„Aber das Alter nahte mit grausamen und lautlosen Schritten und manchmal in tückischen Verkleidungen. Sie zählte die Tage, die an ihr vorbeirannen, und jeden Morgen die feinen Runzeln, zarthaarige Netze, in der Nacht um die ahnungslos schlafenden Augen vom Alter gesponnen. Ihr Herz aber war ein sechzehnjähriges Mädchenherz. Mit ständiger Jugend gesegnet, wohnte es mitten im alternden Körper, ein schönes Geheimnis in einem verfallenden Schloß. Jeder junge Mann, den Frau von Taußig in ihre Arme nahm, war der langersehnte Gast. Er blieb leider nur im Vorzimmer stehen. Sie lebte ja gar nicht; sie wartete ja nur! Einen nach dem andern sah sie davongehn, mit bekümmerten, ungesättigten und verbitterten Augen. Allmählich gewöhnte sie sich daran, Männer kommen und gehen zu sehen, das Geschlecht der kindischen Riesen, die täppischen Mammutinsekten glichen, flüchtig und dennoch von schwerem Gewicht; eine Armee von plumpen Toren, die mit bleiernen Fittichen zu flattern versuchten; Krieger, die zu erobern glaubten, wenn man sie verachtete, zu besitzen, während man sie verlachte, zu genießen, wenn sie kaum gekostet hatten; eine barbarische Horde, auf die man trotzdem wartete, solange man lebte. Vielleicht, vielleicht stand einmal ein einziger aus ihrer verworrenen und finsteren Mitte auf, leicht und schimmernd, ein Prinz mit gesegneten Händen. Er kam nicht! Man wartete, er kam nicht! Man wurde alt, er kam nicht! Frau von Taußig stellte dem nahenden Alter junge Männer entgegen wie Dämme. Aus Angst vor ihrem erkennenden Blick ging sie mit geschlossenen Augen in jedes ihrer sogenannten Abenteuer. Und sie verzauberte mit ihren Wünschen die törichten Männer für den eigenen Gebrauch. Leider merkten sie nichts davon. Und sie verwandelten sich nicht im geringsten.“
Joseph Roth: Radetzkymarsch, München 1981 (Erstauflage 1932), S. 181.