Donnerstag, 18. März 2021 – Geweint

Nachrichten aus der alten Heimat, zwei Stunden wütend gewesen, dann traurig, ist jetzt egal, betreffende Tweets gelöscht, wieder abgeregt und resigniert.

Ich finalisierte das überarbeitete Abbildungsverzeichnis der Dissertation, dessen Inhalt und Reihenfolge sich natürlich nach den Umstellungen im Text ebenfalls geändert hat. Immerhin hier konnte ich dramatisch kürzen und verzichte auf über 50 Bilder, die in der eingereichten Diss noch zu sehen waren. Mein Fokus liegt nun deutlicher auf der NS-Zeit und deswegen bilde ich gerade aus der Nachkriegszeit deutlich weniger ab. Mitten in diese Arbeit kamen die Nachrichten, und nach kurzem sinnlosen Anbrüllen meiner Wände klickte ich den Mix der Woche auf Spotify an, der mir passenderweise lauter 80er-Jahre-Pop anbot, was ich fast komplett mitsingen konnte. Aus dem Brüllen wurde daher Singen, mit externen Lautsprechern statt der kleinen schraddeligen Macbook-Tröten, erstmals auch richtig laut, genau wie mein Gesang, scheiß darauf, ob die Nachbarn das hören, das war nötig. Ich hatte ganz vergessen, wie laut ich werden kann, wenn ich mich lasse, und das tat sehr gut. Wenn ich auch wütend nicht wirklich vernünftig singen kann, aber ich versuchte, das zu kanalisieren, sang gegen meine Hand auf dem Bauch anstatt gegen die Wände und musste mich daher auf etwas konzentrieren anstatt nur zu brüllen.

Danach war klassische Musik mein Fallschirm und mein Rettungsboot (SCNR). Dvořáks 4. Satz des All-time-Klassikers „Aus der neuen Welt“ brachte mich dann zum Heulen, weil gerade da die ersten (und letzten) Töne geradezu körperlich spürbar sind, auch bei nicht ganz aufgedrehten Lautsprechern. Zum ersten Mal vermisste ich Musik von einer Bühne herunter so sehr, dass ich zu weinen begann. Meine Nerven erinnern mich an überspannte Berichte aus dem 19. Jahrhundert, und wenn ich eine Perlenkette und Riechsalz gehabt hätte, ich hätte sie benutzt. So heulte ich sinnlos in der Gegend rum und war danach ähnlich erschöpft wie am Mittwoch.

So langsam geht mir doch meine Kraft aus, wie ich irritiert feststellen muss. Als Mensch, der gerne alleine ist und seine Ruhe hat, dachte ich, ich könnte mir dem ganzen Irrsinn da draußen ganz okay umgehen, ich muss ihn ja nicht an mich ranlassen, ich kann ja zuhause bleiben und die Tür schließen und von hier arbeiten und denken. Das geht jetzt anscheinend nicht mehr ganz so halbwegs reibungslos wie im letzten Jahr. Ich habe für mich noch keine Lösung gefunden, ich sitze das aus, was bleibt mir übrig.

Re: klassische Musik. Hier ist ein hervorragender Twitter-Thread mit vielen Beispielen: „Lots of us learned classical music from watching old cartoons, so I’m going to identify the pieces that frequently popped up.“ (Via @ineshaeufler)

Die Calder-Foundation hat ihre Website überarbeitet und stellt nun viele, viele Fotos der Werke von Alexander Calder online. Meine liebste Unterkategorie: Schmuck.

Alexander Calder: Harps and Heart (um 1937), Messing, ca 100 cm, Schmuckelemente ca. 16 x 10 cm, Calder Foundation New York. Bildquelle: Calder Foundation.