Die launige Beilage „Die Autobahn A3 für Europa“ und was das mit meiner Dissertation zu tun hat

In der SZ und, soweit ich weiß, noch einigen anderen Zeitungen lag gestern die 32-seitige Broschüre „Die Autobahn A3 für Europa“ bei. Ich sah sie durch einen Tweet des Journalisten Lenz Jacobsen, der sich in einem kurzen Thread mit dieser Vermischung von redaktionellem und werbischem Inhalt beschäftigte. Er resümierte: „Das Ding ist also weder schlimm noch lesenswert, aber ein beeindruckendes Beispiel für die alltägliche, wirtschaftliche und publizistische Macht und Interessenvertretretung aller, die am Ausbau der Auto-Infrastruktur beteiligt sind und davon profitieren.“

Die Beilage ist online, so dass sie mir niemand zuschicken muss, aber wie ich inzwischen weiß, hebt sie mein Doktorvater sogar für mich auf, der per Mail folgenden Kommentar hatte – oder auch nicht: „Ich enthalte mich jeden Kommentars … zu einzelnen Beiträgen, Redewendungen, Bildern, Metaphern etc., denn das scheint mir doch einigermaßen offensichtlich. Ich denke, dass Sie evtl. (vielleicht sogar an verschiedenen Stellen) in der Druckfassung der Diss. darauf eingehen könnten.“

Das war natürlich auch mein erster Gedanke: Lustig, wie wenig sich Argumente und Bilder in 90 Jahren geändert haben. Damit will ich der Autobahndirektion Nordbayern und den ganzen Menschen, die an dem Ding gearbeitet haben, kein faschistisches Gedankengut unterstellen, aber die Ähnlichkeit zu Texten zum Bau der Reichsautobahn ist schon frappierend. (Edit 30.11., weil hier gerade viele Menschen vorbeischauen, die dieses Blog nicht seit drei Jahren lesen: Ich wurde vor Kurzem mit einer Arbeit über den Maler Carl Theodor Protzen (1887–1956) promoviert, der zwischen 1936 und 1940 29 Gemälde der Reichsautobahn malte. Die Dissertation ist noch unveröffentlicht.)

Gleich in der Einleitung verbietet sich Minister Scheuer jede Kritik an diesem Ausbau: „Denn Wege sind Voraussetzung dafür, dass wir vorankommen. Und das wiederum ist Voraussetzung dafür, dass Wirtschaft und Wohlstand wachsen können. Wer das nicht wahrhaben will und stattdessen ein Moratorium für den Bau von Autobahnen fordert, muss sich die Frage gefallen lassen, ob er wirklich noch nah genug dran ist an den Menschen in unserem Land – mit all ihren Gewohnheiten und Bedürfnissen.” Markus Söder begann seinen Text so: „Die A3 ist die fränkische Leidensstrecke – und sollte doch eigentlich die Lebensader sein, die ganz Franken verbindet.“ Das Wort Lebens- oder Verkehrsader wird auch von fast allen anderen Politiker:innen verwendet, die sich in der Beilage zitieren ließen. Das erinnerte mich beides unangenehm an einen Text von Otto Reismann, Pressereferent von Fritz Todt, dem Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen, der 1937 schrieb: „Auch in der West-Ost-Richtung folgen die Autobahnen traditionsreichen Verbindungen. Es sind die gleichen Wege, auf denen die politische und kulturelle Eroberung des deutschen Ostens erfolgte, die Wege aber auch, die Osteuropa und Westeuropa verknüpfen. Reichsautobahnen sind die Pioniere neuer Siedlungen. Sie öffnen der volklichen Durchblutung in menschenarmen Gegenden und Grenzgebieten bessere Möglichkeiten, sie sichern und wahren so den Besitzstand.“[1]

In einer weiteren Einleitung schreibt der Journalist Bernhard Heck von „23 Großbrücken und zwei Tunnelabschnitte[n]“, die entstehen. Zur Reichsautobahn gehörten bis 1941 ca. 9000 Brücken, drei Prozent davon waren die Großbrücken, die meist in Gemälden festgehalten wurden; sie waren damals schon beeindruckende Aushängeschilder – und scheinen es auch heute noch zu sein.

Laut Heck wurde eine „Trasse geschaffen, die in Ausführung und Eleganz in Deutschland ihresgleichen sucht.“ Etwas weiter im Text: „Dabei sind Brücken nicht nur Ingenieurbauwerke, sondern werden so geplant und ausgeführt, dass sie hervorragende ästhetische Eigenschaften besitzen und somit eine Bereicherung der ursprünglichen Landschaft, eines Tales oder eines Flusses darstellen.“ Gerade diese angebliche Bereicherung der Landschaft war auch für die Nationalsozialisten ein wichtiges Thema; die Reichsautobahnen sollten die deutschen Gaue nicht auf möglichst schnellen, sondern auf landschaftlich reizvollen Wegen verbinden. (Im Gegensatz zu den italienischen Schnellstraßen, die kurz vorher entstanden. Dort orientierten sich die Wegführungen, wie die Schiene, am einfachsten und kürzesten Weg.) Landschaftsanwalt Alwin Seifert schrieb 1936: „Für uns ist der Straße übergeordnet die deutsche Landschaft. Wenn alles Leben auf dieser Erde nur auf der Grundlage einer unzerstörten Harmonie des Naturganzen Dauer haben kann, so hängt Verstand und Echtheit des deutschen Volkes davon ab, daß sein Lebensraum, seine Landschaften in jener kraftvollen Gesundheit und inneren Ausgeglichenheit erhalten bleiben.“ Seifert ging es aber nicht nur um die Schönheit und Geschlossenheit eines Naturraums, sondern vor allem um den Wunsch, eben diesen zu verteidigen. Damit zog Seifert eine direkte Linie vom Straßenbau bzw. der Heimat zu kriegerischen Handlungen: „In einem von rücksichtslos geführten Verkehrswegen zerschlitzten, von Leitungen aller Art verdrahteten und seiner wilden Räume und Gebüsche beraubten Land wird der Einzelne wohl noch seine Brotstelle, auf Dauer aber nicht mehr ein geliebtes Vaterland verteidigen.“[2]

Auch zur Bauzeit bzw. den Kompromissen, die beim Bau gemacht werden, schreibt Heck kurz: „Kann Deutschland noch Großprojekte? Ja, es kann, wenn die Faktoren nicht im Klein-Klein ersticken.“ Damit wiederholt er, hoffentlich unwissentlich, genau die Argumente des NS-Staats. Straßenbau war in der Weimarer Republik Ländersache. Solange die Nationalsozialisten im Reichstag in der Opposition waren, stimmten sie gegen das Projekt Autobahn, zuletzt Anfang 1931. Auch in den Arbeits- und Wirtschaftprogrammen der NSDAP von 1932 fand sich noch kein Hinweis auf den Autobahnbau. Mit der Machtübergabe nutzten die Nationalsozialisten dann die Pläne der HaFraBa – und deuteten sie in ihrem Sinne um. Die größtenteils privatwirtschaftlichen Initiativen der HaFraBa, ihre Pläne sowie ihre Finanzierungsvorschläge konnten in der Weimarer Republik aus politischen und ökonomischen Gründen nicht erfolgreich sein. Erst ein zentralistischer, totalitärer Staat, der sowohl die Organisation als auch die Finanzierung übernahm, war nun in der Lage, ein derartig umfangreiches Projekt in relativ kurzer Zeit umzusetzen. Diese Assoziation wollte auch Hitler in seiner Rede zum ersten Spatenstich erwecken, indem er sagte: „Und ehe wieder Jahre vergehen, soll ein Riesenwerk zeugen von unserem Dienst, unserem Fleiß, unserer Fähigkeit und unserer Entschlußkraft.“ [3]

Was mich außerdem amüsiert hat, waren die vielen Anzeigen der am Bau beteiligten Firmen, die sich in Textbausteinen und Bildauffassungen nicht sehr von den Anzeigen der Firmen der Reichsautobahnen unterschieden, die zum Beispiel in Die Straße in jedem Heft inserierten. (Ein, zwei Beispiele. Auch für die Landschaftseinbindung.) Auch die öffentlichen Inszenierungen, die einen Spatenstich oder die Eröffnung eines Teilabschnitts begleiten, finden sich bei den Reichsautobahnen genauso wieder. Alleine 1938 wurden 42 Teilabschnitte eröffnet,[4] immer mit Pomp and Circumstances, was zur Bekanntmachung des Bauwerks vermutlich deutlich mehr beigetragen hat als gerade 44 Werke zu diesem Thema auf den Großen Deutschen Kunstausstellungen.

In der Beilage findet sich die Überschrift „Ingenieur*innen am Puls beim Bau AK Fürth/Erlangen“. Ich ignoriere mal das schiefe Bild mit dem Puls am Bau, aber immerhin: Anscheinend gibt es heute Frauen, die irgendwas mit der Autobahn zu tun haben, unglaublich. Die Welt der Reichsautobahn war eine eindeutige Männerwelt; selbst zuarbeitende Menschen wie Köche in den Arbeiterlagern entlang der Strecke waren, soweit ich Quellen und Bildmaterial kenne, immer Männer.

Die letzte Seite der 32 wagt dann einen Blick zurück: „Knapp 100 Jahre deutsche Autobahnen im stetigen Wandel“. In einer meiner Meinung nach äußerst unangemessenen Verkürzung heißt es: „Willy Hof gründete 1926 den “Verein zur Vorbereitung einer Autostraße Hansestädte–Frankfurt am Main–Basel” (HAFRABA) und besuchte 1933 zweimal die damaligen Machthaber in Berlin und unterbreitete dort die Planungen seiner Gesellschaft. Tatsächlich hatte die Reichsführung und seine Berater den hohen Wert der HAFRABA-Arbeiten für ihre Zwecke erkannt denn am 1. Mai 1933 verkündete man in Berlin offiziell den Bau eines Straßennetzes, das nur dem Automobilverkehr vorbehalten sein sollte.“ Hübsch euphemistisch einen Namen vermieden und grammatikalisch auch leicht daneben: „die Reichsführung und seine Berater“. Die beginnenden Bauarbeiten werden erwähnt und dann, huch, ist alles vorbei, und es werden „Kriegswirren und Aufbaujahre“ erwähnt. Eine historische Einordnung sieht anders aus. Immerhin wird bei einem Bild die Wikipedia als Quelle angegeben. Ich rate mal, woher der Rest kommt.

Falls euch das Thema etwas ausführlicher interessiert, müsst ihr auf die Veröffentlichung meiner Dissertation warten, die vermutlich Anfang 2022 erscheinen wird.


[1] Reismann, Otto: Deutschlands Autobahnen, Adolf Hitlers Straßen, Bayreuth 1937, S. 12.
[2] Beide Zitate Seifert, Alwin: „Natur, Technik und der deutsche Straßenbau“, in: Süddeutsche Monatshefte 10 (1936), S. 604–610, hier S. 607 bzw. 608.
[3] Reismann 1937, S. 3.
[4] Schütz, Erhard/Gruber, Eckhard: Mythos Reichsautobahn. Bau und Inszenierung der „Straßen des Führers“ 1933–1941, Berlin 1996, S. 59.