Tagebuch Mittwoch, 16. Dezember 2020 – Korrekturexemplar und Privilegien

Den Vormittag verbrachte ich mit Kochbüchern und dem Internet; das Menü für den Heiligen Abend steht einigermaßen. Ich werde doch auf wilde Experimente verzichten und muss bis jetzt nur für ein oder zwei Zutaten in Geschäfte, in die ich sonst eher selten gehe, was meine Verweildauer in geschlossenen Räumen und das wilde Suchen in den dortigen Regalen deutlich verringern sollte.

Nachmittags hatte ich einen Termin mit dem Doktorvater. Das ZI ist seit gestern für den Besucherverkehr geschlossen, meine geliebte Bibliothek für mich nicht mehr zugänglich, aber Vati wusste selbst nicht, ob ich nun überhaupt nicht mehr ins Gebäude und damit in sein Arbeitszimmer käme oder doch. Wir verabredeten uns also im Foyer und wollten uns notfalls auf eine Bank auf dem Königsplatz setzen. Daher trug ich unter der radfahrkompatiblen Schnuffeljacke noch einen dicken Pulli, wie ich das aus diversen Stadionaufenthalten gelernt hatte. Auf die Thermotights verzichtete ich.

Ich gammelte kurz im Foyer herum, bis mich die freundliche Dame an der Pforte fragte, ob sie helfen könne. Ich schilderte den Sachverhalt und unsere Unsicherheit, woraufhin sie meinte, als Arbeitstermin dürfte ich natürlich rein, nur die Massen an Bibliotheksbesucher*innen müssten halt leider draußen bleiben. (Masse = 36 Menschen in drei Lesesälen.)

Mit meiner FFP2-Maske ausgestattet durfte ich also die heiligen Hallen betreten und besprach dann mit Vati eine gute Stunde die Ãœberarbeitung meiner Diss. Ich lernte viel über Aussagen in Gutachten, wir klönten noch ein bisschen über die Autobahnbeilage (hier länger verbloggt), die er mir auf Papier aufgehoben hatte und die nun auch ein weiteres Argument für mich bildet. Denn das war unter anderem eine Frage der Zweitgutachterin: Wieso muss man sich mit jemandem beschäftigen, den die Kunstgeschichte 80 Jahre lang ignoriert hat? Bisher waren meine Argumente, unwissenschaftlich formuliert: weil ich’s kann, weil er da ist, eben weil es noch nichts über ihn gibt. Wichtiger: weil die Autobahnen und damit ihre Gemälde das einzige neue Motiv sind, das die NS-Kunst etablieren konnte. Und mein persönliches Lieblingsargument: weil die deutsche Kunstgeschichte (West und Ost) sich bewusst um die NS-Zeit gedrückt hat, um nicht „über den ‚Sündenfall‘ von bürgerlicher Kunst überhaupt nachdenken zu müssen“. (Zitat: Anja Hesse: Malerei im Nationalsozialismus: Der Maler Werner Peiner (1897–1984), Hildesheim 1995, S. 6.) Die Autobahnbeilage gibt mir nun noch ein Argument an die Hand, warum wir uns vielleicht mit diesem Maler beschäftigen sollten: damit nicht staatliche Behörden Argumente nachplappern, die Hitler schon super fand.

Wir sprachen auch über die Veröffentlichung. Ich plane, und ich hoffe, ich finde einen Verlag, der das mitmacht, eine gleichzeitige Publikation als Buch und als eBook bzw. PDF auf dem Uniserver oder ähnliches. Ich möchte etwas haben, das im Regal stehen kann, möchte aber gleichzeitig einen barrierefreien und kostenlosen Zugriff für alle ermöglichen, damit dieses Thema nicht weiter in seiner Nische bleibt. Ich weiß noch nicht, ob das in der Schriftenreihe meines Doktorvaters möglich ist – er bot mir gestern an, dort zu veröffentlichen, was mich natürlich äußert freuen würde. Die Reihe heißt Brüche und Kontinuitäten: Forschungen zu Kunst und Kunstgeschichte im Nationalsozialismus, und der Verlag stand sowieso auf meiner Wunschliste.

Zum Veröffentlichen gehört leider auch ein Batzen Geld, denn wissenschaftliche Werke kosten den Verlag eher als dass sie damit etwas verdienen. Promovierende sparen also gerne auf den sogenannten Druckkostenzuschuss, der sich für mein Werk, wenn ich mir Seitenzahlen und Abbildungen so angucke, wohl um die 10.000 Euro belaufen wird. Die habe ich überhaupt nicht rumliegen, daher werde ich mich um Stipendien kümmern. Falls daraus nichts wird, hat sich mein Mütterlein schon erboten, den Betrag zu übernehmen, weil sie auch ein Buch haben möchte. Ich fühle mich seitdem äußerst privilegiert. Die Diskussion um Privilegien und wie wenige Nicht-Akademikerinnen-Kinder einen Doktortitel erringen (1 Prozent) ist mir durchaus bewusst, und gerade jetzt spüre ich sie erstmals sehr deutlich.

Nachmittags mit F. in die Wolle gekriegt, musste auch mal sein. Wir sind alle durch mit diesem Jahr und dieser Pandemie. Ich jedenfalls.

Abends las ich die korrigierte bzw. mit Anmerkungen versehene Diss durch, die mir mein Doktorvater mitgegeben hat. Diese Seite ist bisher meine liebste.

Ich kenne seine Abneigung gegen mein „ich“ in der Arbeit, was ich mir aber in acht Uni-Jahre nicht abgewöhnt habe, weil ich Passivkonstruktionen hasse. Das ist meine Arbeit, da steht mein Name drauf, daher darf ICH mit Fug und Recht Dinge schreiben wie „In dieser Arbeit werde ich zeigen, dass …“ und nicht „Diese Arbeit wird zeigen, dass …“ Dass er nun ein „ich“ reinkorrigieren musste, hat wahrscheinlich sehr weh getan. Sorry!

Wobei ich zugeben muss, dass sich das auf dieser Seite sehr häuft, das werde ich etwas entschärfen. (Wobei sich das zugegebenermaßen auf dieser Seite sehr häuft, das lässt sich entschärfen.)