Leseliste 2023

2022, 2021.

Bücher, die ich euch empfehlen möchte, haben einen Stern (kann man gut machen) oder zwei Sterne (kann man sehr gut machen).

1. Han Kang (Ki-Hyang Lee, Übers.): Die Vegetarierin *
Ein anstrengendes Frauenbild, was aber Sinn ergibt, denn genau das wird angeprangert. Faszinierend zu lesen, aber definitiv kein Gute-Laune-Buch.

2. Max-Jacob Ost: Aus Liebe zum Spiel. Uli Hoeneß, das Geld und der deutsche Fußball **
Auch wenn man sich wie ich null für Hoeneß interessiert, sehr spannend und lesbar. Viel über die Bundesliga und ihre Entwicklung in den letzten 50 Jahren gelernt.

3. Don DeLillo: White Noise *
Erste Hälfte fand ich großartig, auch die Schilderung des Chemieunfalls und die unmittelbaren Folgen auf einzelne Figuren. Dann glitt es für mich ab in zu viel Gequatsche und ab da hatte mich das Buch verloren. Die letzten 40 Seiten quergelesen.

4. Barbara Bloemink: Florine Stettheimer. A Biography *
Bisschen viel erklärbärig, was die Werkbeschreibungen angeht, zu viel Poesie. Aber: tolle Abbildungen, schöner Gesamtbogen.

5. Karl Jakob Hirsch: Kaiserwetter *
Schöne moderne Sprache (1931), leider aber, wie zu erwarten gewesen war, zu viele männliche Figuren. Mich hätten ein paar der Damen mehr interessiert, die einfach so aus dem Plot fielen.

6. David de Jong (Michael Schickenberg/Jörg Pinnow, Übers.): Braunes Erbe. Die dunkle Geschichte der reichsten deutschen Unternehmerdynastien *
Spannend erzählt, mir manchmal zu journalistisch und zu wenig akademisch-historisch, aber das will das Buch ja auch gar nicht sein. Macht logischerweise nie gute Laune.

7. Joseph Roth: Die Kapuzinergruft **
Roth halt. Roth geht immer.

8. Anatol Regnier: Jeder schreibt für sich allein. Schriftsteller im Nationalsozialismus **
Bin über den maskulinen Untertitel gestolpert, konnte aber befriedigt feststellen, dass es auch Schriftstellerinnen gab, mit denen es sich zu beschäftigen lohnt. Sehr lesbares Kompendium, sehr viele Schlaglichter, sehr viele Fäden, die man auch nach dem Buchende verfolgen möchte.

9. Margret Greiner: Charlotte Salomon *
Nerviger Stil, zu viel Roman, trotzdem die Geschichte mitgenommen, lese aber doch deutlich lieber Sachbücher zu Künstler*innen.

10. Joseph Roth: Die Legende vom heiligen Trinker **
Roth halt. Roth geht immer.

11. Hans Fallada: Der Trinker **
Fallada halt. Fallada geht immer.

12. Sayaka Murata (Ursula Gräfe, Übers.): Das Seidenraupenzimmer **
Von Murata hatte ich im letzten Jahr Die Ladenhüterin gelesen, was zu meinen Lieblingen gehörte. Das hier fängt etwas behäbig an und dreht dann völlig durch.

13. Clemens Meyer: Als wir träumten **
Die NZZ meinte, 300 Seiten zu lang, ja, vielleicht, aber ich habe auch diese 300 Seiten gerne gelesen.

14. Benjamin von Stuckrad-Barre: Noch wach? *
In sich und die eigene Stimme total verknallt , aber dann doch so verführerisch runtergeschrieben, dass ich es in einem Zug durchgelesen habe.

15. Joseph Roth: Hiob **
Ihr wisst schon.

16. Anne Enright: The Green Road **
Verschiedene Personen erhalten verschiedene Stimmen, um sich im letzten Kapitel zusammenzufinden. Gerade das letzte Kapitel fand ich am beliebigsten, aber für alle anderen lohnt es sich.

17. Lipika Pelham: Jerusalem on the Amstel *
Sehr viel gelernt über die jüdischen Einwander*innen aus dem Spanien und Portugal der Inquisition und wie diese mithalfen, das Goldene Zeitalter der Niederlande zu begründen. Manchmal wiederholt sich einiges, manche Abzweigungen habe ich nicht verstanden. Trotzdem eine Empfehlung.

18. Jörg Johnen: Warhol und das schreckliche Kind **
Johnen erzählt, wie er als schwuler Mann in der alten Bundesrepublik aufwuchs und wie Kunst und Literatur ihn nicht am Leben verzweifeln ließen. Außerdem ein bisschen Kunstmarkttratsch. Runtergelesen.

19. Wolfgang Koeppen: Eine unglückliche Liebe *
Von Koeppen habe ich bisher alles verschlungen und geliebt, mit diesem schmalen Band von 1934 habe ich gehadert. Vielleicht weil es noch nicht nach dem Koeppen klang, den ich so mag.

20. Franny Moyle: Turner. The Extraordinary Life and Momentous Times of J.M.W. Turner **
Wurde mir von einer Kuratorin aus dem Lenbachhaus geliehen, weil ich für das Museum einen Newsletter und einen Blogeintrag über den Maler schreiben sollte. War manchmal sehr kleinteilig, was für die Kuratorin natürlich toll war, für mich, die eher einen Überblick suchte, der über die Wikipedia hinausgeht, war es irgendwann etwas zu viel. Trotzdem klare Empfehlung für alle, die mehr über den Maler wissen möchten.

21. Gregor Hofmann: Mitspieler der „Volksgemeinschaft“. Der FC Bayern und der Nationalsozialismus **
Große Empfehlung, nicht nur für Fans dieses Vereins. Ja, es geht um Fußball und Trophäen, aber noch mehr geht es um den nationalsozialistischen Staat bzw. die „Hauptstadt der Bewegung“ München und wie man sich beidem anpasst oder verweigert. Sehr detailreich und für ein wissenschaftliches Buch sehr lesbar geschrieben.

22. Michiko Aoyama (Sabine Mangold, Übers.): Frau Komachi empfiehlt ein Buch *
Keine große Literatur, aber ein charmantes kleines Buch, das mich ein paar Tage begleiten konnte. Ich habe die Story der Bibliothekarin, deren Buchempfehlungen weit mehr sind als nur Lesetipps, gerne verfolgt.

23. Alena Schröder: Bei euch ist es immer so unheimlich still **
An einem Vormittag runtergelesen. Wie Schröders erstes Buch sehr dicht geschrieben, wenn mir auch manche Klischees der Dorfbewohner*innen zu klischeeig geworden sind.

24. Klaus Mann: Mephisto. Roman einer Karriere **
Zu Recht ein Klassiker. Teilweise anstrengend, wenn es um Schilderungen einer Schwarzen Person geht, und dicke Menschen mochte Mann wohl auch nicht, aber das nehme ich in Kauf.

25. Ernst Wiechert: Das Totenhaus **
Wiechert war 1937 für einige Monate in Buchenwald interniert. Nach seiner Entlassung schrieb er den Roman Das einfache Leben, was ein großer Erfolg in Deutschland wurde, bevor er die Kraft hatte, im Totenwald über Buchenwald zu schreiben. Er vergrub das Manuskript; das Buch wurde erst 1946 veröffentlicht. Es kolportiert etwas Sprache und Inhalt der NS-Zeit, es hat kaum Abstand zu den Geschehnissen, wie denn auch, und das kann man ihm durchaus vorwerfen. Mich hat das Buch verstummen lassen. Absolute Empfehlung.

26. Colson Whitehead: The Nickel Boys **
Die Geschichte über einen Schwarzen Jugendlichen, der in einer Besserungsanstalt im Florida der 1960er Jahre landet, beruht auf einer wahren Begebenheit. Ähnlich hervorragend lesbar wie Whiteheads The Underground Railroad. Wichtige Details der Geschichte des Schwarzen Amerikas, die ich so noch nicht kannte oder wahrgenommen habe.

27. Ernst Wiechert: Das einfache Leben **
Überrascht gern gelesen und hier verbloggt.

28. Steffen Mau: Lütten Klein. Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft **
Sehr viel gelernt, sehr viel nachgedacht.

29. Bov Bjerg: Der Vorleser *
Schöne Grundidee, aber hört für mich irgendwie mittendrin auf. Trotzdem gern gelesen.

30. Michael Wildt: Die Ambivalenz des Volkes. Der Nationalsozialismus als Gesellschaftsgeschichte **
Aufsatzsammlung, weswegen sich manches wiederholt. Trotzdem sehr aufschlussreich.

31. Jörg Skriebeleit: Erinnerungsort Flossenbürg. Akteure, Zäsuren, Geschichtsbilder **
Sehr vieles über die Orte von Konzentrationslagern nach 1945 gelernt. Auch noch nie darüber nachgedacht, was nach der Befreiung mit diesen Stätten, Häusern, Geländen passierte.

32. Tobias Rüther: Herrndorf. Eine Biographie **
Viel über Herrndorfs Kunst erfahren, bevor es zur Literatur ging. Macht eine schöne Schleife ums Gesamtwerk.

33. Ina Seidel: Das Wunschkind *
Halb gelesen, halb quergelesen, weil man nach 300 Seiten irgendwann ahnt, wie es endet und das macht es dann nach weiteren 300 Seiten auch.

34. Wolfgang Herrndorf: In Plüschgewittern *
Klingt nach Anfang der 2000er, ist okay gealtert, aber mein Liebling von Herrndorf ist es nicht geworden. Und Anfang der 2000er kam halt auch Kracht, und von dem liebe ich alles.

35. Ernst Wiechert: Die kleine Passion *
Angelehnt an die Passion Jesu und ein bisschen zu sehr ins Leiden der Hauptfiguren verliebt. War mir fast unangenehm, ihnen beim Schmerz zuzusehen.

36. Wolfgang Herrndorf: Arbeit und Struktur **
Hätte ich mich an das Buch oder das Blog, das ich regelmäßig las, vor drei, vier Jahren erinnert, wäre mir Papas Zustand vielleicht verständlicher gewesen. Nach der Veröffentlichung hatte ich mich gefragt, wieso man das Blog als Buch rausgeben muss – jetzt weiß ich es: Es liest sich auf Papier, geringfügig lektoriert und vor allem mit einem Nachwort versehen, doch anders. Oder ich habe inzwischen viel dazugelernt, das mag auch immer sein.

37. Keiichirō Hirano (Nora Bierich, Übers.): Das Leben eines Anderen *
Tolle Idee, für mich zu schwafelig umgesetzt.

38. Matthew Perry: Friends, Lovers and the Big Terrible Thing *
Lag ewig auf der „Lese ich irgendwann“-Liste, dann las ich es an Perrys Todestag komplett durch. Hat mich in seiner Schonungslosigkeit und mit den ewigen Wiederholungserscheinungen seiner Sucht, der Perry nicht entrinnen konnte, etwas verstört. Goodbye, Mr. Bing. We’ll try to keep it down.

39. Bernardine Evaristo: Girl, Woman, Other **
Toller Stil, spannende Geschichte, mich hat das Buch sehr abgeholt und mir gesagt, dass ich nicht alleine bin.

40. Emma Cline: The Guest **
Mochte ich noch lieber als den Erstling The Girls von Cline. Ich fragte mich zwar zwischendurch, warum ich mich für die Hauptfigur interessieren sollte, aber genau das hat mich dann am Buch gereizt.

41. Gabriele Tergit: So war’s eben *
Anstrengend, weil kaum lektoriert, aber genau deshalb hat man die Möglichkeit, der Autorin sehr nahe zu kommen. Wenn man sich ein bisschen in der Zeit auskennt, kann man zwischen den Zeilen viel entdecken.

42. Christoph Zuschlag: Einführung in die Provenienzforschung **
Einführung halt. Kommt in das Fach mit den Überblickswerken.

43. Raphaela Edelbauer: Die Inkommensurablen **
Fing toll an, hing im Mittelteil etwas durch, hatte mich zum Schluss aber wieder. Eine wilde Mischung aus historischem Roman und totalem Spinnertum, was ich eigentlich überhaupt nicht mag, aber hier hat es funktioniert. Muss jetzt alles andere von Edelbauer lesen.

44. Uwe Neumahr: Das Schloss der Schriftsteller: Nürnberg ’46. Treffen am Abgrund **
Neumahr hangelt sich an der Chronologie der Nürnberger Prozesse entlang und schreibt über die Schriftsteller*innen, die den Prozess beobachteten. Jede*r kriegt ein Kapitel; manche habe ich verschlungen, andere waren mir im Nachhinein komplett egal. Trotzdem sehr interessiert gelesen.

Nicht beendet:
– Tom Drury: Hunts in Dreams. Will clever sein, nervt aber nur.
– Mithu Sanyal: Identitti. Zu drei Vierteln durchgehalten, obwohl ich es schon nach 100 Seiten weglegen wollte. Das Nachwort habe ich lieber gelesen als den Rest des Buchs. Identitätspolitik bleibt für mich eher ein Sachbuchthema.
– Charles Frazier: Thirteen Moons. Sein Cold Mountain fand ich großartig, das hier hatte mir zu viele Kerle, die mich nicht interessiert haben.