepflanzten Sonnenblumen. Dabei hielt meine Mutter den Sonnenhut meines Vaters in der Hand, die sie in die Hüfte stemmte, ein Knie ist vorgeschoben, sie schaut in die Ferne, und auf meinem Bild sieht sie jetzt so aus, als hätte sie gerade Südamerika erobert. Schwester und Schwager waren für drei Tage nach St. Peter Ording gefahren, um mal kurz rauszukommen und machten einen kleinen Abstecher ans Ortsschild von Wacken, das sie F. per WhatsApp schickten. Aww! Ich bekam ein Bild mit Meer drauf. Auch aww! Sie bekamen dafür die Eroberin und einen Mann, der die Zunge rausstreckt.

Papa ist etwas ruhiger geworden; er weiß zwar immer noch nicht und wird es vermutlich auch nicht mehr wissen, dass er zuhause ist, aber er scheint sich irgendwie eingelebt zu haben und hinterfragt das nicht mehr, jedenfalls nicht mehr so oft wie bis Februar, als ich das letzte Mal da war. Da musste ich ihm jeden Abend erklären, wo er ist und dass alles gut ist. Immerhin letzteres scheint er inzwischen verinnerlicht zu haben. Ein paar winzige körperliche Fortschritte sind zu erkennen, aber kognitiv wird vermutlich nicht mehr viel passieren. Aber er ist immer noch eindeutig Papa, das ist schön.

Generell war die Woche weniger stressig als sonst, was ich wirklich auf den grünen Garten schiebe. Und vielleicht darauf, dass ich nicht in jeder „freien“ Minute an die Diss dachte. Mein persönlicher Running Gag ist es, meine jeweilige Lektüre mit in die alte Heimat zu nehmen, sie nach dem Rucksackauspacken auf den Nachttisch zu legen und dann die ganze Woche lang durchs Haus zu schleppen in der Hoffnung, mal zehn Minuten lesen zu können, was nie klappt. Ich lese mein Buch auf der Hinfahrt im Zug und auf der Rückfahrt. Abends im Bett reicht es noch für ein paar Daddeleien auf der NYTimes-Website und Candy Crush, aber dabei fallen mir meist schon die Augen zu.

Den Freitagvormittag war das Mütterchen wieder unterwegs und ich nutzte die Zeit, Dinge vorzukochen. Was sie wirklich entlastet, was mir gar nicht so klar war, ist, dass sich jemand anders als sie um die Verpflegung kümmert und darum, dass danach das Geschirr im Geschirrspüler landet oder abgewaschen wird. Freitag bereitete ich Kartoffelgratin zu, was immer für drei Tage reicht. Außerdem füllte ich ein halbes Schraubglas mit Salatdressing voll (sie mag mein Honig-Senf-Dressing so gern), das muss sie jetzt nur noch schütteln und hat für mindestens eine Woche damit keine Arbeit mehr. Ich rieb alle Karotten, die noch da waren, damit sie das nicht erledigen muss. Außerdem bereitete ich einen dicken Nudel-Gemüseauflauf zu, der jetzt eingefroren werden kann. Mehr fiel mir auf die Schnelle nicht ein und mit diesen Tätigkeiten war der Vormittag dann auch rum, aber bis ich in vier Wochen wieder oben bin, habe ich hoffentlich noch ein paar Rezepte parat. Quiche oder Zwiebelkuchen vielleicht? Falls ihr tolle Ideen habt für Dinge ohne exotische Zutaten, die ich vorkochen und einfrieren kann, gerne her damit. Mama sagt danke.

Die Rückfahrt am Samstag war bis auf 20 Minuten Verspätung ereignislos. Alle trugen Masken und sogar die Vierergruppe am Tisch schwieg vor sich hin (Ruheabteil). Erst kurz nach Ingolstadt, also 30 Minuten vor München, begann das Rumgeräume und Geschnattere. Ich hatte es auf dieser Hin- und Rückfahrt zum ersten Mal geschafft, zielsicher die beiden Einzelplätze zu buchen, bei denen man nicht aus dem Fenster gucken kann, sondern die Plastikwand anstarrt. Auf der Rückfahrt konnte ich mich immerhin umsetzen, auf der Hinfahrt war es mir egal. Gelernt: Der „Hamilton“-Soundtrack reicht von Hannover bis kurz vor Nürnberg. Momentaner Lieblingssong: The room where it happens.

Den Rest der Fahrt las ich die Biografie Hamiltons weiter, sehr zu empfehlen, das Buch liest sich wie geschnitten Geschichte.

Normalerweise bin ich am Tag der Rückkehr völlig platt und brauche ein paar Stunden für mich alleine, weil ich sechs Tage am Stück nicht alleine war. Vorgestern ging das aber alles, und so konnten F. und ich noch einen (oder zwei, ähem) kleine Blaufränkisch wegtrinken und gemeinsam einschlafen.

Mein Ex-Freund, der Sack, als ich ihn auf den ersten Absatz dieses Blogeintrags hinwies.

Gestern war ich nach Monaten mal wieder in einem Museum. Darüber erfahren Sie vermutlich morgen oder übermorgen hier etwas mehr.

F. hat während der Ausgangsbeschränkungen angefangen, konzentriert zu fotografieren, auch gerne auf langen Spaziergängen morgens früh, als niemand unterwegs war. Zunächst analog, inzwischen digital bzw. beides durcheinander. Ich bin fasziniert davon, wie schnell er einen Blick entwickelt hat für latent minimalistische Motive bzw. schicke Linien. Ich mag seine Farbigkeit meist noch lieber. Auf Insta postet er gerade täglich ein bis zwei Motive.




(© Felix Mendoza 2020)

Praktischerweise konnte ich ihm so zum Geburtstag ein Buch schenken, das mir Herr Fischer empfohlen und auch im Blog besprochen hat. Seine Fotos schaue ich auch gern an.

The New Must-Have Museum Souvenir: Face Masks

Ich habe vergessen, im Lenbachhaus im Shop nach Masken zu schauen. Ich hoffe, auch die Pinakotheken erweitern gerade blitzschnell ihr Sortiment. Kann ich eine Maske mit dem Dürer-Monogramm haben? Oder mit irgendwas von Beuys?

„Judith Mather, the National Gallery’s buying director, said in a telephone interview that the decision to sell masks was quite a last-minute decision. In June, she said, she was in a supermarket, and, “I was looking around at people and their masks looked so surgical and so ugly,” she said. “I just thought some art would be really different and striking.”

For the Metropolitan Museum of Art in New York, there’s also been a financial incentive. Leanne Graeff, a senior manager in the museum’s product development team, said in a telephone interview that masks were an easy way for people to give money to museums. The Met is already selling four masks online, featuring impressionist paintings and New York scenes, and a larger range is expected when the museum reopens in late August.“

Gelernt: „Uncle Ben“ hat rassistische Untertöne. Wusste ich nicht. Hier ein Artikel von 2007; zu der Zeit wurde aus dem Onkel ein CEO.

„Uncle Ben, who first appeared in ads in 1946, is being reborn as Ben, an accomplished businessman with an opulent office, a busy schedule, an extensive travel itinerary and a penchant for sharing what the company calls his “grains of wisdom” about rice and life. A crucial aspect of his biography remains the same, though: He has no last name.

Vincent Howell, president for the food division of the Masterfoods USA unit of Mars, said that because consumers described Uncle Ben as having “a timeless element to him, we didn’t want to significantly change him.”

“What’s powerful to me is to show an African-American icon in a position of prominence and authority,” Mr. Howell said. “As an African-American, he makes me feel so proud.”

The previous reluctance to feature Uncle Ben prominently in ads stood in stark contrast to the way other human characters like Orville Redenbacher and Colonel Sanders personify their products. That reticence can be traced to the contentious history of Uncle Ben as the black face of a white company, wearing a bow tie evocative of servants and Pullman porters and bearing a title reflecting how white Southerners once used “uncle” and “aunt” as honorifics for older blacks because they refused to say “Mr.” and “Mrs.”“

2020 wird jetzt auch der Name hinterfragt: After Aunt Jemima, Reviews Underway for Uncle Ben, Mrs. Butterworth and Cream of Wheat.

Auch gelernt: Bayern hat als (vermutlich) einziges Bundesland eine Task-Force Infektiologie, die 2014 während der Ebola-Epidemie eingerichtet wurde. Sagen zumindest der New Yorker (und die SZ). Im Artikel geht es um die Arbeitsweise der groß angelegten Studie, mit der zufällig („random walk“) ausgewählte Münchner:innen ein Jahr lang regelmäßig auf COVID-19 getestet werden.

How Munich Turned Its Coronavirus Outbreak Into a Scientific Study

„Germany’s first covid-19 cluster emerged just outside Munich on the morning of Monday, January 27th. The C.E.O. of Webasto, an auto-parts manufacturer, received an e-mail from a manager in Shanghai: an employee who had visited the Munich office the previous week had become feverish during the return flight to China and tested positive upon landing. A German employee who’d sat next to her during a presentation had felt sick over the weekend, and went to Hoelscher’s lab to be tested. Within hours, he had his results: positive for sars-CoV-2. As soon as Webasto’s C.E.O. found out, on Monday afternoon, he called the local public-health authorities at the Bavarian Health and Food Safety Authority. “It was a bit of luck for Germany that the first case was in Bavaria,” Merle Böhmer, an epidemiologist who works on a seven-person task force in the Bavaria office, told me.

According to Böhmer, Bavaria, with thirteen million inhabitants, is the only federal state in Germany with such a rapid-response task force; it was put in place in 2014, during the Ebola epidemic. Two days after the country confirmed its first case of covid-19, Böhmer’s team sent a group of doctors to Webasto to swab employees—fifteen more tested positive. Every high-risk contact at the company, which ended up being more than two hundred people, was placed into a strict two-week quarantine. “We were able to contain this outbreak,” Böhmer told me. “And that granted Germany, I think, two to three weeks of time for preparation.” Munich did not go into lockdown until nearly two months later. By that time, residents had seen the virus’s potential in northern Italy, about a hundred miles away. They were easily persuaded to stay at home. […]

Merkel’s performance, however, hardly excuses shortcomings elsewhere. “There was an entire narrative of ‘America could never do this because we are so independent-minded,’ ” Ashish Jha, the director of the Harvard Global Health Institute, told me. “And I’m like, ‘I know a lot of Germans—they’re pretty independent-minded.’ ” Laura Olbrich, another doctor on Hoelscher’s team, is originally from Duisburg, a struggling post-industrial town in northern Germany. She speculated that scientists knocking on doors wouldn’t work so easily there, especially if they were accompanied by police officers. Even in Munich, careful precautions have been taken to establish public trust: after the initial knock, the team members explained who they were and what they would be doing. Residents don’t have to immediately agree to participate, as a separate team would return to take the first blood samples. The study also attracted a great deal of press attention, so residents often already knew about it. “There was a woman that actually screamed, ‘I was hoping so much that you guys would come to my door!’ ” Olbrich told me. “ ‘This is really funny, like winning the lottery.’“