Freitag, 16. Februar 2024 – Bäume und Beethoven

F. und ich saßen mal wieder in der Isarphilharmonie, wo uns ein recht wildes Programm erwartete. Es begann mit dem zeitgenössischen Werk „Between Trees“ (2021) der norwegischen Komponistin Kristine Tjøgersen, das spannenderweise genau so klang wie der Titel es beschrieb. Fand ich zumindest. Ich verglich das Stück im Kopf mit Lachenmann und Thorvaldsdottir, genau wie F., wie sich in der Umbaupause zum zweiten Stück herausstellte. Während Lachenmann für mich schlicht abstrakt klingt, so nach dem Motto, mal sehen, was ein Cello noch für Geräusche machen kann, und Thorvaldsdottir Töne aus einer anderen Welt an mich heranträgt, hatte ich hier wirklich das Gefühl, wie ein kleiner Mumin im Wald zu sitzen und allem zuzuhören, was sich dort bewegt. Toll.

Für mich bei zeitgenössischer Musik immer interessant: Ich sehe ein komplettes Orchester vor mir und habe manchmal trotzdem keine Ahnung, welches Instrument gerade welche Töne von sich gibt. Gestern sah ich der Harfenistin gerne zu, wie sie mit einem Stock außen an den Wirbeln ihres Instrument entlangfuhr. (Heißt der Teil einer Harfe, an dem die Saiten gespannt sind, überhaupt auch „Wirbel“ wie bei der Geige? Moment, ich googele eben … nein, die Dinger heißen „Stimmstifte“. Wieder was gelernt. Dass eine Harfe Pedale hat, wie auf der verlinkten Abbildung schön zu sehen ist, habe ich übrigens aus einem Insta-Video der Bayerischen Staatsoper gelernt. Es ist nicht alles schlecht bei Social Media!)

Gestern dachte ich außerdem, dass ich noch nie einen Mann an der Harfe gesehen habe, aber im oben verlinkten Video ist einer. Doch kein totales Mädcheninstrument. Ebenfalls gerne beobachtet: die Batterie an Zeug, die die drei Percussionist*innen vor sich hatten.

Die Komponistin war im Haus, gleich mal extra laut beklatscht. Wie man so ein Stück dirigiert, steht übrigens in der SZ, auch gerne gelesen. (Archive-Link, falls Paywall.)

Nach dem Gezirpe verkleinerte sich das Orchester und der Steinway wurde in die Bühnenmitte geschoben. Dort nahm Rudolf Buchbinder Platz, von dem ich genau eine CD im Schrank stehen habe. Ich kannte den Herrn bis vor einiger Zeit nicht, bis F. erzählte, dass seine Mutter bereits vor über 50 Jahren Konzerte mit ihm gehört habe; er begleitet sie schon so ewig. Jetzt wo ich ihn live erlebt habe, ahne ich warum. Es gab Beethovens 3. Klavierkonzert in c-Moll, op. 37. Kannte ich, hatte ich aber auch noch nie live gehört. Keine Ahnung, ob es daran oder an Buchbinder oder an was auch immer gelegen hatte, aber im dritten Satz hatte ich plötzlich Tränen in den Augen und bei der Zugabe, einem Impromptu von Schubert, das tollerweise auf meiner CD ist, flossen diese dann auch einfach. Ich weiß nicht, wo mein Kopf hinwanderte während der Musik, ich war völlig überrascht davon zu merken, dass ich nah am Wasser bin.

Ich habe ewig keine Klaviermusik gehört, ich bin eher mit Opern aufgewachsen, ich gehe eigentlich erst regelmäßig in klassische Konzerte, seit ich mit F. zusammen bin. Inzwischen haben wir diverse Pianist*innen gesehen, so dass ich, was mir gestern erstmals auffiel, allmählich Unterschiede höre. Das Fiese ist nur: Ich kann nicht beschreiben, wie diese Unterschiede sich zeigen. Das ist so ähnlich wie bei Wein, wo wir uns allmählich an sehr komplexe Flaschen rangetrunken haben, für die uns auch die Worte fehlen. Das macht mich als schreibenden Menschen natürlich wahnsinnig, dass ich Musik und Getränke nicht in Buchstaben übersetzen kann, aber ich muss bei derartigem inneren Genöle immer an Gerhard Richter denken, den man, in den 60ern, glaube ich, schon mal fragte, was er mit seinen Bildern ausdrücken möchte. Woraufhin er meinte, wenn er es in Worten sagen könnte, hätte er geschrieben.

Ich knabbere trotzdem seit gestern daran herum, die Unterschiede in Worte fassen zu wollen. Ich bin noch nicht weiter als: Bei Igor Levit habe ich das Gefühl, dass er – im guten Sinne – jede einzelne Note persönlich nimmt. Bei Buchbinder spüre ich eine unglaubliche Erfahrung und Souveränität, weil er jedes Stück vermutlich schon acht Millionen Mal gespielt hat, aber er gibt einem trotzdem das Gefühl, dass das heute abend, für mich, für uns, etwas ganz Besonderes ist. Wie gesagt, mir fehlen die Worte. Vielleicht sind unmittelbare, unaussprechliche Gefühle wie Tränen – oder Langeweile oder Freude – dann auch die richtige Reaktion.

Für die Zugabe von Buchbinder setzte sich die Dirigentin einfach mal auf einen der leeren Stühle im Orchester anstatt hinter der Bühne zu bleiben, um zuzuhören. Das kannte ich auch noch nicht, wie schön und respektvoll.

Nach der Pause gab’s noch die 1. Sinfonie von Sibelius und die war mir dann mal so richtig egal. Da hibbelte ich vermutlich etwas zuviel im Sitz herum, sorry, Nachbarin, aber ich wollte bloß nach Hause und nochmal Buchbinder hören. Mache ich jetzt gerade beim Tippen.

(Gehen Sie doch mal in ein klassisches Konzert. Immer wieder spannend.)