Sonntag, 13. November 2022 – Die Stadt knirscht und atmet
F. hat die klassischen Konzerte der Stadt stets besser im Blick als ich, und so fragte er irgendwann, ob ich Lust auf die Münchner Philharmoniker hätte, die neben Rachmaninoff und Rimski-Korsakow auch ein Stück von Anna Thorvaldsdottir geben würden: „Archora“, eine deutsche Uraufführung, Samstag abend das erste Mal, Sonntag morgen das zweite. Wir entschieden uns für den Sonntag um 11 Uhr und ich saß zum ersten Mal in der Isarphilharmonie.
Wir kannten die Komponistin aus einem spannenden Abend in der Pinakothek der Moderne, der mir noch lange im Gedächtnis geblieben ist, vor allem der Gesang von der Rotunde und ihre wunderbare Antwort aus dem Einführungsgespräch, wo sie beknackterweise gefragt wurde, wie sie als Frau das denn hinkriegte mit dem Komponieren und dem Rest des Lebens, man müsse ja auch mal einkaufen: „Send husband to the supermarket.“
Die weltweite Uraufführung von „Archora“ fand im August diesen Jahres statt, weswegen es noch keine Einspielung gibt, aber die Komponistin verlinkt auf ihrer Website netterweise eben diese Aufführung im Rahmen der Night of the Proms. Dänisches Radio, geht ab Minute 4 los.
Das Stück hatte mich sofort und ließ mich auch die ganzen 18 Minuten nicht mehr los. Zunächst folgte ich einfach den Instrumenten willenlos und ließ mich ziehen, ohne groß nachzudenken, aber irgendwann kamen dann, wie immer bei Musik, die Bilder im Kopf wieder. Ich verdrängte die isländische Landschaft, die meine erste Assoziation war, weil ich das als zu klischeeig empfand, und landete bei einer Stadt, einer Großstadt, komischerweise bei Los Angeles, obwohl ich da noch nie war. Für mich klang das Stück im besten Sinne nicht menschengemacht, sondern so, als ob mir Flächen, Gebäude und Straßen, eher Asphalt und Beton als grüne Hügel, etwas sagen wollten. Auch jetzt beim Aufschreiben und zweiten Hören sehe ich eher Highways und menschenleere, zerfallende Gegenden als lauschiges Moos und Moor.
F. musste bei Thorvaldsdottir an einen unserer Lieblingskünstler denken, Hans op de Beeck und sein Werk „Staging Silence 2″ mit der zerfallenden Stadt aus Zuckerwürfeln, das wir mal in der Sammlung Goetz erlebt hatten, hier zu sehen. Da waren wir anscheinend nicht ganz so weit voneinander entfernt. Rachmaninoff war schön, Rimski-Korsakow dann totaler Romantikplüsch, auch schön, aber meine Aufmerksamkeit wanderte. Der SZ-Kritiker empfand den Abend/den Morgen genau andersherum, jeder wie er mag.
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Nachmittags die Bagels gebacken, die ich Samstag abend angesetzt hatte, zum Mittag gab’s ein Schockschwerenot nicht fotografiertes Rösti mit Ei und Salat, den Nachmittag verbrachte ich vor dem Football-Stream, denn die NFL gastierte hier in München, abends gab es dann Trash-TV auf Netflix („Dubai Bling“, kann man sich eher schenken). Ein schöner bunter Tag.