Tagebuch KW 13 – Heißwasser, ein Steinway und Fotografie
Vor einigen Wochen kam hier im Haus ein Schreiben an alle Bewohner*innen, dass die Warmwasserversorgung nicht mehr so ganz tiptop sei. Ach was. Das Haus ist aus den 1950er Jahren, glaube ich, können auch die Sechziger sein, daher habe ich es für eine schlichte Alterserscheinung gehalten, dass es recht lange dauert, bis das Wasser aus meinem Hahn zum Beispiel heiß genug für eine Wärmflasche ist. Oder dass die Dusche kurz eiskalt wird, wenn jemand im Stockwerk unter oder über mir die Spülung betätigt. Und auch, dass in den vergangenen Monaten das warme Wasser manchmal ohne jeden Wasserdruck aus der Dusche kam und sich die morgendliche Körperpflege anfühlte wie durch einen Sommerregen zu laufen. Weil: Das ist ja eigentlich ganz nett, durch Sommerregen zu laufen.
Das Schreiben informierte uns, dass im Keller an den Leitungen jetzt echt mal Hand angelegt werden würde. Die Kellereingänge blieben den ganzen Tag offen, und man hörte dort eine Woche lang ein ständiges Rauschen. Die einzelnen Wohnungen wurden hausseitenweise abgearbeitet, also zuerst die ganzen rechts vom Treppenhaus, dann die mittigen, und diese Woche war meine Hausseite dran. Morgens kam ein freundlicher Herr der Sanitärfirma vorbei, die vorher informative und gut geschriebene Zettel verteilt hatte, was auf uns zukäme: Morgens wird das Warmwasser in jeder Wohnung einzeln abgestellt, das kalte ist weiter für alles verfügbar, und nachmittags kommt dann nochmal jemand in die Wohnung, um den Warmwasserhahn wieder aufzudrehen. Tagsüber war eben dieser versiegelt; auf dem neonroten Siegel stand (in Kurzfassung) FINGER WEG SÄURE ECHT FIES LASS ES! Ich musste außerdem unterschreiben, dass ich das Siegel nicht erbrechen würde. Ich war den ganzen Tag über sehr von dem Ding beeindruckt.
Nachmittags kam derselbe Herr nochmal rum, entfernte das Siegel und drehte die Hähne im Bad und den in der Küche minutenlang auf. Zuerst kam rostrotes Zeug, dann irgendwann Wasser, und schließlich dampfte es, das kannte ich von meinem Heißwasser noch nicht. Ich bekam auch den Hinweis, beim nächsten Händewaschen oder Duschen den Hahn nicht so weit wie gewohnt aufzudrehen, das Wasser hätte jetzt eine höhere Temperatur, erstmal Vorsicht bitte. Das probierte ich natürlich sofort aus, sobald der Herr wieder gegangen war und kann nun erfreut mitteilten: HEISSES WASSER, BABY! Und bis jetzt auch noch kein Druckabfall oder Eiszapfen beim Duschen.
Die Arbeiten im Keller hatten schon vor Wochen begonnen; an, wenn ich mich richtig erinnere, zwei Tagen in der Woche hatten wir überhaupt kein Wasser, auch kein kaltes. Ein Schreiben der Hausverwaltung wies uns darauf hin, uns doch bitte einen Wasservorrat anzulegen; für alle Fälle gäbe es aber auch im Keller eine Trinkwasserausgabe. Da lohnte sich meine Faulheit mal, mein Leergut nicht dauernd zurückzubringen. Ich hätte mir locker 20 Liter abfüllen können, beließ es aber bei acht oder so und brauchte quasi nichts. Eigentlich wollte ich an den Tagen im ZI sitzen, aber dann kam ein kleiner Job rein, und in der Bibliothek lässt es sich doch eher unentspannt telefonieren. (Aka gar nicht, um Gottes Willen, Fresse!)
—
Am Mittwoch führte ich eine meiner neuen schwarzen FFP2-Masken aus, denn F. hatte mir zu Weihnachten nicht nur eine Konzertkarte für Herrn Levit geschenkt, den wir vor einer guten Woche gehört hatten, sondern auch noch eine für Herrn Trifonov. Der spielte im Herkulessaal Bach, und das war sehr schön. Er brauchte allerdings etwas, bis er mich hatte, ich bin von Levit anscheinend inzwischen die großen Gesten gewohnt, während Trifonov völlig versunken am Flügel sitzt und es einem fast ein bisschen peinlich ist, ihm bei diesen intimen Gesten beizuwohnen. Bei jeder Pianostelle hielt ich den Atem an, so zart und vorsichtig waren sie. Aber irgendwann kam es mir vor, als würde ich nicht mehr im riesigen Saal sitzen mit schmerzenden Knien (verfickter Rang), sondern in einem kleinen Hauskonzert, wo ein freundlicher Herr vor sich hinplinkert, und ich darf netterweise dabeisein. Dankeschön.
Hier das letzte Stück des Abends vor den Zugaben.
—
Your camera roll contains a masterpiece
Gewagte These, aber Michael Johnston kann das schön begründen:
„The problem is that photography is subversive. It subverts our intentions, desires, and expectations at every turn, in a thousand ways, and then bestows its gifts whimsically and serendipitously. Some pictures work and some don’t, for reasons that are perpetually surprising. More precisely, a few work and most don’t. The late Erich Hartmann, a past president of Magnum, once showed me his friend Henri Cartier-Bresson’s negatives and contact sheets, stored at the famous photo agency’s New York offices in rows of three-ring binders lined up on shelves. Sheet after sheet contained not a single photograph I recognized. Some worked, most didn’t—not even for H.C.B. Happily, there’s another side to the equation. If you take enough photographs, it’s almost inevitable that you’ll eventually get an extraordinary one, for reasons you might not understand.“
Damit meint der Autor nicht, dass ein blindes Huhn auch mal ein Korn findet, sondern dass Fotos für jede*n Betrachter*in etwas anderes aussagen. Der Klassiker der Kunst-Rezeption: Du siehst, was du weißt. Oder wie Johnston es ausdrückt: Du siehst, was du sehen möchtest.
„How do you decide what’s good—what to keep, what to delete? A first step is to look more carefully, with new eyes. Give each picture time to breathe. We launch our camera apps for sentimental reasons (a cute puppy!), for status signalling (look who we’re with!), for comfort against insecurity (does this shirt fit?). But try forgetting why you took the pictures in the first place. Look for subversive photos that wriggle out of the intentions with which they were taken. Some pictures will stir your soul and cause a rustle of recognition. Others will seem to touch something deeper—a mystery, a meaning, some subtle sort of grace. (I once found a still-life that looked like art in a china catalogue.) A photo might freeze a movement, or capture a gesture, or look unlike any picture you’re used to seeing. Why does a particular color seem as familiar as a long-forgotten scent? Which photograph makes you pause and look the longest? […] Looking is about more than just noticing the visual qualities of a photograph. It’s also about giving yourself time to feel.“
Ich musste sofort an meine 1000 Essensbilder denken, von denen wenige auf Insta landen. Ja, ich kenne alle Scherze darüber, dass sich niemand dafür interessiert, dass du Fischstäbchen zum Mittag hattest, aber ich kann mich ständig an Fischstäbchen von 2012 oder Kuchen von 2015 oder Thai Curry von 2021 erfreuen, weil mich diese Bilder daran erinnern, wie lange ich mit Essen gehadert habe und wie wenig ich es jetzt tue. Essen, Kochen, Backen sind täglicher Quell der Freude, eine kleine Meditation, ein Aufbruch in neue Geschmäcker und Gerüche und jedesmal eine Freude. Und deswegen freuen mich Fotos davon.
—
Ich weise mal wieder auf einen meiner liebsten Street-Photography-Accounts auf Insta hin, WomenInStreet, wo diese Woche die Fotografin Kirsty Greenland kuratiert. Ihre Rückenansichten fand ich toll.
—
Linus Rapp: Die bunte Plakatwelt der Olympischen Spiele in München 1972
Ein wirklich spannender Vortrag über, genau, die Olympiaplakate von 1972. Der Vortragende erklärt nicht nur den Unterschied zwischen diesen und älteren Plakaten zu den Olympischen Spielen, sondern erzählt auch generell was zu Plakatkunst und Typografie Ende der 1960er Jahre, als sie gestaltet wurden. Viel gelernt.
—
Ich erwähnte Essen, auch diese Woche gab’s was, wer hätte es gedacht. Und offensichtlich habe ich immer erst auf dem Sofa fotografiert, wie mir bei der Bildbearbeitung aufgefallen ist. Ähem.
Vollkornspaghetti mit Brokkoli und Erbsen.
Bratreis mit allem und Ketjap Manis. Reiskocherliebe. Wie konnte ich je ohne ihn leben? Ich habe jetzt IMMER gekochten Reis im Haus, um schönen knusprigen Bratreis zu produzieren.
Die Bärlauch-Saison ist eröffnet.
Gajar Matar mit Tofu statt mit Paneer, wie hier verbloggt. Schmeckt auch.