Donnerstag, 10. November 2022 – Post aus Ramersdorf
Morgens Zahnarzt, ansonsten Arbeit, mittags ließ ich die KitchenAid Möhren und Rotkohl schreddern (heute mittag probiere ich die Schneidetrommel, die scheint mir für Rotkohl besser geeignet zu sein, und dann habe ich alle drei Reiben erfolgreich benutzt), zum Feierabend versackte ich vor „Buying Beverly Hills“ auf Netflix, gebt mir Real-Estate-Reality-Shows, ich gucke die alle weg, und dann kam noch Post, über die ich mich sehr gefreut habe.
Ein Bewohner der ehemaligen Mustersiedlung Ramersdorf, heute nur noch Ramersdorf, war bei der Suche nach historischen Dokumenten über die Siedlung auf meinen Blogeintrag vom August 2019 gestoßen, wo ich über meine Suche nach vier Wandfresken von Protzen in eben diesem Münchner Stadtteil schrieb. In seiner Mail kam dieser Satz vor: „Darin beschreiben Sie Ihre erfolglose Suche nach Protzens Fresken, die Sie offensichtlich zu den Akten gelegt haben, da wir nie einen Brief von Ihnen im Kasten hatten ;-)“ Den Satz verstand ich zunächst gar nicht, weil ich den Herrn ja gar nicht kannte, bis ich meinen eigenen Eintrag nochmal las, der mit den Sätzen endete: „Nix gefunden also. Aber immerhin an der frischen Luft gewesen, wie meine Oma immer so schön sagte. Ein bisschen nölig wieder nach Hause gefahren. Ich lege Ramersdorf jetzt vorerst zu den Akten. Und irgendwann werfe ich jedem Einwohner der Siedlung einen Brief in den Kasten: „KENNEN SIE DIESES HAUS? HABEN SIE DIESES BILD SCHON MAL GESEHEN? RUFEN SIE MICH AN!“ Darüber musste ich selbst sehr lachen.
In der Druckfassung der Diss kürzte ich den Ramersdorf-Teil noch etwas runter im Vergleich zur eingereichten Diss, denn das war für mich zwar eine spannende Sache, aber so richtig was mit den Autobahngemälden hatte es dann doch nicht zu tun. Und ich hatte kein einziges Fresko wiederfinden können, und es war für den Gesamtzusammenhang irgendwann egal, ob die noch da waren oder nicht. Kill your darlings oder: Treib dich nicht zu lange auf Nebenschauplätzen rum. Aber ich wagte anhand von Google Maps, den alten Zeichnungen in den Bauzeitschriften und den Fotos aus dem Nachlass eine Vermutung, in welcher Straße die Fresken gewesen sein könnten, ich zitiere mich mal selbst, brav mit Fußnoten:
„Die Kunst an den Häuserwänden wurde größtenteils erst während der Ausstellungszeit angefertigt,[28] weswegen Protzens Werke in keiner mir bekannten Publikation, die meist Bilder von vor der Eröffnung nutzen, zu sehen sind. Auf einem Foto im Stadtarchiv München von 1936 sind drei von ihnen aber mit etwas Mühe zu erkennen (Baumpflanzen, Heuwagen, Äpfel). [29] Nimmt man die Häuserzüge als optische Orientierung, könnten die Fresken in der heutigen Bernauer Straße angebracht worden sein; sie sind sehr wahrscheinlich nicht mehr vorhanden. Das oben erwähnte Fresko von Albert Burkhart ist hingegen noch am Haus in der Stephanskirchener Straße 22 zu sehen. Möglicherweise war Burkart die Verbindung von Protzen zu Harbers, der ihm den Auftrag für die Fresken oder sogar den für die zeitgleich stattfindende Ausstellung „Die Straße“ verschafft hatte.[30] Der Name Burkarts findet sich in einem undatierten Eintrag zwischen 1930 und 1932 in Protzens Gästebuch.[31]“
28 „Um eine besonders enge und nachwirkende Berührung des Besuchers mit der Kunst herbeizuführen, werden die Bilder in und an den Häusern der Siedlung erst während der Besuchszeit der Ausstellung durchgeführt.“ Harbers, Guido: „Die neue Einfamilienhaussiedlung München-Ramersdorf“, in: Das Bayerland 45 (1934), S. 499–502, hier S. 502.
29 StdA München, FS-KULA-115, Bild KR/15–16/IV 19: „Reichskleinsiedlung Ramersdorf 1936“.
30 Ulrich Christoffel erwähnt Graßmann im Artikel „Jüngere Münchner Maler 1“ auch als „Wandmaler“, der „in München an der Hl.-Blut-Kirche in Bogenhausen die Engel mit dem Schweißtuch und eine Sonnenuhr“ gemalt habe, vgl. Christoffel, Ulrich: „Jüngere Münchener Maler 1“, in: Die Kunst für alle 8 (1937), S. 196–200, hier S. 200. Im zweiten Teil des Artikels wird auch Albert Burkhart erwähnt: „In den letzten Jahren hat er hauptsächlich religiöse Bilder und Fresken gemalt und sich mit der Übertragung der Zeichnung auf die Bildgestaltung beschäftigt“, vgl. Christoffel, Ulrich: „Jüngere Münchener Maler 2“, in: Die Kunst für alle 9 (1937), S. 215–218, hier S. 218. Burkart und Graßmann werden auch in einem Artikel in Kunst und Volk erwähnt, in dem unter anderem „gute Arbeiten an Siedlungen und Privatbauten“ aufgeführt werden, vgl. Schindler, Edgar: „München als Pflegestätte monumentaler Malerei“, in: Kunst und Volk 7 (1937), S. 206–213, hier S. 211. Protzen wird nicht erwähnt. [AAAAAH, ich habe den vierten Fehler im gedruckten Buch gefunden. Das S vor 211 ist kleingeschrieben. AAAAAH!]
31 DKA, NL Protzen, Mappe 9, vorl. Sign. 30: Gästebuch o. S.
Der freundliche Mailschreiber schickte mir ein Foto mit, in dem eins der Fresken von Protzen zu sehen ist – in der Bernauer Straße. HA! Ein kleiner Triumph. Und wie ich jetzt weiß, ist das Fresko wirklich nicht mehr vorhanden, es wurde inzwischen übermalt.