Tagebuch Mittwoch, 25. November, bis Dienstag, 2. Dezember 2020 – Hochs und Tiefs

Wie praktisch, ein Kontakttagebuch zu führen, da kann ich jetzt nachgucken, was ich eigentlich in den letzten Tagen gemacht habe, die irgendwie verschwimmen.

Ich war bis Samstag in der alten Heimat. Das war einerseits sehr schön, weil die Luft da besser ist als in München und ich morgens solche Ausblicke hatte.

Das war andererseits sehr schwierig, weil es Papa nicht besser geht. In der letzten Woche stand eine größere, vorläufige Entscheidung an, die uns allen Schwierigkeiten bereitet hat, über die ich hier nicht schreiben möchte. Jedenfalls war meine Mutter noch mehr durch den Wind als sonst, aber ich konnte durchs Dasein etwas abfangen und ihr einige Gänge abnehmen, die sie partout nicht machen konnte/wollte. Meine Schwester ist ebenfalls überlastet, auch hier konnte ich ein bisschen helfen. Nebenbei gab’s aus Gründen einen Coronatest, der wie erhofft negativ war.

Außerdem habe ich meine Mutter erstmals einen Burger essen sehen; sie verzehrte die Einzelteile mit Messer und Gabel.

Und ich durfte/musste das schicke Auto der Eltern öfter fahren als sonst. Es piepst bei allem, was ich tue, und ich spreche mit ihm sehr anders als mit meinen ganzen ehemaligen Autos, indem ich dauernd „Halt die Klappe, du Depp“ sage. In diesem Zusammenhang nachgedacht: Das neueste Auto, das ich je besessen habe, wurde Anfang der 1990er gebaut. Alles danach ist für mich ein unverständliches Raumschiff. Oma Gröner möchte ihre drei Knöppe und ein Radio ohne Stationstasten wiederhaben.

Auch gemerkt: Ich habe kein Körpergedächtnis für Geschwindigkeiten in modernen Fahrzeugen. Bei meinen Karren fühlte ich irgendwann, wie schnell ich war; im Auto der Eltern guckte ich öfter auf den Tacho als auf die Straße. Dabei stellte ich erfreut fest, dass die Todeslandstraßen meiner Jugend, auf denen ich noch lustig 100 fahren durfte, inzwischen fast durchgehend auf 70 geregelt sind. Sehr gut.

Am letzten Abend hielt ich meiner Mutter und Schwester sowie dem Schwager meinen Verteidigungsvortrag und zeigte die Präsentation, die Dissertation liegt eh bei ihnen seit Juni rum. Ich fand es sehr spannend, nicht-akademischen Menschen zu erklären, was ein Forschungsstand ist und wie ich gearbeitet hatte. Noch spannender waren die Fragen, von denen eine fast genauso vom Doktorvater in der Disputation gestellt wurde: „Wenn es schon Fotos der Autobahnbaustellen gab, wieso mussten die dann noch gemalt werden?“ Hier bitte ein Spontanreferat zur politischen Funktion von Kunst im NS-Staat einfügen. Und meine Schwester legte gleich bei der ersten Folie, auf der Protzens „Straßen des Führers“ (1939) abgebildet war, den Finger in die Wunde: „Das sieht ja gar nicht wie Nazikunst aus?“ Das Spontanreferat hier handelte von den Versäumnissen und blinden Flecken der bundesdeutschen Kunstgeschichte. Dann blätterten alle den kompletten Abbildungsteil der Diss durch und ich guckte ihnen interessiert dabei zu, an welchen Werken sie hängenblieben. Diese Diskussion kann ich hier nicht nachvollziehen, denn für die Werke habe ich die Bildrechte nicht und sie sind nirgends abgebildet außer in meiner Diss. Hier Spontanreferat zu Bildrechten uswusf.

Der Zug aus Hannover war noch spärlicher besetzt als auf der Hinfahrt. Ich glaube, wir starteten mit vier Menschen im Großraumwagen (1. Klasse), und ab Nürnberg war ich alleine. Außerdem ging ein Sicherheitsteam durch den Zug, um zu überprüfen, ob auch alle brav Maske tragen. Es gab übrigens wieder Zeitungen! Jedenfalls hatte ich auf der Hinfahrt die FAS, auf der Rückfahrt nur die Wahl zwischen Welt und Bild, also gab’s im Prinzip keine Zeitungen.

Ich las Peukerts Weimarer Republik mit viel Gewinn weiter – ich hatte mir in der alten Heimat schon einen Stift zum Unterstreichen borgen müssen, der jetzt in München wohnt, sorry, Mama – und hörte die Episode des Beethoven-Podcasts zur Waldstein-Sonate. Die lohnt sich alleine für die ersten zwei Minuten, in denen Levit sagt: „Wenn ich für irgendwas studiert habe, dann dafür.“ Danach hörte ich, wie immer beim Podcast, die ganze Sonate, und danach wollte ich dann auch nichts anderes mehr hören.

Samstag abend wurde ich von F. verwöhnt, der uns erneut das Wochenendmenü aus dem Broeding geholt hatte. Das tat gut, von einer Welt wieder in die andere zu kommen. Es gab ein fantastisches Rote-Bete-Meerrettich-Mousse, dessen Rezept ich irgendwie ergoogeln muss, Saibling en papilotte mit einer Krachersalsa, in die ich immer noch Brot stippe, und ein Stück Birnenstrudel, wie immer hervorragend.

Ãœber diesen Comic lache ich seit Tagen.

Montag und gestern waren häusliche Backtage, die ich genoss, bevor mich die echte Welt wieder hat. Es gab simple Mürbeteigkekse, mal mit Schokospritzern, mal mit Kakao zu Schnecken gerollt, meine geliebten Orange-Mandel-Kringel, die Lieblinge meiner Mutter, Orangenkekse mit Schokolade, sowie zu dick geschnittene Florentiner und Engelsaugen. Aus den Eiweißen, die bei den Engelsaugen übrig blieben, machte ich Macarons, aber die sehen so unförmig aus, dass sie nicht auf den Teller durften.

Beim Stollenbacken fiel mir wieder ein, warum ich normalerweise nur einen mache. Gut, der zweite soll in die Post, aber trotzdem.

Mein Internet-Sportprogramm hatte zwei Wochen Pause, zuerst wegen der Verteidigung, dann weil ich weg vom Internet war. Vorgestern und gestern stieg ich wieder ein und stellte fest: Ich kann doch noch Muskelkater kriegen. Verdammte Bauchmuskelübungen.